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Materialien zum Problem der Pfarrerdienstanweisung in der Kirche |
1. Votum der Ev. Kirche in Hessen und Nassau
- Text 1 (Die Pfarrerin, der Pfarrer in der Gemeinde - Bedingungen für eine gelingende Berufstätigkeit)
- Text 2 (Verschiedene Begabungen - verschiedene Ämter
- Offenes Memorandum der Pfarrer und Pfarrerinnen des Dekanats Bad Homburg (2001)
3. Kleine Typenlehre des deutschen Pfarrers
4. Kirche und Unternehmen (M.Kock
EKD Ratsvorsitzender)
- Kirche als Unternehmen
- Leistungsmessung
- Controlling
- Pfarrer und Arbeitszeit
- Dienst am Kunden?
5. Berufsbild der
GemeindepfarrerInnen
- Dienstrechtsreform (Ev. Kirche im Rheinland 11/98)
- Grundsätzliches - Anforderungen für
die Berufsgestaltung
- Gesamtkonzeption gemeindlicher Aufgaben
- Eignungsvoraussetzungen
- Qualifikation
- Dienstverhältnis -Leistungsgedanke
- Dienstwohnung (Residenzpflicht und Kosten)
- Pfarrberuf zwischen Selbstbild und
Gemeindeerwartung
(Umfrage)
6. Was heißt Professionalität im
Pfarrberuf?
(Isolde Karle) 1999
(Gekürzte Fassung eines Vortrags vor den Pfarrkonventen
Heilbronn, Leonberg und Neuenstadt)
1. Interaktionsabhängigkeit
und Schutz des Vertrauens
2. Professionsethische
Verhaltenszumutungen
3. Package-deal
4. Vermittlung einer Sachthematik
5. Professionalisierung und
Allgemeines
Priestertum
6. Wissenschaftliche Bildung und
theologische
Kompetenz
7. Überkomplexität
8. Generalistenrolle
9. Person und Amt
7. Die heimlichen Spielregeln der
Gemeindeleitung
(Rudolf Roosen) 1999
1. Entstehungsursachen heimlicher Spielregeln
1.1. Spannungsfelder und
Bruchlinien
in der Zusammensetzung des Gremiums:
1.2. Das Presbytergelübde:
1.3. Bürokratische Verwaltung:
1.4. Unzureichendes
Leitungswissen:
2. Die Logik des Mißlingens
3. Informale Prolemlösungen
3.1. Das Betriebsklima hat
Priorität:
3.2. Naheliegende
Kompetenzverteilung:
3.3. Vorlagenberge abtragen -
Gemeinde verwalten:
3.4. Informale
Komplexitätsreduktion
- »Familienfürsorge«:
4. Gemeinde leiten - Desiderate
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Materialien zum Problem der Pfarrerdienstanweisung in der Kirche |
VOTUM DES LEITENDEN GEISTLICHEN AMTES
DER
EVANGELISCHEN KIRCHE
IN HESSEN UND NASSAU (AUSZÜGE)
(veröffentlicht in "Gemeindebrief" 4/96 S. R1)
Erster Text:
Die Pfarrerin, der Pfarrer in der Gemeinde - Bedingungen für eine gelingende Berufstätigkeit
- Eine Klärung der Pflichtaufgaben des Pfarramtes und der
sie fördernden Bedingungen ist dringend nötig.
- Die Bedingungen für das Gelingen des Pfarrberufes stehen
mit Aufgaben und Zielen im Zusammenhang, die der Pfarrerin und dem
Pfarrer
aufgetragen sind, sowie damit, wie diese ihre berufliche Tätigkeit
geistlich - spirituell gestalten bzw. begründet sein lassen.
- Das Pfarramt hat Anteil am Auftrag Jesu Christi und ist
eingeordnet
in die Aufgabe der ganzen Gemeinde.
- Durch die Gemeinde sind Pfarrerin und Pfarrer zum Dienst am
Wort an der Gemeinde zugunsten der Welt beauftragt. Sie sind dafür
verantwortlich, daß die auch für die Gemeinde grundlegende
und
befreiende Kraft des Evangeliums heute öffentlich hörbar
wird,
verstanden und wahrgenommen werden kann.
- Pfarrerin und Pfarrer können ihre beruflichen Aufgaben
und darin ihre zielgerichtete Auseinandersetzung mit den
Herausforderungen
der Zeit nur wahrnehmen kraft einer geistlich-theologischen Existenz
innerhalb
einer sie tragenden Gemeinschaft.
- Die Gestaltung des Pfarramtes, herausgeschält aus der
Gesamtverantwortung der Gemeinde, kann im Grunde nur gelingen, wenn
gleichzeitig
andere Ämter möglichst scharf umrissen (evtl. neu erfunden)
werden,
um sie in klarer Abgrenzung voneinander zur Teamarbeit
zusammenführen
zu können.
- Für die Pfarramtstätigkeit lassen sich die
Bedingungen
- nach dem Grundsatz und arbeitsorganisatorisch - präzisieren: Die
theologisch-pastorale Kompetenz der Pfarrerinnen und Pfarrer soll
beruflich
beansprucht werden. Die berufliche Tätigkeit als Pfarrerin
oder
Pfarrer muß (bei vollem Dienstverhältnis) in 40
Wochenstunden
zu bewältigen sein.
- Gegenüber der gegenwärtigen Praxis muß das
pfarramtliche Handeln konzentriert darauf ausgerichtet werden,
daß
die (potentiellen) Gemeindeglieder zum Glauben kommen und im Glauben
wachsen
und reifen können.
- Die hier vorgestellten Überlegungen sind als praktische
Hilfe gedacht, um am beklagenswerten Zustand der Pfarrzentrierung etwas
in Richtung Kooperation der unterschiedenen, beruflich und ehrenamtlich
Mitarbeitenden, sowie hin zum ,,Priestertum aller Gläubigen"
ändern
zu können.
Zweiter Text:
Verschiedene Begabungen - verschiedene Ämter
Eine Klärung der Pflichtaufgaben des Pfarramts und der sie
fördernden
Bedingungen ist dringend nötig! Schon die Reformatoren hatten die
Einsicht, daß alle Getauften ihre eigenen geistlichen Begabungen
haben. Es muß gelingen, diese Begabungen neu fruchtbar zu machen
und die Mündigkeit aller Getauften anzustreben.
Damit ist kein bloßer Appell zum Engagement aller gemeint,
um so von der ,,Pastoren-" zur ,,Beteiligungskirche" zu kommen. Ziel
ist
vielmehr, mit der schon im Neuen Testament angelegten
Ämtervielfalt
ernst zu machen.
Die bereits entwickelten und die künftig neu zu gestaltenden
Ämter, welche haupt- und nebenamtlich Tätige
unterschiedlicher
beruflicher Qualifikation und auch Ehrenamtliche wahrnehmen,
müssen
spezifisch gefaßt und begrenzt werden. Nur so ist keines
überlastet
und viele nehmen ihre eigenständige Aufgabe gern wahr.
Denn das Miteinander der Christinnen und Christen kann nur
gelingen,
wenn die Aufgaben und Zuständigkeiten jeweils begrenzt werden. Mit
dieser Abgrenzung kann funktions-spezifische Verantwortung entstehen.
Darüber
hinaus sind günstige Bedingungen zu schaffen, um das jeweilige Amt
erfolgreich wahrnehmen zu können.
,,Als Gemeinde Jesu Christi hat jede Kirchengemeinde den Auftrag,
das Evangelium von Jesus Christus zu bezeugen und im Glauben an das
Evangelium
ihren Gehorsam zu bewähren. Sie ist dafür verantwortlich,
daß
das Evangelium in ihrer Mitte gemäß dem Grundartikel recht
verkündigt
wird in allen ihren Lebenskreisen Gehör und Gehorsam finden kann"
(Artikel 2, (1) Kirchenordnung der EKHN). Der Erfüllung dieses
Auftrages
an alle Christen dienen alle Ämter der Kirche, auch das Pfarramt
wirkt
dabei mit. (Artikel 14, (2) Kirchenordnung der EKHN /
Ordinationsvorhalt.).
An die Pfarrerinnen und Pfarrer der Ev. Kirche in Hessen und Nassau,
liebe Kolleginnen und liebe Kollegen,
das Maß ist voll! Unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen sind in den letzten Jahren immer mehr beschnitten und beeinträchtigt worden. Die Gesellschaft hat sich gewandelt und das Pfarrbild hat sich verändert. Mit diesen Entwicklungen sind wir professionell umgegangen und haben christliche Werte aufgenommen und zeitgemäß umgesetzt und geprägt.
Um weiterhin für die Gemeinden und die Gesellschaft als Pfarrer
und Pfarrerinnen qualifiziert diese Arbeit leisten
zu können, brauchen wir den Rückhalt unserer Kirche. Dieser
Rückhalt wird seit Jahren systematisch in Frage
gestellt und abgebaut.
An folgenden Punkten wird dies besonders deutlich:
Strukturen:
Reformen ohne ausreichende Diskussion der Basis und ohne angemessene
Anhörung und Mitbeteiligung der
Betroffenen ,
Stärkung hierarchischer Strukturen statt Eigenverantwortung;
Ersatz theologischer Rede durch die Sprache von Technik und Finanzwelt,
Geplante Bewertung und Kontrolle unserer Arbeit, statt Förderung
und Qualifizierung,
Keine Berücksichtigung der Qualität unserer Arbeit
Arbeitsbedingungen:
- Mangelndes EDV - Wesen auf allen Ebenen. Es gibt keine
Kirchensoftware,
keine Großabnehmerrabatte für Hard- und Softwareprodukte,
keine
Vernetzung; - Schwerfällig arbeitende Rentämter,
- Langsam und schwerfällig arbeitende Kirchenverwaltung, -
- Wachsende Belastung durch z. T. umständliche
Verwaltungspflichten,
- mangelndes Interesse der Kirche an Fortbildung und Qualifizierung
der Pfarrer und Pfarrerinnen: Kürzung der Fortbildungsmittel und
fehlende
Konzeption zur Förderung von Qualifizierungen.
Gehaltseinbußen:
- Niedrigere Eingangsbesoldung,
- Streckung der Dienstaltersstufen, - Existenz unfreiwilliger halber
Stellen
ohne Aussicht auf Vollstellen, -
- zeitweise Kürzung des Weihnachtsgeldes, -
- ( Innen- )Renovierungskosten für das Pfarrhaus, -
- Versteuerung der Dienstwohnung, Müll- und andere Nebenkosten,
-
sehr hohe Mieten und Renovierungskosten für InhaberInnen und
VerwalterInnen
übergemeindlicher und halber Pfarrstellen in Ballungsgebieten, -
- nachlässige Bearbeitung der Beihilfeanträge,
- steigende Fortbildungskosten.
Wir fragen:
Welchen Wert hat unsere Arbeit?
Welchen Wert hat unsere Motivation für die Kirche?
Welchen Wert haben wir?
Wir rufen unsere Kolleginnen und Kollegen auf zur Solidarität
und
zu kreativen Formen des Protestes !
Das Maß ist voll !
Unterschriften der Pfarrerinnen und Pfarrer des Dekanates Bad
Homburg:
Kündiger, Diefenbach, Lerch, Oeding, Schmitt, Kraemer, Moxter,
Grebing, Hartmann, Bollmann, Teichmann, Bechtold, Neumann-Hönig,
Synek,
Bender, Dr. Sohn, Blaurock, von Oettingen, Fettback, Dr. Büchsel,
Daum, Reiß, Berger, Lütke, Knohl, Schrick, Reiß,
Blaurock,
Bonnet, Credner, Dr. von Oettingen, Bergner, Lehwalder, Maas-Lehwalder
Über Rückmeldungen freuen wir uns sehr. Bitte verwenden Sie folgende Adresse:
Pfarrerinnen und Pfarrer des ev. Dekanates Bad Homburg v.d.H., c/o
S.
Schrick, Dornholzhäuser Straße 12, 61350 Bad Homburg v.d.H.
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Materialien zum Problem der Pfarrerdienstanweisung in der Kirche |
Pfarramt im Umbruch
Profil des Pfarramtes in der Zürcher Landeskirche (1997-98 ???)
Von Ruedi Reich, Kirchenratspräsident
Kirche und Pfarramt
Die Kirche ist mehr als das Pfarramt, und eine reformierte Kirche kann sich nicht einfach als "Pfarrerkirche" verstehen. Dennoch: Gerade in einer von reformiert-volkskirchlicher Tradition geprägten Kirche kommt dem Pfarramt eine grosse Bedeutung zu. Die Verkündigung des Evangeliums hat zentrale Bedeutung; darum hält auch das staatliche Kirchengesetz fest: "Die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich besteht auf Grund des Evangeliums..." (KG § 1).
Sicher, diese Verkündigung geschieht nicht nur durch Theologinnen und Theologen, aber ohne theologisch fundierte Verkündigung, Seelsorge und Unterweisung verkümmert eine reformierte Kirche. Verkündigung im umfassendsten Sinn ist Aufgabe der ganzen Kirche, nicht nur des Pfarramtes. Aber der "Dienst am göttlichen Wort" (KO Art. 181), wie er durch Pfarrerinnen und Pfarrer geleistet wird, ist für die Landeskirche unverzichtbar. Unsere Zürcher Kirchenordnung handelt darum sehr ausführlich von Ausbildung, Aufgabe, Verantwortung und auch Freiheit in bezug auf die Tätigkeit von Pfarrerinnen und Pfarrern.
Aber nicht nur die reformierte Identität unserer Kirche, sondern auch die volkskirchliche Situation betont die grosse Bedeutung des Pfarramtes. Kirchenerfahrungen sind für viele Menschen "Pfarrererfahrungen", sei es durch die Teilnahme an Tauf-, Konfirmations-, Hochzeits- und Beerdigungsgottesdiensten oder durch die Begegnung mit Pfarrerinnen und Pfarrern z.B. im Spital oder im Militär.
In den Medien werden Kirche und Pfarrerschaft häufig miteinander identifiziert. Solche Kirchenbilder müssen, auch wenn sie dem Selbstverständnis unserer Landeskirche nicht in allem entsprechen, ernst genommen werden: Für viele Menschen ist die Begegnung mit Pfarrerinnen und Pfarrern die Begegnung mit der Kirche schlechthin. Das positive oder negative Kirchenbild eines Grossteils der Bevölkerung ist geprägt von positiv oder negativ empfundener Begegnung mit Pfarrerinnen und Pfarrern.
«Der Pfarrer und die Pfarrerin sind theologisch ausgebildet für die Verkündigung des Gotteswortes in Predigt, Taufe und Abendmahl, für die Seelsorge und für den kirchlichen Unterricht. Im Gehorsam gegen den Herrn der Kirche und gebunden durch das Ordinationsgelübde sind sie in der Wortverkündigung frei. Ihnen kommt die Leitung des Gottesdienstes und der Seelsorge in der Gemeinde zu.» Kirchenordnung Artikel 119 Abs. 1
Aus diesem Gewicht, welches dem Pfarramt in reformiert-volkskirchlichen Verhältnissen zukommt, ergibt sich eine besondere Verantwortung der Landeskirche für die Pfarrerschaft und umgekehrt eine besondere Verantwortung der Pfarrerschaft für die Landeskirche. Die Zürcher Kirche betont darum stärker als andere Schweizer Landeskirchen die gesamtkirchliche Bedeutung und Einbindung des Pfarramtes. Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten zwar in den Gemeinden oder in besonderen Pfarrämtern, sie stehen aber immer im Dienstverhältnis zur Landeskirche.
Die Kirchenordnung hält ausdrücklich fest, Pfarrerinnen und Pfarrer hätten "die Anliegen der Gesamtkirche in den Gemeinden zu vertreten" (KO Art. 120, Abs. 4). Kirchenpflegen führen zwar die "Aufsicht über die Amtsführung der Pfarrerinnen und Pfarrer" (KO Art. 35, Abs. 4) und sind für den Erlass der "Pfarrdienstordnungen" (KO Art. 126) zuständig. Aber Ausbildung, Amtspflichten und rechtliche Stellung von Pfarrerinnen und Pfarrern sowie Wohnsitzpflicht, Amtswohnung und Besoldung sind bewusst landeskirchlich festgelegt.
Die Zürcher Tradition betont auch die öffentliche Stellung und Aufgabe des Pfarrers und der Pfarrerin und sieht darum Volkswahl auf jeweils sechs Jahre vor. Der Kirchenrat hat bisher trotz entsprechenden Vorstössen aus Kirchenpflegen und Pfarrerschaft auf die Erstellung von Pflichtenheften für den Pfarrdienst verzichtet. Pfarrerinnen und Pfarrer verrichten keinen "Job", sondern sie nehmen ein Amt wahr, zu welchem in gleicher Weise Verantwortung und Freiheit gehören; beides stellt die Kirchenordnung in eindrücklicher Weise dar. Zu diesem "Amtscharakter" gehört auch, dass hier Arbeitszeit und Freizeit nicht so deutlich voneinander zu trennen sind wie beim Grossteil anderer Berufe. Die Besoldung von Pfarrerinnen und Pfarrern ist daher nicht eine Entschädigung für einzelne kontrollierbare und messbare Leistungen, sondern Abgeltung einer Gesamtverantwortung.
Freiheit, persönliche Überzeugung, eigenes Profil und die
Wahrnehmung eigener Verantwortung gehören zentral zum
Pfarrerberuf;
ebenso aber die Fähigkeit, in kommunikativer Offenheit mit anderen
kirchlichen Amtsträgerinnen und Amtsträgern sowie
Freiwilligen
zusammenzuarbeiten. Wie immer sich in den nächsten Jahren die
Situation
der im Pfarramt Tätigen verändern mag, Freiheit und
Eigenverantwortung
zusammen mit der Fähigkeit, mit allen weiteren Verantwortlichen
kooperativ
zusammenzuarbeiten, gehören zum Wesen, aber auch zum hohen
Anspruch
des Pfarramtes. Hier ist insbesondere auf die "gemeinsame
Verantwortung"
von Kirchenpflegen, Pfarrerschaft und weiteren Verantwortlichen "zum
Aufbau
der Gemeinde" (KO Art. 35) hinzuweisen.
Gesellschaftliche und kirchliche Veränderungen
In den letzten fünfzig Jahren haben sich in Gesellschaft und Kirche viele Veränderungen ergeben, welche die Ausübung der Pfarrertätigkeit anspruchsvoller und schwieriger werden liess. In früheren Jahrhunderten und Jahrzehnten hatte das Amt an sich oft ein so grosses Ansehen, dass auch schwächere Persönlichkeiten durch ihr Amt "getragen" wurden. Auch wenn Amtsverrichtungen nicht zu aller Zufriedenheit getan werden konnten, achtete man doch den Amtsträger als Politiker, Lehrer oder Pfarrer. Dieses "Amtsansehen" hat in den letzten dreissig Jahren entscheidend abgenommen. Das Verhältnis von Amt und Person hat sich weitgehend umgekehrt: Früher trug das Amt die Person, heute hat die Person das Amt zu tragen.
«Ich als Pfarrer scheine gegenwärtig einen trostlosen Beruf zu haben. Es ist fast, als ob ich Nebel müllern wollte, um Mehl zu machen, oder mit Wolken oder Schnee Fundamente zu einem Hausbau. Und doch kann eine reiche Ernte kommen.» Jeremias Gotthelf
Neben einem immer noch eindrücklichen "Vorschussvertrauen" kommt so dem Pfarrer oder der Pfarrerin heute auch der ganze "Kirchenfrust" entgegen; Pfarrerin oder Pfarrer werden für alles verantwortlich gemacht, was in der Geschichte vom Christentum Zweifelhaftes verübt wurde oder was Einzelne vielleicht in ihrer Jugend mit der Kirche erlebt haben.
Pfarrerinnen und Pfarrer spüren aber auch in besonderer Weise den gesellschaftlichen Bedeutungsverlust, welcher die Institution Kirche insgesamt trifft. Sie sind nicht nur durch ihr Amt, sondern auch durch die "Institution Kirche" in weit geringerem Mass "getragen" als dies noch vor Jahrzehnten der Fall war. Religion wird immer mehr zur Privatsache. Dies zeigen Untersuchungen und Umfragen der letzten Jahre in grosser Deutlichkeit.
Der Trend zur multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft ist unverkennbar. Moderne Religiosität äussert sich häufig nach dem Muster: Religion ja, Kirche nein. Wir leben zwar in einer religiösen, aber in einer zunehmend unkirchlichen Zeit. Religiöse Vorstellungen werden nicht mehr aus der Tradition der grossen Institutionen übernommen, sondern der einzelne stellt sich seinen eigenen "religiösen Strauss" zusammen und verändert ihn je nach Zeit- und Lebensumständen. Religionssoziologen sprechen darum von "Patchwork-Religiosität".
So begegnet unsere Pfarrerschaft den unterschiedlichsten religiösen Vorstellungen und Bedürfnissen, aber auch sehr verschiedenen Vorstellungen darüber, wie sich Pfarrerinnen und Pfarrer zu verhalten hätten. Diese "Pluralität der Pfarrerbilder" erschwert die pfarramtliche Tätigkeit zusätzlich.
Weil Glaube und Kirche immer stärker als persönliche Angelegenheit empfunden werden, hat Verkündigung in zunehmendem Masse im Dialog zu erfolgen. Nach wie vor wird zwar das klare Profil und die gefestigte Überzeugung des Pfarrers und der Pfarrerin gesucht, zugleich sollen sie sich aber in Frage stellen lassen; sie sollen feinfühlig zuhören können und die je besondere Situation von Menschen erfassen und verstehen und zugleich als letzte Garanten für absolute Werte eintreten.
Neben den traditionellen Aufgaben von Predigt, Unterricht und Seelsorge hat so das persönliche Gespräch und die Arbeit mit Gruppen stark an Bedeutung gewonnen. Bei alledem haben sich die im Pfarramt Tätigen stets persönlich auszusetzen und in Frage stellen zu lassen. Dies macht ihre Tätigkeit persönlich bereichernd und anspruchsvoll, aber auch belastend.
Hinzu kommt, dass auch die in der Gemeinde Engagierten als "mündige Christinnen und Christen" selbstbewusster geworden sind und pfarramtliche Arbeit auch kritisch zu beurteilen vermögen. Mitglieder von Kirchenpflegen, diakonische und andere Mitarbeitende und vor allem auch Freiwillige verlangen zu Recht, dass man ihnen auf gleicher Ebene begegnet.
So stellen Individualisierung und mündiges Selbstbewusstsein,
eine
zunehmend multikulturelle und multireligiöse Situation, aber
auch Traditionsvergessenheit und Institutionsverdrossenheit
grosse
Ansprüche an Amt und vor allem auch an Person von Pfarrerinnen und
Pfarrern.
Strukturelle Veränderungen
Hinzu kommen strukturelle und institutionelle Veränderungen, welche die ganze Landeskirche betreffen, sich aber in besonderer Weise auf das Pfarramt und die darin Tätigen auswirken.
Die Landeskirche wird kleiner. Kirchenaustritte und demographische Veränderungen (Überalterung und Wegzug der reformierten Bevölkerung) lassen unsere Landeskirche Jahr für Jahr um etwa 5000 Menschen kleiner werden. Dies führt zu einem Rückgang der Pfarrstellen; auf Mitte des Jahres 2000 ist mit dem Verlust von gut zwanzig ordentlichen Pfarrstellen zu rechnen. Jeder Kirchgemeinde ist eine ordentliche Pfarrstelle garantiert; weitere Stellen können erst beim Überschreiten eines Quorums von 3000, 6000 oder 9000 Gemeindeglieder errichtet werden. Diese Regelung, welche im Kirchengesetz festgehalten ist (KG § 18), kann kaum verändert werden, wenn man feststellt, dass im Durchschnitt auf 1640 Reformierte eine Gemeindepfarrstelle entfällt; Spitalpfarrämter und weitere gesamtkirchliche Pfarrämter sind hier nicht mitgerechnet.
Die Situation rund um den Verlust ordentlicher Pfarrstellen verschärft sich noch dadurch, dass die Höhe der staatlichen Pauschalen für zeitlich befristete Pfarrstellen und gesamtkirchliche Pfarrämter nicht unbestritten ist.
Im Zusammenhang mit gegenwärtig noch hohen Zahlen von Ordinandinnen und Ordinanden und einem teilweisen Stellenabbau in anderen Landeskirchen muss uns diese Entwicklung Sorge bereiten im Hinblick auf die Beschäftigungssituation von Pfarrerinnen und Pfarrern. Von ihnen wird schon jetzt zunehmend Flexibilität verlangt, da sie zum Teil vor allem in den ersten Amtsjahren in Verwesereien und Vikariaten und nicht in gewählter Position tätig sind. Solche Lehr- und Wanderjahre haben zwar auch ihre positiven Seiten. Aber absolute Stellensicherheit gibt es auch für Pfarrerinnen und Pfarrer nicht mehr; an offene Stellen meldet sich oft eine zweistellige Zahl von Bewerberinnen und Bewerbern.
Allerdings: eine eigentliche Pfarrerarbeitslosigkeit gibt es in der Zürcher Kirche nicht. Im Gegenteil: Im vergangenen Jahr war es dem Kirchenrat nicht möglich, alle Vikariate und Verwesereien zu besetzen. Die Zahl der Studierenden an den Theologischen Fakultäten nimmt zudem markant ab. So ergibt sich in der Prognose für die nächsten fünf Jahre auf dem Stellenmarkt eine zwar unsichere und von gegenläufigen Tendenzen geprägte, aber keine dramatische Lage.
In einer solch undeutlichen Situation kann es nicht angehen, durch simple Rechnungen gleichsam vorsorglich statt Stellenreduktion Lohnkürzungen zu verlangen. Wenn Kirchgemeinden kleiner werden, so sind Stellenkürzungen oder zumindest Stellenverlagerungen unumgänglich, denn es gibt gleichzeitig auch Gemeinden mit stabiler oder wachsender Mitgliederzahl.
Im Hinblick auf die Lohnsituation unserer Pfarrerschaft sei einerseits an die dreiprozentige Kürzung von 1997 erinnert, die auch bei den Gesamtkirchlichen Diensten durchgeführt wurde. Ein Stufenanstieg der Besoldung hat zudem in den letzten fünf Jahren nicht mehr stattgefunden. Zürcher Pfarrerbesoldungen sind im gesamschweizerischen Vergleich zwar gut, liegen aber teilweise tiefer als in Nachbarkantonen. Andrerseits entsteht durch Verhandlungen über die Abgeltung der Historischen Rechtstitel ein zusätzlicher Druck auf die Pfarrbesoldung.
Der Kirchenrat hat sich in den letzten Jahren auch beim Pfarramt für Teilzeitstellen und Stellenteilung eingesetzt. Es gibt allein bei den Gemeindepfarrstellen in der Zürcher Kirche rund 70 Teilzeitstellen; 331 Gemeindepfarrstellen sind auf 361 Personen aufgeteilt; von 279 ordentlichen Stellen sind 15 gesplittet. Teilzeitarbeit verlangt von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden wie auch von Mitarbeitenden Flexibilität; die biographischen Verhältnisse können sich ändern, Veränderungen im Team oder in der Gemeinde schaffen eine neue Situation. So sind Teilzeitstellen oft nicht immer leicht zu besetzen. Der Kirchenrat verlangt zudem Wohnsitznahme in der Gemeinde bei einer Tätigkeit von mehr als 50 Prozent. Darüber kommt es oft zu Gesprächen und Auseinandersetzungen.
Die Wohnsitzpflicht hat den Sinn, Nähe zu den Menschen zu gewährleisten und Verfügbarkeit in Notfällen auch ausserhalb geregelter Arbeitszeiten zu ermöglichen. Wohnsitzpflicht mit Amtswohnung wurde früher oft als Privileg empfunden. Aber im Zeitalter von Flexibilität und Mobilität empfinden es manche Pfarrfamilien auch als eine Auflage, dass sie an einem bestimmten Ort in einem oft nicht an moderner Lebensweise orientierten historischen Gebäude wohnen und leben müssen. Die Wohnsitzpflicht, welche im Hinblick auf die Nähe der Pfarrerinnen und Pfarrer zu den Menschen in ihrer Gemeinde eine grosse Bedeutung hat, führt auch dazu, dass Arbeitszeit und Freizeit nicht klar abgegrenzt werden können. Ein allfälliger Stellenwechsel greift durch den unumgänglichen Wechsel des Wohnsitzes auch in persönliche und familiäre Beziehungen ein.
Für die Zusammenarbeit von Teilzeitlern und Vollzeitlern
müssen
aus all diesen Gründen angemessene Lösungen ausgehandelt und
abgesprochen werden. Da pfarramtliche Arbeit ihrem Wesen nach
unregelmässig
anfällt und Kontakte mit Menschen oft in deren Freizeit zu
erfolgen
haben, gibt es bei teilzeitlich und vollzeitlich im Pfarramt
Tätigen
keine "Normalarbeitszeit".
Das Pfarramt der Zukunft
Dies alles zeigt, dass das Pfarramt inhaltlich und strukturell nicht nur grossen Veränderungen ausgesetzt ist, sondern in einem eigentlichen Umbruch begriffen ist. Umbruchsituationen können auch Chancen beinhalten, bedeuten für die Betroffenen aber auch Verunsicherung und Belastung. Alle Veränderungen, denen unsere Landeskirche in den nächsten Jahren in zunehmendem Masse ausgesetzt sein wird, wirken sich im besonderer Weise auf das Pfarramt aus.
Der Kirchenrat hat sich im vergangenen Jahr mit dieser Entwicklung intensiv auseinandergesetzt. Anlässlich der Präsidentenkonferenz vom 1. November 1997 (Präsidien der Kirchenpflegen, der Bezirkskirchenpflegen und der Vorstände der Stadtverbände sowie Dekanin und Dekane) orientierte der Kirchenratspräsident über die Einschätzung dieser Situation durch den Kirchenrat. In Arbeitsgruppen wurden Präsidentinnen und Präsidenten sowie Dekane ins Gespräch einbezogen.
Es ging vor allem auch darum zu überlegen, ob es in Zukunft neben voll- und teilzeitlichen Pfarrstellen auch "funktionale Stellen" (Zuweisung bestimmter Aufgaben an Theologinnen und Theologen, z.B. Unterricht, Erwachsenenbildung u.a.) geben solle.
«Ich gelobe vor Gott, den Dienst an seinem Wort auf Grund der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes in Verantwortung zu erfüllen. Ich gelobe, in Gehorsam gegenüber Jesus Christus diesen Dienst durch mein Leben zu bezeugen, wo immer ich hinberufen werde.» Kirchenordnung Artikel 181
Der Kirchenrat bezog sich bei seinen Überlegungen und Gesprächsvorgaben unter anderem auch auf das "Berufsbild Pfarrer/Pfarrerin 1991" des Pfarrvereins des Kantons Zürich und die dort angesprochenen, zum Pfarrberuf gehörigen Fähigkeiten (Christliche Lebenskompetenz, Kommunikative Kompetenz, Theologische Kompetenz, Leitungskompetenz, Pfarramtliche Fachkompetenz, Gottesdienstliche Kompetenz, Seelsorgerliche Kompetenz, Sozialdiakonische Kompetenz, Pädagogische und didaktische Kompetenz, Kompetenz zur Begleitung und Gestaltung von Wendepunkterlebnissen im Leben, Kompetenz zur Förderung des Gemeindeaufbaus).
Der Kirchenrat hat die Gruppengespräche sorgfältig ausgewertet. Es zeigt sich dabei, dass die Präsidenten und Präsidentinnen strukturelle Probleme weniger stark gewichten als Fragen der Person des Pfarrers oder der Pfarrerin sowie Führungs- und Ausbildungsfragen. Der Kirchenrat hat das Gespräch über die Zukunft des Pfarramtes bewusst mit den Verantwortlichen der Kirchgemeinden und den Dekanen eröffnet, wird nun aber mit Dekanenkonferenz, Pfarrkapitel (diese haben sich bereits an gemeinsamen Retraiten mit Fragen des Amtsverständnisses auseinandergesetzt) und Pfarrverein zusammen mit der Theologischen Fakultät und dem zuständigen Teil der Gesamtkirchlichen Dienste das Gespräch weiterführen.
Es ist auch abzuklären, wie die Pfarrerschaft als ganze in Information und Gespräch einbezogen werden kann. Es wird dabei um Fragen der Struktur, der Arbeitsbedingungen bis hin zu Lohnfragen gehen. Es darf bei alledem aber nicht bei strukturellen und organisatorischen Fragen bleiben. Auch über Aus- und Weiterbildung ist nachzudenken. Vor allem kommt auch der Freude an einem Beruf, welcher Überzeugungsstärke und Nähe zu den Menschen mit seelsorgerlicher Grundhaltung und Liebe zum Evangelium verbindet, hohe Priorität zu. Für den Kirchenrat steht fest, dass aus dem freien und in grossem Mass eigenverantwortlichen Pfarrberuf kein reglementierter Beruf mit Dienst nach Vorschrift werden darf.
Grosser Wert ist auf die kommunikativen Fähigkeiten der Pfarrerinnen und Pfarrer zu legen. Die Nähe zu den Menschen ist etwas, was auch in Zukunft den Pfarrerberuf prägen muss. Die Konkordatskonferenz hat darum mit ihrem Beschluss, die persönliche Eignungsabklärung der Studierenden für das Pfarramt für eine Evaluationsphase von zehn Jahren einzuführen, bereits einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan.
Kurzfristig muss es im Hinblick auf den Zusatzdienst von
Pfarrerinnen
und Pfarrern in kleinen Gemeinden und auf die Zuteilung zeitlich
befristeter
Pfarrstellen zu einer vermehrten Zusammenarbeit zwischen den
Kirchgemeinden
kommen. Wie in den Legislaturzielen 1996/2000 dargestellt, misst der
Kirchenrat
dieser regionalen Zusammenarbeit grosse Bedeutung zu. Gerade weil das
Pfarramt
in der Zürcher Kirch stark auf die Landeskirche als ganze bezogen
ist, muss es zu einer vermehrten Zusammenarbeit über die
Gemeindegrenzen
hinaus kommen. Allerdings immer so, dass die Nähe zu den Menschen,
der persönliche Kontakt und das Miteinanderunterwegssein nicht nur
erhalten, sondern auch gefördert wird. Unter dieser
Grundvoraussetzung
müssen verschiedene Modelle pfarramtlicher Tätigkeit
(vollzeitliches
"integrales Pfarramt", Teilzeitstellen, vermehrte Möglichkeit
Stellen
zu splitten, funktionale Stellen, Teilspezialisierung, regionale
Zusammenarbeit)entwickel,
gewichtet und realisiert werden.
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Sieben Erfolgsrezepte
Kleine Typenlehre des deutschen Pfarrers, der
deutschen
Pfarrerin:
zwischen Andacht, Straßenkampf und Hexenschuss
VON HEDWIG GAFGA, EDUARD KOPP UND REINHARD MAWICK
Pfarrer sind nicht gleich Pfarrer - von Pfarrerinnen ganz zu
schwiegen.
Eine nicht ganz ernst gemeinte Orientierungshilfe zum Deutschen
Pfarrertag in Dresden
Der Jugendbewegte
Die Sache wird meist kritisch, wenn er die 40 deutlich überschritten hat, seine Besoldung von A13 nach A14 durchgestuft ist und die Knochen zu knirschen beginnen. Wenn die Konfirmanden bei seinen Sprachversuchen - Hi, Hey Ihr, Boh Ey, geil! - vor Scham erröten und gestandene Glieder der Gemeinde nur noch bedenklich mit dem Kopf wackeln, sobald die Rede auf ihn kommt: auf den ewig jugendbewegten Pfarrer!
Er hat den Satz, dass die Jugend die Kirche von morgen sei, zum ehernen Prinzip seiner Arbeit erhoben. Ärgern sich die gereiften Mitglieder des Kirchenvorstands über seine Krümeleien mit selbst gedrehten Zigaretten, bestätigt ihm dies nur, wie wichtig die Jugend ist. Vertraulich flüstert er der restlos auf ihn eingeschworenen Jugendgruppe ein, es habe mal wieder an diesem versteinerten Politbüro gelegen, dass es nichts werde mit dem neuen VW-Bully, dem Zuschuss für die Schwedentour, der Renovierung des Partykellers und der Verlegung des sonntäglichen Gottesdienstbeginns auf jugendfreundliche 18 Uhr.
Doch alle zwei Jahre ist für den jugendbewegten Pfarrer wirklich Weihnachten, dann fährt der Freund freakiger Kittel und luftdurchlässiger Jeans zum evangelischen Kirchentag. In langen Nächten auf harten Turnhallenböden erbringt der Patron junger Christen trotz drohender Hexenschussgefahr unermüdlich den Beweis, dass sich jede mixolydische Kirchentonart des 16. Jahrhunderts mit gutem Willen auf drei Schubba-schubba-Akkorde der Gitarre reduzieren lässt, sofern er den Seinen nicht gleich das ganze "muffige Zeug" aus dem Liederfriedhof des Evangelischen Gesangbuchs erspart und ausschließlich auf sanfte Sakropopballaden setzt.
Spätestens mit Mitte 50 fängt sich unser
Berufsjugendlicher
eine handfeste Depression ein. Meist finden einfühlsame
Kirchenleitungen
Mittel und Wege, den in Ehren ergrauten Helden auf ein
unauffälliges
Funktionspfarramt abzuschieben. Bei der nächsten Fahrt zum
Kirchentag
mit einer offiziellen Delegation ist dann Hotelzimmer angesagt.
Irgendwie
schade, aber irgendwie auch rückenschonend!
Der sanfte Guru
Wohlgefühl, du hast einen Namen: Meditation. Keine falsche
Bescheidenheit,
ihr Gurus, die ihr euch anschickt, den
Protestanten zu zeigen, dass es jenseits dieser Welt der Hetze und
Leistung noch eine andere gibt, eine Welt der Stille, der Lichter
und Zeichen. Ohne die Gurus wäre die Kirche zum Verwechseln
ähnlich
einem alternativen Sozialamt, wo sich Wohltäter und arme
Schlucker
gegenseitig die Klinke in die Hand drückten.
Die Stärke des christlichen Meisters ist die Besinnung. Eine Insel der Ruhe und Kontemplation schafft er inmitten hektischen Getriebes. Seine Stunde ist da, wenn alle ganz stille werden und nach vorne schauen, auf ihn. In seiner Stimme schwingt leises Entzücken, wenn er den einfachen Menschen sagen darf, dass dieser Moment ganz und gar ihnen gehört. Zen statt Video, Liturgie statt lustige Musikanten, Gebet statt schnelle Befriedigung. Oft keimt Mitleid in ihm auf, wenn er in die müden, von banalen Sorgen beherrschten Gesichter schaut. Wie Mäuse im Laufrad treibt sie die Angst um Job, Haus und Auto voran. Dazwischen schreitet er, der Seher, wohl wissend, wie bedürftig wir alle der geistlichen Nahrung sind.
Sein Wirken braucht den heiligen Raum. Moderne Zweckbauten sind ihm
ein Greuel. Der Raum soll strahlen wie das Herz des Menschen.
Freilich
muss er seine ahnungslosen Laien im Kirchenvorstand stets von neuem
überzeugen,
wie unverzichtbar das Blumenarrangement, Bilder und Paramente und
eine wohltemperierte Orgel für das geistliche Leben sind. Leidvoll
erfährt er ein ums andere Mal: Der Prediger in der
Wüste,
von dem die Bibel spricht, er ist es, der sanfte Guru, inmitten all der
Protestanten. Wie das hustet und wispert, wenn sein schlichtes
Holzkreuz
in der Stille wirkt, wie das in den Bänken knarrt, wenn er
andachtsvoll
zum Lobpreis anhebt, welch ergreifendes Kribbeln, wenn man einander die
Hand zum Friedensgruß darreicht. An besonders schlechten
Tagen
peinigt ihn die Stillosigkeit seiner Mitbrüder und Mitschwestern
bis
ins Körperliche hinein. Es ist eine arge Prüfung: Nur
in
winzigen Trippelschritten bewegen sich die Zeitgenossen auf dem Pfad
des
mystischen Geheimnisses. Doch manchmal kommt dem Guru ein
erlösender
Traum: Dann sieht er sich an der Spitze einer großen
protestantischen
Prozession, die selig voranschreitet.
Die Ökofeministin
Auf einem ehedem schmalen, inzwischen ausgetretenen Pfad marschieren die wirklichen Liebhaber der Frauen: die Ökofeministen. Sie widmen sich einem besonders ernsten Thema: Alle Menschen sind potentielle Opfer - zumeist der Männerwelt. Umweltkatastrophendrohen und Begehrlichkeiten des anderen, meist männlichen Geschlechts. Und das Schlimmste ist: Beides hängt ursächlich zusammen. Der ganzen, heilen Schöpfung pfuschte die Männerwelt dazwischen - oder war es die Schlange, oder Eva, damals im Paradies? Ach was, Unfreiheit und Bevormundung gilt es abzuwenden, und dazu setzt die pastorale Ökofeministin, unterstützt durch ein paar irrlichternde Männer, mit ihrer ganzen sprachlichen Kunst an: Gott ist kein Mann, Maria keine Heilige, der Leib kein Gefängnis, und schon gar nicht zur Verfügung des Ehemanns.
Das weibliche Element hüllt sich, unter und auf der Kanzel, in lila Schale: gleichsam liturgisch zum Bußakt einladend - nicht immer dem eigenen, sondern besonders dem der Männer. Die Verschränkung von Frauenbewegung und Evangelium ist zweifelsohne eine hohe theologische Kunst, andererseits aber leichter zu bewerkstelligen als die logische Verwirbelung von Vegetarismus und Psalmen beziehungsweise von Totalverweigerung und Bergpredigt. Kaum ein theologisches Thema, das sich nicht mit dem Kampf der Geschlechter verknüpfen ließe. Die Welt ist gleichsam durch männliches Zutun aus dem Gleichgewicht geraten. Da ist ein pastorales Donnerwetter unabdingbar.
Wenn sich nicht Pfarrgemeinden, Kindergärten und christliche Schulen um das Thema Mädchen und Jungs kümmern, wer denn dann? Wer vermöchte es sonst, solches Lamento gegen den männlichen Machismo und die Unmöglichkeit weiblicher Selbstentfaltung auf den Punkt zu bringen?
Leuchtet also, ihr handtellergroßen, farbigen Ohrringe
über
den Talaren. Strahlt, ihr rot geschminkten Lippen über der
gnadenlos
schwarzen Amtstracht der Pfarrerinnen. Schwirrt, ihr Worte voller
Intuition
und Ganzheitlichkeit, die der staubigen Theologensprache
entgegentritt.
An Stöckelschuhen unter den Talaren ist noch keiner irre geworden,
so wenig wie an blauen Strümpfen in Gesundheitssandalen.
Der theologische Aufklärer
Er lebt von den Irrtümern anderer wie eine Kürbispflanze vom Kompost. Je mehr Legenden den historischen Kern der Bibel umweben, umso mehr drängt es ihn, mit der Machete ins wuchernde Gestrüpp zu schlagen. Ans Licht mit der Wirklichkeit, Schluss mit den Halbwahrheiten! Die immer noch unerschöpfliche Volksreligiosität garantiert dem Aufklärer Arbeit bis ans Ende seiner Tage. Wie lange lag Jesus im Grab - und tat er es überhaupt? Erhob er sich mit Leib und Seele aus der Gruft - oder erstand er nur in unserem Denken und Hoffen auf? Konnte er tatsächlich übers Wasser gehen - oder wusste er nur, wo die Steine lagen, wie ein Kirchenkalauer behauptet?
Nebel, nichts als Nebel. Der theologische Aufklärer kämpft gegen ganze Nebelwände von legendären, mythischen Vorstellungen, dem Pfarrer und Pfarrerinnen allsonntäglich Vorschub leisten. Er sieht sich als Bademeister eines Reinigungsbades, aus dem die Wahrheit hell und strahlend hervorgeht. Die Welt liegt in einem unauffälligen, gleichwohl gigantischen Kräfteringen der Heuchelei mit der Wahrheit. Wo Pfarrer und Pfarrerinnen historische Personen verklären und in den Himmel heben, da sieht sich der Aufklärer in der Pflicht, Tacheles zu reden: Jesus, der Mensch. Jesus, der Mann. Jesus, der Freund der Frauen. Jesus, der schwierige Sohn. Jesus, der Jude. Jesus, der ängstliche Mensch. Jesus, der Genießer.
Der Aufklärer steht - paradox genug - in einer geradezu
kindlichen
Abhängigkeit von der frömmelnden Harmoniesuche und
Volksreligiosität
anderer Menschen. Ein Horror für ihn wäre: Gibt es keine
populäre,
gefühlvolle Verkündigung mehr, dann wird er
arbeitslos.
Kopf oder Herz? Natürlich Kopf. Kopf oder Bauch? Wieder ganz
eindeutig
Kopf. Emotionalen Eskapaden setzt der theologische Aufklärer
kluge, wohlformulierte Sentenzen entgegen. Und wofür es keine
literarischen
Quellen gibt, dem begegnet er mit Argwohn. Anerkennung
für
die Barths und Bultmanns des ausgehenden Jahrtausends! Zwar finden die
Psychologen unter den Theologen momentan mehr Aufmerksamkeit als die
Aufklärer
- einfach weil ihre Theologie durch Mark und Bein, Bauch und Herz
geht.
Doch als Fleisch gewordene Mahnung vor jeder Wohlfühlreligion
haben
sie ihren Platz - unter den Kanzeln, ganz oben auf dem
Bücherstapel.
Der große Schmerzensmann
Der mentale Sturzflug bedroht Menschen in der Lebensmitte: allüberall Vergeblichkeit und Mittelmaß, das Leiden ist groß. Beharrliche Begleiter der Frustrierten sind Pfarrer, die sich selbst diese Haltung zu Eigen gemacht haben und in eigenwilliger Abwandlung der Frohbotschaft die Lebenserfahrung kommunizieren: "Es ist alles so schrecklich." Wie sollten sie auch nicht leiden? Die Volkskirche erodiert, die Ziegel fallen vom Kirchtumdach, die Orgel ist verstimmt, Gelder werden knapp und zum Gottesdienst kommen nicht mehr als eine Handvoll Personen. Ist doch schade um die viele Arbeit.
Leiden steckt an, und Leiden ist eine christliche Tugend. Pastörlich zu leiden ist aber eine besondere Kunst: Es ist ein stilles, gleichwohl unübersehbares Leiden, ein versteckt-offensichtliches Grämen, ein verschämt- demonstrativer Kummer - sicherlich ganz und gar ernst gemeint, aber zugleich auch lehrreich. Die Gemeinde merkt auf: Es ist an der Zeit, sich Sorgen zu machen. Sagen wir, wie's ist: Man könnte ja so tolle Projekte starten, wenn es genug eld-Leute-Räume-Zeit-Autos-Parkplätze- Schreibkräfte-Ferienhäuser- Grillstellen-Sozialarbeiter-Ruderboote- Organisten gäbe. Und was wäre alles möglich, wenn es nicht immer Kirchenämter- Antragsformulare- Pröpste- Kirchenvorstände- Bauämter- TÜVs- Tarifverträge- Mutterschaftsurlaube- Parkverbote- Krankschreibungen- Feuerschutzvorschriften gäbe.
Wenn uns eine Erlösung verheißen ist, dann auch die von
Vorschriften
aller Art. Den leidenden evangelischen Pfarrern und Pfarrerinnen
schwant eben nicht nur ein neuer Himmel, sondern auch eine neue Erde.
Kein
Ärger mehr, keine Magengeschwüre, kein Burnout-Syndrom,
kaum mehr Wochenend- und Feierabendarbeit. Aber jede Menge begeisterte
Zeitgenossen, fraglos hilfsbereit, unermüdlich charmant und
am besten auch finanzstark. Und der große Schmerzensmann, die
große
Schmerzensfrau: endlich am Ziel aller Wünsche.
Der Manager im Talar
Das Wichtigste zuerst: Er ist besser als die meisten seiner Brüder und Schwestern im Amte. Während diese zumeist dumpf und aus dem Bauch heraus vor sich hin seelsorgen, hat er, der Unternehmer im Talar, eine Analyse und ein klares Konzept. Spirituelle Dienstleistung am Nächsten ist angesagt und zwar mit Power und auf einem gewissen Niveau! Der alte Gemeindeklüngel interessiert ihn nicht. Kerngemeinde? Schrecklich! Was für ein graues, gescheitertes Milieu! Distanzierte, sie sind der Kirchenmarkt der Zukunft! Mindestens die Hälfte aller Kontakte eines vernünftigen Managerpfarrers müssen Außenkontakte sein, das gehört doch zum kleinen Einmaleins des Kirchenmarketing!
Zusammen mit Gleichgesinnten verbringt unser Mann viel Zeit auf Kongressen und Ausstellungen, schließlich muss er sicher sein, dass Faxgerät, Modem und ISDN-Anschluss auf dem neusten Stand sind, bevor er so einfach eine Begegnung mit den ihm anvertrauten Gemeindegliedern riskiert, denn unser Unternehmer im Talar weiß: Das Pfarramt von heute ist mit der Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens vergleichbar. Mut zur Führung und zur Leistung! Von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen!
Warum können ihm darin bloß so viele Kolleginnen und Kollegen nicht folgen? Ach, das große Heer der Neider! Wenn es nach ihm ginge, wäre mindestens der Hälfte derer, die heute die Kanzeln bevölkern, niemals das Gütesiegel "Ordination" verliehen worden. Warum befreit der Herr seine Kirche nicht von der Heuschreckenplage der Ökos, Müslis und Altachtundsechziger, die unentwegt über Partizipation, Sozialklimbim und Feminismus plaudern? Die abwechselnd auf der Klaviatur der Entrüstung und der Überzeugung spielen.
Manchmal möchte der fromme Unternehmer schier verzweifeln.
Warum
hat er bloß damals die Angebote aus der freien Wirtschaft
abgelehnt.
Würde er dort jetzt das Zehnfache verdienen? Dann könnte er
sich,
statt im Seniorenkreis "Stern, auf den ich schaue" zu singen,
endlich
den Stern leisten, den er eigentlich verdient hätte: den von
Mercedes!
Das soziale Gewissen
In ihm ist David wieder erstanden. Den Bossen und Bonzen bietet er die Stirn. Kein Unrecht soll geschehen, ohne dass einer es beim Namen nennt. Nur: Oft ist keiner da, doch dann kommt er, kommt sie. Sie rufen einen Unterstützerkreis ins Leben, geben der symbolischen Hausbesetzung geistlichen Rückhalt, bahnen einer kurdischen Männergruppe den Weg ins Gemeindehaus. Wozu taugt ein Pastor, wenn nicht als Anwalt der Schwachen, als soziales Gewissen der Gemeinde, der Stadt, des Erdkreises?
Das Evangelium ist parteilich, und diese Tatsache macht den Gottesmann, die Gottesfrau ein wenig atemlos. Allzu viele Benachteiligte harren seines Beistands. Da bleibt zur Vorbereitung der Predigt am Samstagabend im Zweifel nur wenig Zeit. Zum Glück kriegt er trotzdem den Bogen: von der Schöpfungsgeschichte zum Skandal der Drogenpolitik, vom Auszug aus Ägypten zum Warnstreik der Bierbrauer und von der Sendung des Heiligen Geistes hinüber zur geplanten Demo gegen rechts. So lebendig gerät seine Ansprache, dass am Schluss allen klar ist: Der Heilige Geist weht hier und heute, im aktuellen Protest.
Diese Freunde des offenen Wortes schätzt und kennt man
allenthalben,
am meisten jenseits des eigenen Gemeindekreises. Freilich, das
geben
sie zu: Man muss Prioritäten setzen, zur Not auch auf Kosten der
Krankenbesuche,
Geburtstagsfeiern, Gespräche mit Eltern von
Konfirmanden.
Das soziale Gewissen ruht und rastet nicht. Zum Glück gibt's da
ein
paar ältere Frauen, die beim Alltagsgeschäft der
Gemeinde
einspringen. Haben ja auch sonst nicht viel zu tun. Sie
überbringen
nun Glück- und Segenswünsche und beste Grüße
vom
Pfarrer. Oder hätte David, statt gegen Goliath anzutreten,
einen
80. Geburtstag mitfeiern sollen? Na also!
©DS - DEUTSCHES ALLGEMEINES SONNTAGSBLATT,
25. September 1998 Nr. 39/1998
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AMT & DIENST - PFARRERBILD |
Materialien zum Problem der Pfarrerdienstanweisung in der Kirche |
Im Gespräch: Manfred Kock
Die Kirche kann wachsen
Was die Kirche von Unternehmern lernen kann: Der EKD-Ratsvorsitzende
Manfred Kock über die Chancen und Grenzen wirtschaftlichen Denkens
in den Gemeinden
Herr Kock, vor zwei Wochen wurden Sie zum Vorsitzenden des Rates der EKD gewählt. Fühlen Sie sich jetzt wie der Vorstandsvorsitzende eines großen Unternehmens?
Manfred Kock: Nein, mein Verständnis von Kirchenleitung ist immer auf Kollegialität bezogen. Anderswo stehen Bischöfe an der Spitze der Landeskirche, bei uns im Rheinland heißt der Vorsitzende der Kirchenleitung Präses, und er hat keine eigene Würde, kein eigenes Recht, keine besonders herausgehobene Stellung.
Ist es nicht für die evangelische Kirche gerade ein Problem, daß die einzelnen Persönlichkeiten hinter den Gremien verschwinden? Die Menschen orientieren sich doch an Personen und nicht an Gremien.
Kock: Daß sich Kirche nicht durch ein Amt oder gar ein Leitungsamt, sondern durch Gemeinschaft konstituiert, ist eine wichtige Komponente des evangelischen Kirchenverständnisses. Auch der Rat der EKD ist ein Kollegium, und die Stimme des Vorsitzenden hat bei Abstimmungen nicht mehr Gewicht als die der anderen Ratsmitglieder. Der Ratsvorsitzende hat die Rolle des Repräsentanten, der den Rat in der Öffentlichkeit vertritt. Die Erwartung, daß einer der Chef sein muß, hat die Welt an uns herangetragen! Die EKD wird in Zukunft daran zu messen sein, ob es ihr gelingt, die Gemeinschaft der Kirchen untereinander zu stärken. Das muß nicht mit der Stärkung der Zentrale beginnen, im Gegenteil, ich halte dies für gefährlich, denn es bringt die einzelnen Landeskirchen eher in eine Abwehrhaltung.
Welche zwei, drei Leute sind denn nun für richtungsweisende Entscheidungen verantwortlich?
Kock: Beim Rat der EKD sind es 15. Und unter diesen 15 wird es auch immer wieder Mehrheitsentscheidungen geben. Wir arbeiten nach demokratischen Prinzipien.
An die Einführung einer evangelischen Unfehlbarkeit war nicht gedacht.
Kock: Auch die katholische Bischofskonferenz fällt Mehrheitsentscheidungen, die dann nach außen allerdings sehr deutlich als Gemeinsames dargestellt werden. Wir Evangelischen müssen lernen, das, was wir verabreden, auch gemeinsam zu tragen, dafür auch gemeinsam den Kopf hinzuhalten. Wir gehen manchmal zu gerne in Deckung.
Erscheint Ihnen der Ansatz, Kirche auch als Unternehmen zu sehen und Reformideen auch der Wirtschaft abzugucken, sinnvoll?
Kock: Zwar sollten wir die kirchliche Arbeit nicht nach
wirtschaftlichen
Kriterien beurteilen, aber bei der Analyse kommunikativer Prozesse
brauchen
wir sehr wohl wirtschaftliche Instrumente. Zum Beispiel muß unter
ihrer Zuhilfenahme geklärt werden, wieviel Menschen an einem
bestimmten
Projekt hauptamtlich mitwirken sollen. Kirchliche Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter müssen moderne Kommunikationsformen lernen, um auch
Menschen
außerhalb der Kerngemeinde zu erreichen. Solche "weltlichen"
Kategorien
brauchen wir auch in der Seelsorgeausbildung. Wir müssen sie
benutzen,
um heute sachgerecht arbeiten zu können.
Im wirtschaftlichen Leben spielen Leistung und Leistungsmessung
eine
zentrale Rolle. Sollte sich daran auch die Kirche orientieren?
Kock: In uns selbst steckt das Bedürfnis, die Sache gut
zu
machen, insofern ist Leistungsdenken uns nicht fremd. Ich brauche die
Kategorie
der Leistung bei der Frage, ob ein Mensch die Gaben, die ihm mitgegeben
sind, auch nutzt oder ob er sie vergräbt oder unnütz
einsetzt.
Es ist wichtig, die Leistungsfähigkeit eines Menschen zu erkennen,
damit er am richtigen Platz eingesetzt werden kann, aber nicht, damit
man
Menschen aussortiert. Insofern gehört die Kategorie Leistung sehr
wohl in die kirchliche Arbeit. Allerdings sehe ich die Grenze dort
erreicht,
wo man die Leistung eines Menschen anhand von außen
meßbaren
Kategorien bewerten will.
Im Münchenprogramm, das die Unternehmensberatung McKinsey
entwickelt hat, ist regelmäßiges Controlling, also eine
Prüfung,
ob angestrebte Ziele erreicht wurden, vorgesehen. Ein Schritt in die
richtige
Richtung?
Kock: Controlling halte ich in der Kirche für
unverzichtbar,
denn auch wir brauchen eine Möglichkeit der Bilanzierung. Wenn wir
Verabredungen treffen, brauchen wir auch Verfahren, die uns sagen, was
dabei herausgekommen ist. Es muß nachvollziehbar sein, was der
Anteil
des Menschen X oder Y an einem bestimmten Ergebnis ist. Insofern sollte
Controlling selbstverständlich sein und zum Rhythmus kirchlicher
Arbeit
gehören.
Einige Referenten sahen im Beamtenstatus der evangelischen
Pfarrerschaft
ein Hindernis für Veränderungen. Weil die Arbeitsplätze
der Pastoren abgesichert sind, würden sie Mitglieder- und
Einnahmenverluste
weniger ernst nehmen als notwendig und wichtige Neuerungen nicht
vorantreiben.
Kock: In dieser Argumentation wird behauptet, daß uns die Abschaffung des Beamtenstatus leistungsbereitere Pastorinnen und Pastoren bescheren würde. Das halte ich für falsch. Ich bin ein Verfechter des verbeamteten Pfarrerstandes. Denn dieser Status bringt in erster Linie das hohe Maß an Verfügbarkeit der Mitarbeiter zum Ausdruck. Ein Pfarrer verkauft nicht seine Arbeitszeit, zum Beispiel 38,5 Stunden, an die Kirche, sondern im Grunde ist er unbeschränkt verfügbar. Das halte ich für unaufgebbar.
Bedeuten dann auch halbe Arbeitsstellen volle Verfügbarkeit?
Kock: Ja. Anders als manchmal unterstellt, sind die meisten Pastoren eben keine Faulpelze. Durch die Unregelmäßigkeit und die Fülle der anfallenden Arbeiten und Aufgaben, neigen sie im Gegenteil häufig zur Selbstausbeutung. Sie sind von einem sehr starken inneren Pflichtgefühl gegenüber dem eigenen Beruf bestimmt. Als Superintendent in Köln habe ich viel mehr mit Pastoren zu tun gehabt, die sich kaputtgearbeitet haben, als mit solchen, die sich einen guten Tag machten.
Woran liegt es, daß viele Pastoren sich abarbeiten und trotzdem nicht das Gefühl haben, in ihrem Beruf erfolgreich zu sein?
Kock: Gerade in dieser Zeit, wo Kirche keine große Konjunktur zu haben scheint, erleben Pastoren ihren Dienst oft als Sisyphusarbeit. Man rollt einen Stein den Berg hoch und muß doch immer wieder von vorne anfangen. Daß Erfolgserlebnisse ausbleiben, liegt aber nicht nur an der Sperrigkeit der Botschaft, sondern auch daran, daß wir etwas verkehrt machen. Pastoren müssen bestimmte Kompetenzen stärker entwickeln. Zum Beispiel die Kompetenz, eine Gemeinde wirklich leiten zu können. Kraft Amtes zu sagen: "Ich bin der Vorsitzende", reicht nicht aus, sondern man muß wissen, was es konkret heißt, Vorsitzender eines Gremiums oder einer Einrichtung zu sein. Kirchliche Mitarbeiter brauchen zudem mehr missionarische Kompetenz. Dabei geht es um die Frage, wie wir mit Leuten umgehen, die von Jesus nichts mehr wissen wollen. Was wir unternehmen können, damit sich das ändert. Drittens müßte die Fähigkeit der Moderation gestärkt werden, wobei es zum Beispiel darum geht, Menschen für ein bestimmtes Arbeitsvorhaben begeistern zu können. Das kann man lernen. Ich halte es für besser, auf die freiwillige Lernfähigkeit von Pastorinnen und Pastoren zu setzen, als sie wie auch immer unter Leistungsdruck zu setzen. Das tun sie selbst schon oft genug.
Die Kirche muß sich auf einem Markt von Sinnanbietern behaupten. Sie steht in Konkurrenz.
Kock: Deshalb müssen sich Pfarrer und Gemeinden auf die Socken machen!
Wie kann die Kirchenleitung sie dabei unterstützen?
Kock: Die Kirchenleitung kann bereits in der Ausbildung
dafür
werben, daß Pastorinnen und Pastoren die Zukunft als etwas
Verheißungsvolles
betrachten. Aber wir müssen auch die Strukturen verändern.
Zum
Beispiel kann es in Ballungsgebieten sinnvoll sein, ganze Teams
einzusetzen,
die als eine Art spirituelle Gemeinschaft, als Kristallisationspunkt,
fungieren.
Hier kann eine Kirchenleitung im Bereich der Rechtsformen oder der
personellen
Ausstattung die Voraussetzungen schaffen.
Im von der Unternehmensberatung McKinsey initiierten
Münchenprogramm
werden Menschen nach ihren Wünschen an die Kirche gefragt. Soll
die
Kirche sich wie ein Wirtschaftsbetrieb auf die Erwartungen von
Kunden
einstellen? Sind nicht wesentliche Inhalte der Verkündigung
vorgegeben
und damit von Kundenwünschen unabhängig?
Kock: Wir können Kundenwünschen insofern Rechnung tragen, daß unsere Kunden _ und damit meine ich besonders distanzierte Kirchenmitglieder - erkennen: Unsere Kirche nimmt uns wahr, wir sind für sie wichtig! Und zwar nicht weil wir etwas leisten oder weil wir etwas zahlen, sondern weil wir als Menschen wichtig sind. Das sollen sie bei uns spüren, zum Beispiel an der Art und Weise, wie Gottesdienst gehalten wird, welcher Tonfall bei uns herrscht, wie das Gemeindehaus eingerichtet ist oder daran, daß die Kirche geöffnet bleibt. Leider gelingt uns das oft nicht. Als ich kürzlich in einer fremden Gemeinde mit 15 anderen Besuchern an einem Gottesdienst teilnahm, wäre ich beinahe hinausgegangen, ohne daß mich jemand aus der Gemeinde angesprochen hätte. Wenn ein Fremder in einen Gottesdienst geht und keiner der Stammbesucher sich an ihn wendet, stimmt etwas nicht!
Denken kirchliche Mitarbeiter noch immer, es sei nicht nötig, um die Leute zu werben. Ist sich die Kirche dafür noch immer zu fein?
Kock: In vielen Gemeinden geht es herzlich zu, manchmal zu betulich, dann müssen Leute Händchenhalten und sich umarmen lassen, obwohl sie nicht wollen. Wir müssen sensibel sein, oder anders gesagt, wir müssen bedürfnisorientiert denken. Das gilt besonders für die Sprache, die wir verwenden, und ihre Verständlichkeit.
Sollten die Gemeinden, wie es McKinsey vorschlägt, ihre Mitglieder nach ihrem Urteil und nach ihren Wünschen befragen?
Es gibt schon eine Menge Befragungen, auf deren Ergebnisse man zurückgreifen kann. Man muß nicht immer neue initiieren. Wenn aber eine einzelne Gemeinde wissen will, ob ihr Angebot an Gottesdiensten gut und angemessen ist, kann Befragung das richtige Mittel sein, dies zu erforschen. Wir müssen uns davon verabschieden, einfach so zu verfahren, wie wir es kennen und für richtig halten.
Derzeit gehen die Kirchen von einem drastischen Mitgliederrückgang in den kommenden Jahren aus. Wollen Sie sich mit dieser Prognose abfinden, oder wird die Kirchenleitung versuchen, diesen Trend umzukehren?
Kock: Die demographische Entwicklung läßt eine abnehmende Zahl der Kirchenmitglieder wahrscheinlich erscheinen. Aber ich habe die große Hoffnung, daß wir durch Mission und engagierte Arbeit diesen Trend zumindest abmildern können. Ich bin überzeugt, daß uns unsere Botschaft zu einer solchen Hoffnung berechtigt, denn das Evangelium ist faszinierend und kann auch heute Menschen gewinnen, die abseits stehen. Wenn sie in der Kirche etwas von der Nähe Gottes spüren, kann die Kirche durchaus wachsen.
Der Kongreß "Unternehmen Kirche" versteht sich als Ansatz, Kirche zu reformieren. Andererseits ist "Unternehmen" für viele ein Reizwort, das sie abschreckt und den Verdacht nährt, daß Kirche sich den gesellschaftlichen Verhältnissen unterordnen, daß Kirche angepaßt werden soll.
Kock: Ich möchte gerne von Unternehmern lernen, wie wir Mitarbeiter besser als bisher motivieren können, sich wirklich auf Menschen einzulassen. Das heißt nicht, daß man ihnen nach dem Mund reden soll, sondern daß man sich auf ihre Trauer, ihre Zweifel, auf ihre Suchbewegungen einläßt. In der Kirche müssen wir lernen, nach ökonomischen Kategorien zu wirtschaften. Im übrigen lebe ich von einer Hoffnung, die auch nicht einbricht, wenn Erwartungen enttäuscht werden. Selbst wenn wir zahlenmäßig kleiner werden, können wir Salz der Erde sein. Schrecklich wäre jedoch, wenn die Kirche in der Rolle einer Minderheit sektiererische Züge annehmen würde. Ich bin davon überzeugt, daß unsere Botschaft nach wie vor auf den Marktplatz und nicht in die Katakomben und Hinterzimmer der Öffentlichkeit gehört.
Die Fragen stellten Hedwig Gafga und Reinhard Mawick
©DS - Das
Sonntagsblatt,
21. November 1997, Nr. 47/1997
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AMT & DIENST - PFARRERBILD |
Materialien zum Problem der Pfarrerdienstanweisung in der Kirche |
. Berufsbild der
GemeindepfarrerInnen
- Dienstrechtsreform (Ev. Kirche im Rheinland 11/98)
- Grundsätzliches - Anforderungen für
die Berufsgestaltung
- Gesamtkonzeption gemeindlicher Aufgaben
- Eignungsvoraussetzungen
- Qualifikation
- Dienstverhältnis -Leistungsgedanke
- Dienstwohnung (Residenzpflicht und Kosten)
- Pfarrberuf zwischen Selbstbild und
Gemeindeerwartung
(Umfrage)
Das Vollständige Dokument mit den Ergebnissen Datei: (amt-101a.rtf) laden
Ausführungen zum Berufsbild der Gemeindepfarrerinnen und Gemeindepfarrer und Umsetzung der Dienstrechtsreform in das Dienst- und Besoldungsrecht der Pfarrerinnen und Pfarrer
Die Leitung der Ev. Kirche im Rheinland machte sich am 13.11.98 diese, auf der Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Berufsbild der Pfarrerinnen und Pfarrer“ gemäß Beschluß der Landessynode Nr. 57 Abschnitt II Nr. 3 vom 15.01.98 basierende, Vorlage des Landeskirchenamtes zu eigen.
1 Grundsätzliches
Menschen das Evangelium nahezubringen und sie einzuladen, danach zu leben, ist die Mitte des kirchlichen Auftrages. Aus diesem Auftrag leiten sich die Aufgaben und Tätigkeiten einer Pfarrerin und eines Pfarrers ab.
Der Auftrag bezieht sich seinem Wesen nach auf die gesamte Existenz des Menschen. Eine generelle Spezialisierung des Gemeindepfarramtes auf einzelne Aufgabenbereiche ist deshalb, trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen, nicht möglich.
Eine flächendeckende Ausstattung mit Gemeindepfarrstellen ist für die Erfüllung gemeindlicher Aufgaben in der derzeitigen Situation unserer Kirche notwendig.
Pfarrerinnen und Pfarrer erfüllen ihre Aufgaben in den
Handlungsfeldern
- Gottesdienst, Predigt und Amtshandlungen
- Christliche Unterweisung
- Seelsorge und Beratung
- Diakonie und soziale Arbeit
- Theologische Zurüstung von Mitarbeitenden
- Bildungsarbeit
- Gemeindeaufbau und Mission
- Ökumene und Weltverantwortung
- Öffentlichkeitsarbeit
- Gemeindeleitung
Hierzu brauchen Pfarrerinnen und Pfarrer den Handlungsfeldern entsprechende Qualifikationen und Kenntnisse.
Es ist Aufgabe der Kirche, die dafür nötigen
Voraussetzungen
zu schaffen.
2 Gesamtkonzeption gemeindlicher Aufgaben
Die Gestaltung des Dienstes der Pfarrerin oder des Pfarrers in der jeweiligen Gemeinde ist Teil einer grundlegenden Planung zur Erfüllung der Aufgaben der Kirchengemeinde. Die Planung orientiert sich an dem Auftrag der Kirchengemeinde und den Bedürfnissen ihrer Gemeindeglieder. An der Planung sind das Presbyterium, die Pfarrerinnen und Pfarrer, alle weiteren Mitarbeitenden und die Gemeinde beteiligt. Das Planungsergebnis soll in einer Gesamtkonzeption gemeindlicher Aufgaben festgehalten werden.
Die Gesamtkonzeption soll einen Aufgabenkatalog enthalten, in dem die in der Gemeinde vorhandenen Gaben, Fähigkeiten und beruflichen Qualifikationen gleichberechtigt berücksichtigt sind. Es ist darauf zu achten, daß das Maß der festgelegten Verpflichtungen erfüllbar bleibt. In diesem Aufgabenkatalog sind auch die Aufgaben der Pfarrerin oder des Pfarrers im Sinne einer Stellenbeschreibung aufgeführt. Die Stellenbeschreibung liegt der Dienstanweisung der Pfarrerrin oder des Pfarrers zugrunde.
Wo es möglich oder erforderlich ist, werden innerhalb dieser Gesamtkonzeption auch eingeschränkte Dienste im Pfarramt und Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse in den übrigen Arbeitsbereichen gestaltet.
Die Gesamtkonzeption soll das Presbyterium regelmäßig überprüfen und fortschreiben. In den Gemeindevisitationen prüft der Kreissynodalvorstand, ob dies geschehen ist. Kriterien für die Erarbeitung und Überprüfung von Gesamtkonzeptionen gemeindlicher Aufgaben werden von der Landeskirche vorgelegt.
II. Anforderungen an die Person der Pfarrerin und des Pfarrers
Die Aufgaben der Pfarrerin und des Pfarrers erfordern charakterliche, intellektuelle, psychische und physische Eignung sowie den Erwerb fachlicher berufsbezogener Kenntnisse und Fähigkeiten.
3 Eignungsvoraussetzungen
Eignungsvoraussetzungen sind insbesondere
- Formen eigener „praxis pietatis“ und Offenheit für spirituelle
Prozesse und Erfahrungen
- Fähigkeit zur Integration von theologischen Erkenntnissen und
persönlicher Existenz
- Übereinstimmung des Lebens und Handelns mit der beruflich zu
vertretenden christlichen Botschaft und mit den daraus abgeleiteten
Regeln
- Dialog- und Kontaktfähigkeit
- Bereitschaft zu Zuwendung und helfender Begleitung
- Sensibilität für Lebenssituationen und ihre Probleme
- Fähigkeit, Konflikte auszutragen und Krisen zu bewältigen
- Offenheit zur Selbstkritik
- geistige Beweglichkeit
- Belastbarkeit
- Vertrauenswürdigkeit
- Engagement
- Veränderungsbereitschaft
- bewußte Teilnahme am öffentlichen Leben.
Unterschiedliche Temperamente, Prägungen und
Persönlichkeitsstrukturen
werden hier als Gaben und Möglichkeiten begriffen.
Persönliche
Akzente sind wünschenswert.
4 Qualifikation
Zur fachlichen berufsbezogenen Qualifikation gehören
insbesondere
- grundlegende Kenntnisse entsprechend den Fächern der
Theologischen
Prüfungen
- kommunikative Kompetenz, einschließlich Fremdsprachenkompetenz
- missionarische Kompetenz
- liturgische Kompetenz
- grundlegende didaktische und methodische Kenntnisse für
verschiedene
Altersstufen und Lerngruppen
- Fähigkeit zu seelsorgerlich-beratender
Gesprächsführung
und Kenntnis praktischer Hilfen sowie psychologischer und
gesellschaftlicher
Zusammenhänge
- Fähigkeit zu einladendem und werbendem Handeln
- Kenntnis und Anerkennung anderer Kompetenzen in der gemeindlichen
Arbeit
- Teamfähigkeit
- Kompetenz in Leitung und Personalführung
- Fähigkeit und Bereitschaft zur Arbeitsteilung und Delegation
sowie zur Gremienarbeit
- Fähigkeit zur Selbstorganisation und Zeiteinteilung sowie zur
Kontrolle von Arbeitsergebnissen
- grundlegende Kenntnisse über Recht, Verwaltung und Finanzen
5 Konsequenzen
Bei allen Prüfungen oder dienstrechtlichen Beurteilungen und Entscheidungen wird festgestellt, ob fachliche berufsbezogene Qualifikationen angemessen nachgewiesen werden können. Bei dienstrechtlichen Beurteilungen und Entscheidungen wird außerdem festgestellt, ob Eignungsvoraussetzungen fehlen.
Die Ausbildung muß diese Qualifikationen vermitteln und die Eignung vertiefen. Daraufhin sind die angewandten Ausbildungsformen regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern. Durch regelmäßige Fortbildung sind Eignung und Qualifikation weiterzuentwickeln.
Die dienstrechtlichen Bestimmungen müssen sich an den beschriebenen Eignungsvoraussetzungen sowie an den fachlichen berufsbezogenen Qualifikationen orientieren.
6 Dienstverhältnis
Pfarrerinnen und Pfarrer werden in ein kirchengesetzlich geregeltes öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis berufen. Dies ist die dienstrechtlich ausgestaltete Form des Verhältnisses zwischen Pfarrerinnen oder Pfarrern und der Landeskirche sowie der Beschäftigungsstelle. Die dieser Art des Dienstverhältnisses zugrundeliegenden Grundsätze entsprechen in besonderer Weise den Anforderungen des Pfarrberufes. Die Einstellung und Beschäftigung mit privatrechtlichem Vertrag soll auch weiterhin auf dienstrechtlich geregelte Ausnahmen beschränkt bleiben.
7 Leistungsgedanke
Das für das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis allgemein geltende Leistungsprinzip muß unter Berücksichtigung der Besonderheiten des pfarramtlichen Dienstes angewendet werden. In erster Linie sind daher Maßnahmen vorzusehen, die sowohl den Beschäftigungsstellen als auch den Pfarrerinnen und Pfarrern Aufschluß über die quantitativen und qualitativen Leistungen bei der Ausführung der übertragenen Aufgaben geben. Leistungsanreize, wie sie das Reformgesetz vom 24.02.97 im Bereich der laufenden Besoldung vorsieht, erscheinen dagegen beim derzeitigen Erkenntnisstand weniger geeignet.
Die Überprüfung der Ausführung des Aufgabenkatalogs (siehe Abschnitt I. Ziffer 2) ist der Ort, anhand der Aufgabenbeschreibung auch eine Leistungsüberprüfung aller beruflich Mitarbeitenden, einschließlich der Pfarrerinnen und Pfarrer vorzunehmen. Sie hat beratenden Charakter und kann durch Supervision, Fortbildung oder andere geeignete Maßnahmen ergänzt werden. Kriterien zur Leistungsüberprüfung erarbeitet die Landeskirche.
Es ist zu prüfen, ob die im Pfarrdienstrecht vorgesehenen Öffnungsklauseln für landeskirchliche Regelungen
- zur Übertragung von Gemeindepfarrstellen für eine
begrenzte
Dauer und
- zur Prüfung der Fortsetzung des Dienstes in der
übertragenen
Pfarrstelle nach zehn Jahren
angewandt werden sollen, um entsprechende Maßnahmen des Personalwesens auch in der Ev. Kirche im Rheinland einzuführen.
Die zu treffenden Maßnahmen sollen u.a. dem Leistungsgedanken
im pfarramtlichen Dienst Rechnung tragen. Sie müssen auch der
Motivation
der Pfarrerinnen und Pfarrer dienen, indem sie die Möglichkeit der
Fortsetzung des Dienstes in der bisherigen, ebenso wie einen Neuanfang
in einer anderen geeigneteren Stelle eröffnen.
8 Dienstwohnung
8.1 Residenzpflicht
Es ist davon auszugehen, daß die geordnete Erfüllung der Aufgaben einer Pfarrerin und eines Pfarrers die kurzfristige Erreichbarkeit am Dienstort voraussetzt. Hierfür ist das Wohnen am Dienstort erforderlich (Residenzpflicht). Den Dienstort bestimmt die Kirchengemeinde aufgrund der Gesamtkonzeption der gemeindlichen Aufgaben.
8.2 Pflicht zum Bewohnen eines Pfarrhauses
Die unterschiedlichen Ausgestaltungen des pfarramtlichen Dienstes, entsprechend den Notwendigkeiten und Gegebenheiten der Gemeinde, erfordern Entscheidungen über die „Pflicht zum Bewohnen eines Pfarrhauses“ :
Wenn das Pfarrhaus in den Vollzug der Aufgaben eingegliedert ist, muß die Pfarrerin oder der Pfarrer das Pfarrhaus beziehen. Eine solche Gesamtkonzeption erfordert die Zuweisung des Pfarrhauses als Dienstwohnung. Das Pfarrhaus ist in einen privaten Wohnbereich und in einen ausschließlich dienstlich genutzten Amtsbereich zu gliedern.
Es kann jedoch Gemeindekonzeptionen geben, in denen die Nutzung einer von der Pfarrerin oder dem Pfarrer privat angemieteten oder ihnen gehörenden Wohnung zur Erfüllung der Residenzpflicht ausreicht.
8.3 Dienstwohnungsvergütung
Bei Zuweisung einer Dienstwohnung an Pfarrerinnen und Pfarrer wird als Gegenleistung eine Dienstwohnungsvergütung entsprechend den Regelungen für den öffentlichen Dienst eingeführt.
Durch die Begrenzung auf einen nach dem Einkommen gestaffelten Höchstbetrag der Dienstwohnungsvergütung ist ein Ausgleich für die dienstliche Beeinträchtigung des privaten Wohnens und die ständige Dienstbereitschaft geschaffen.
8.4 Schönheitsreparaturen
Unter Spargesichtspunkten wird eine Übernahme von Kosten
für
Schönheitsreparaturen in Pfarrdienstwohnungen durch Pfarrerinnen
und
Pfarrer als notwendig erachtet.
Da eine nach dem dienstlichen Gebrauch zugeschnittene
Pfarrdienstwohnung
auch im privaten Wohnbereich in der Regel großzügiger
bemessen
ist als eine reine Privatwohnung, ist jedoch eine volle Übernahme
der Schönheitsreparaturen durch Pfarrerinnen und Pfarrer nicht
angebracht.
Stattdessen wird ihre Beteiligung an den Kosten in Höhe von 50 %
für
angemessen gehalten.
Die Verantwortlichkeit für die Schönheitsreparaturen sollte
die Beschäftigungsstelle behalten.
IV. Weiterarbeit am Pfarrbild
An folgenden Sachverhalten zum Pfarrbild muß weitergearbeitet werden. Die Landessynode sollte entsprechende Aufträge erteilen und die Ergebnisse sollten bei den kommenden Tagungen der Landessynode vorgelegt werden:
- eingeschränkter Dienst,
- Funktionspfarramt,
- Geteiltes Amt,
- Frauen im Pfarramt,
- Pfarramt im Kontext des Gesamtgefüges der Mitarbeitenden
- Visitationspraxis hinsichtlich der Aufgabenbeschreibung und
Leistungsüberprüfung
der beruflich Mitarbeitenden, einschließlich der Pfarrerinnen und
Pfarrer,
- Gestaltung des Lebens im Pfarrhaus (Pfarrdienstwohnung) durch
Einzelpersonen,
Ehepaare, Familien.
Hierbei sollte der „eingeschränkte Dienst“ als erstes Berücksichtigung finden.
Ferner sollen zur Landessynode 2001 Kriterien für den Inhalt
von
Gesamtkonzeptionen gemeindlicher Aufgaben vorgelegt werden.
Abschlußbericht von Prof. Dr. K.-W. Dahm „Pfarrberuf zwischen Selbstbild und Gemeindeerwartung“
Karl-Wilhelm Dahm 12/98
Hauptergebnisse einer Erhebung über Pfarrbild, Pfarrberuf und
Pfarrhaus
(Frühjahr 1998) in der EKiR
unter Mitarbeit von Hanns-Werner Eichelberger, Markus Hildenhagen,
Wolfgang Marhold und Sylvia Szepanski-Jansen
Übersicht über die Einzelthesen:
1. Ausgangsbeobachtungen zum gegenwärtigen Pfarrbild
2. Oberziele der Erhebung
3. Zu Erhebungsmethodik und zu den Befragten-Zahlen
4. Zum Hauptergebnis: Gravierende Unterschiede im Grundverständnis
von Pfarrberuf, Berufsidentität und berufsspezifischer
Lebensführung
5. Einzelaspekte zu Lebensstil und persönlicher Lebensführung
6. Wandeln sich Berufsaufgaben und Berufsprofil?
7. Arbeitszeit und Arbeitsorganisation
8. Pfarrhaus
9. Leistungsbeurteilung
1. Das Bild des Pfarrers oder der Pfarrerin ist in den letzten
Jahrzehnten
vielfarbiger und widerspruchsvoller geworden. Selbstbild und Fremdbild
klaffen in wichtigen Zügen häufiger auseinander. Die
Einzelmotive
des Bildes mischen sich zu immer neuen Kompositionen: priesterliche,
prophetisch(-gesellschaftskritische)
oder pastorale Züge werden ebenso unterschiedlich gewichtet wie
seelsorgerliche
Zuwendung, religiöse Erziehung oder eine angemessene Gestaltung
der
"Amtshandlungen" (Taufe, Trauung, Beerdigung);
Verbesserung gefordert wird von den einen insbesondere für
die Management-Fähigkeiten wie eine konsequentere Führung der
oft großen Mitarbeiterschaft, deutlichere Zielangaben und
Zielorientierung,
eine verständnisvollere Teamarbeit mit Pfarrkollegen; die
Forderungen
der anderen richten sich eher auf Spiritualität und praxis
pietatis;
manche Gemeindeglieder verlangen mehr dogmatische Orientierung, andere
mehr Liberalität und verständnisvolle Menschlichkeit; einige
beklagen die "hinterweltlerichen" Anschauungen, andere das zu
"progressive"
Engagement ihres Pfarrers oder ihrer Pfarrerin. Nahezu jedes
Kirchenmitglied
hat ein anderes Ideal vor Augen, nahezu jede öffentliche
Äußerung
zum Pfarrberuf setzt andere Akzente. Wer hier Entscheidungen treffen
und
damit unausweichlich eigene Akzente setzen muß, der hat nicht
selten
mit Widerspruch, ja mit Anfeindungen zu rechnen.
2. Wer an Weichenstellungen für die weitere Entwicklung beteiligt ist, wird danach fragen müssen, welche Strukturen, Gewichtungen oder Tendenzen denn innerhalb dieses vielfältigen, manchmal verwirrenden Gesamtbildes zu erkennen sind. Wo gibt es wirklich relevante Unterschiede zwischen den Vorstellungen von Pfarrern und Pfarrerinnen einerseits und den größeren Gruppen der kirchlichen Mitgliedschaft andererseits? Spielen bei solchen Unterschieden das Alter und die Generation eine Rolle? Denken Frauen anders als Männer, denkt die ländliche Bevölkerung anders als die städtische?
Wer Verantwortung trägt, muß auch fragen, wie mit den unterschiedlichen Erwartungen umzugehen ist, insbesondere wie sie theologisch zu bewerten sind. Theologiestudierende und Vikare müssen wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie ein Amt in der so oder so geprägten Gemeinde mit tief eingelebten Vorstellungen vom Pfarrdienst übernehmen wollen. Presbyterien und Synodale müssen etwas wissen von den Motivationen und Hoffnungen, den theologischen Grundauffassungen und Zielen ihrer Pfarrerinnen und Pfarrer.
3. Um für all diese Fragenbereiche deutlichere Anhaltspunkte und etwas mehr Klarheit zu gewinnen, hat die EKiR (Büro des Vizepräses) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Christliche Gesellschaftswissenschaften der Universität Münster (Prof. Dr. Dahm, AOR Dr. Marhold) im Frühjahr 1998 eine empirische Erhebung unter den für das Bild des Gemeindepfarrers und der Gemeindepfarrerin besonders relevanten Bezugsgruppen durchgeführt. Befragt wurden dabei:
3.1 Hauptbefragung:
126 GemeindepfarrerInnen
129 Ehrenamtliche Schlüsselpersonen (KirchmeisterInnen,
PresbyterInnen)
29 Sonstige Bezugspersonen als Kontrollgruppe (weitere
hauptberufl.
Mitarbeitende u.a.)
Hauptbefragung insgesamt 284 Befragte
Das Vollständige Dokument mit den Ergebnissen Datei: (amt-101a.rtf) laden
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AMT & DIENST - PFARRERBILD |
Materialien zum Problem der Pfarrerdienstanweisung in der Kirche |
Was heißt Professionalität im
Pfarrberuf?
(Isolde Karle)
(Gekürzte Fassung eines Vortrags vor den Pfarrkonventen
Heilbronn, Leonberg und Neuenstadt)
1. Interaktionsabhängigkeit
und
Schutz des Vertrauens
2. Professionsethische
Verhaltenszumutungen
3. Package-deal
4. Vermittlung einer Sachthematik
5. Professionalisierung und
Allgemeines
Priestertum
6. Wissenschaftliche Bildung und
theologische
Kompetenz
7. Überkomplexität
8. Generalistenrolle
9. Person und Amt
Der Pfarrberuf scheint in der Krise. Von Kirchenleitungen ist die Forderung nach einem notwendigen Wandel im Gemeindepfarramt zu hören. Stellenteilende Pfarrerinnen und Pfarrer reflektieren ihre ambivalente Berufsidentität. Viele »ganze« Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer erleben die zahlreichen und divergierenden Erwartungen ihres Berufsalltags als Überforderung. Nicht wenige Pfarrerinnen und Pfarrer fühlen sich darüber hinaus aufgrund wachsender Verschlechterungen in der Besoldung und Versorgung demotiviert. Zu einem lädierten Selbstbewußtsein tragen nicht zuletzt auch innerkirchliche Stimmen bei, die abfällig von der Pastorenkirche sprechen und die Notwendigkeit des Pfarrberufs prinzipiell in Frage stellen.
Die folgenden Überlegungen reflektieren die spezifischen Möglichkeiten und Grenzen des Pfarrberufs aus professionstheoretischer Perspektive und wollen zur Klärung der Frage nach Sinn und Notwendigkeit des Pfarrberufs beitragen. (2) Für die Soziologie gehört der Pfarrberuf zur Berufsgruppe der Professionen. Er teilt mit dieser Berufsgruppe bestimmte Problemtypiken und Chancen, deren Reflexion ein hohes Maß an beruflicher Orientierung erlaubt und zu einer differenzierten Bestimmung des Verhältnisses von Person und Amt führt. Die professionssoziologischen Überlegungen stellen dabei keineswegs eine dem evangelischen Amtsverständnis fremde und gänzlich neue Perspektive dar, sondern reformulieren spezifisch reformatorische Anliegen unter den Bedingungen der Moderne.
1. Interaktionsabhängigkeit und Schutz des Vertrauens
Mit dem Begriff der Profession sind historisch zunächst einmal bestimmte akademische Berufe gemeint, die mit der frühmodernen Gliederung der Universität identisch sind: Mediziner, Juristen und Theologen bilden die klassischen Professionen. Anders als viele andere Berufsgruppen haben es Professionen ganz unmittelbar mit Menschen zu tun. Professionen spielen deshalb vor allem in den Funktionssystemen eine zentrale Rolle, die in spezifischer Weise von Interaktionen abhängig sind, das heißt in Funktionssystemen, die auf direkte Kommunikation unter anwesenden Personen, auf face-to-face-Begegnungen bezogen sind. Der Hauptgrund für die besondere Hervorhebung der klassischen Professionen liegt in der besonderen gesellschaftlichen und kulturellen Relevanz der Sachthematiken, die diese spezifischen Berufsgruppen repräsentieren.
Die Professionen bearbeiten existentielle Probleme der Krankheit, der Schuld, der Angst, der Trauer oder des Seelenheils. So begegnet der Arzt dem Kranken in einer für ihn bedrohlichen Situation, in der der Kranke ganz auf die Kompetenz und die Vertrauenswürdigkeit des Arztes angewiesen ist. Genauso begegnet die Pfarrerin bei einem Sterbefall in aller Regel Menschen, die sich angesichts ihrer Trauer hilflos fühlen, emotional aufgewühlt und auf geistliche Begleitung angewiesen sind. Der evangelische Pfarrberuf ist demnach eine Profession, die sich, wie andere Professionen auch, typischerweise mit der Bewältigung kritischer Schwellen und Gefährdungen menschlicher Lebensführung befaßt.
Diese für die Betroffenen prekäre Situation macht einen besonderen Schutz des Vertrauens der jeweiligen »Klientel« erforderlich. Das Vertrauen der Menschen zu gewinnen und zu erhalten ist conditio sine qua non für den Pfarrberuf. Ohne Vertrauen hat weder die Ärztin noch die Pfarrerin eine Chance, sinnvoll zu arbeiten. Deshalb ist die Kontinuität der Berufsperson von elementarer Wichtigkeit bei den Professionen. Ist die Hürde zum Hausarzt endlich genommen, vermeidet der Patient in aller Regel die Vertretung durch einen anderen Arzt, um nicht erneut riskante Erstkommunikationen eingehen zu müssen.
2. Professionsethische Verhaltenszumutungen
Um das Vertrauen ihrer Klientel zu schützen, haben die Professionen besondere Professionsethiken entwickelt. Damit sind im Pfarrberuf Verhaltenszumutungen gemeint, die als Pflichtenkatalog aus dem Pfarrerdienstrecht bekannt sind: die Verpflichtung auf das Beichtgeheimnis z.B., das absolute Vertrauenswürdigkeit und seelsorgerliche Verschwiegenheit garantieren soll. Oder die Präsenz- und Residenzpflicht, die die Kontinuität, Verläßlichkeit und vor allem Erreichbarkeit der pastoralen Berufsperson in existentiell bedeutsamen Situationen sichern soll. Darüber hinaus sind auch diskretes Verhalten und Auftreten zu nennen, Höflichkeit und Takt, Wertschätzung, Geduld und Umsicht - vor allem im Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - und andere Verhaltensregeln mehr, die als Indizien für die Vertrauenswürdigkeit eines Pfarrers oder einer Pfarrerin gelten können.
Die professionsethischen Verhaltenszumutungen und der durch sie gewährte Schutz des Vertrauens sind vor allem im Hinblick auf die »Christen in Halbdistanz« bedeutsam, denen der Pfarrer oder die Pfarrerin im Zusammenhang von Kasualien begegnet. Denn die sogenannte Kerngemeinde, der Kirchengemeinderat, das Mitarbeiterteam und die regelmäßigen Gottesdienstbesucher kennen ihre Pfarrerin. Haben sie erst einmal Vertrauen zu ihr entwickelt, verkraften sie auch die eine oder andere Enttäuschung. Sie werden es in aller Regel nachvollziehen können, daß, zumal bei halber Stelle, dies oder jenes nicht möglich ist, die Präsenz und Erreichbarkeit eingeschränkt ist und diese oder jene Verhaltenszumutung vom Pfarrer mit guten Gründen abgewehrt wird.
Anders ist dies bei volkskirchlich distanzierten Gemeindegliedern. Sie zahlen regelmäßig ihre Steuern und wollen nur selten etwas von ihrer Kirche, aber wenn sie sich nach vielen Jahren in einer Krisensituation einmal melden, dann möchten sie sich auch auf ihre Pfarrerin verlassen können. Rudolf Roosen formuliert: »Der persönliche Pfarrerkontakt stärkt erwiesenermaßen die emotionale Nähe zur Kirche. Die Mitglieder […] wünschen, daß ihre Pfarrerin oder ihr Pfarrer für sie Zeit haben, wenn sie nach ihnen rufen. Sie sind in dieser Hinsicht weder verwöhnt noch anspruchsvoll. Sie melden sich selten. Wenn sie sich aber melden, möchten sie ernstgenommen werden.«3
Erreichbarkeit, Kontinuität, Verläßlichkeit und Schutz des Vertrauens bilden die wesentliche Basis des Pfarrberufs. Sie fordern vom Pfarrer und der Pfarrerin viel und für manche sind die damit einhergehenden Verhaltenszumutungen nur schwer auszuhalten. Aber der Pfarrberuf nimmt mit seinem Berufsethos, das Bindungen für die ganze Lebensführung erzeugt, keineswegs eine Sonderstellung ein wie immer wieder behauptet wird. Auch der Arzt und der Richter sind an ihre jeweilige Professionsethik gebunden. Auch sie müssen in der Freizeit den Ernst ihrer Berufe mitrepräsentieren. Es ist ein falscher Mythos zu behaupten, der Pfarrberuf sei aufgrund der vielfältigen Beziehungen von Beruf und Leben unvergleichbar und unverwechselbar. Es ist insofern unrealistisch und folgenreich, wenn die Pfarrerin keine Rücksicht darauf nimmt, was die Gemeinde über ihre private Lebensführung und Engagements außerhalb des Pfarrberufs denkt. Das heißt nicht, daß die Pfarrerin dazu verurteilt wäre, sich zum Sklaven der Vorurteile ihrer Gemeinde zu machen. Aber es heißt sehr wohl, nicht nur die persönliche Innenperspektive, sondern auch die berufliche Außenperspektive auf das eigene Tun und Handeln reflektieren und die verschiedenen Perspektiven sensibel aufeinander abstimmen zu können.
Es geht beim pastoralen Berufsethos nicht um eine vorbildliche christliche Lebensführung per se - der evangelische Geistliche hat keinen »character indelebilis«, keine höhere geistliche Qualität als Person. Wenn es in diesem Beruf um eine vorbildliche Lebensführung oder doch wenigstens um einen Lebensstil geht, der nicht als radikale Gegenpredigt zur Sonntagspredigt verstanden werden soll, dann bezieht sich diese Erwartung auf das für eine wirksame Berufsausübung erforderliche Vertrauen der Gemeinde. Dieses Vertrauensverhältnis ist in religiösen Fragen, die emotional bedeutsam sind, nicht weniger prekär als in Fragen von Krankheit und Schuld. Eine völlig überschneidungsfreie Unterscheidung von Arbeitszeit und Freizeit, von öffentlicher und privater Person gibt es nur in weniger komplexen Berufen, die nicht an die Begleitung von Menschen in existentiellen Situationen gekoppelt sind.
Eine Profession wie der Pfarrberuf erzeugt Bindungen für die gesamte Lebensführung, die den Professionellen in hohem Maße bestimmen und seine Freizeitmöglichkeiten, Individualitätsansprüche und Selbstverwirklichungswünsche einschränken. Eine verantwortungsvolle Pfarrerin nimmt das in Kauf und ist dazu bereit, falls notwendig, einmal deutlich über das normale Zeitpensum hinaus zu arbeiten oder eine Beerdigung ausnahmsweise am freien Tag zu halten. Für all diese Einschränkungen und Verhaltenszumutungen, für den hohen Einsatz, die hohe emotionale Belastung, die die Verantwortung in hochkomplexen Berufssituationen mit sich bringt, muß die Pfarrerin bzw. der Pfarrer nun aber auch angemessen entschädigt werden: Der package-deal muß stimmen.4 Das heißt: Die Einschränkungen durch die Verhaltenszumutungen im Beruf müssen durch Privilegien wie gutes Gehalt und Ansehen ausgeglichen werden.
Im Pfarrberuf ist die Entschädigung durch die persönliche Befriedigung sicher nicht zu unterschätzen: Man erfährt so vielfältig, wie existentiell wichtig das ist, was man tut, daß diese Anerkennung für vieles entschädigt. Insofern akzeptieren die meisten Pfarrerinnen und Pfarrer auch, trotz einer sehr langen und anspruchsvollen Ausbildung deutlich schlechter als Ärzte oder Richter bezahlt zu werden. Aber wenn die Synoden beschließen, die Dienstaltersstufen erheblich zu strecken, Theologenehepaaren zwangsweise eine langjährige Stellenteilung zuzumuten, die Eingangsgehälter für Vikarinnen und unständige Pfarrer ohne Befristung erheblich zu reduzieren, Zulagen für geschäftsführende Pfarrämter zu streichen u.v.m. - dann sind das in der Summe Maßnahmen, die über kurz oder lang die Motivation der Pfarrerinnen und Pfarrer betreffen und zu nicht unerheblichen Frustrationen führen: Der package-deal stimmt nicht mehr.
Viele Pfarrerinnen und Pfarrern fühlen sich mit ihrem hohen Einsatz nicht gewürdigt, ja gedemütigt. Manche bereichern sich dann indirekt, andere sind frustriert, nehmen ihr Engagement spürbar zurück und vollziehen im schlimmsten Fall die »innere Kündigung«. Der Beruf verliert an öffentlichem Ansehen, der neue Pfarrermangel ist absehbar, die Einflußmöglichkeiten der Kirche gehen zurück. Die Kirchenleitung, aber auch die Pfarrerschaft selbst, sollte sich überlegen, ob sie diese Entwicklung tatsächlich wünscht oder im Hinblick auf mittelfristige Folgewirkungen nicht Alternativen gefunden werden müssen.
4. Vermittlung einer Sachthematik
Professionen sind zwar stark interaktionsabhängig, aber ihre
Aufgabe
ist mit dem Gelingen und der Pflege von Beziehungen inhaltlich noch
nicht
hinreichend beschrieben. Im Mittelpunkt der Profession steht die
Vermittlung
einer signifikanten Tradition, einer Sachthematik. Die Professionen
sind
mit kulturell anspruchsvollen Sachthematiken befaßt, zu denen die
Professionslaien in aller Regel eine Distanz empfinden. Aufgabe der
Professionen
ist es, hier zu vermitteln und eine Distanzüberbrückung im
Verhältnis
zur jeweiligen Sachthematik zu erreichen.
Die Unterscheidung von Profession und Klientel ist ohne Zweifel
unbefriedigend,
wenn sie auf das Verhältnis von Pfarrer/ Pfarrerin und Gemeinde
angewandt
wird.
Insbesondere die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die sogenannte Kerngemeinde wird man kaum als distanzierte »Klientel« betrachten können, für die man als Pfarrerin lediglich eine Dienstleistung zu erbringen hätte. Anders sieht es schon mit den Kirchenfernen aus, denen Pfarrerinnen und Pfarrer vor allem im Zusammenhang von Kasualien begegnen. Hier besteht nicht selten eine Distanz zur Sachthematik, eine generelle Unsicherheit in religiösen Fragen und oft auch mangelnde Information in Bezug auf die bevorstehende religiöse Handlung.
Unter Professionalitätsgesichtspunkten genügt es nun nicht, wenn sich der Pfarrer als netter Gesprächspartner bewährt. Seine eigentliche Funktion besteht darin, bezüglich der anstehenden Kasualie oder Problemsituation Deutungsangebote zu machen und an die religiöse Sachthematik heranzuführen. Rudolf Stichweh betont, daß die Distanzüberbrückung dann nicht wirklich gelingen kann, wenn sich die Pflege der persönlichen Beziehung verselbständigt und das persönliche Herangeführtwerden an die Sachthematik in den Hintergrund gerät.
Es geht bei der Distanzüberbrückung nicht um ein
zweistelliges
Verhältnis zwischen zwei Interagierenden, sondern um eine
dreistellige
Beziehung, bei der die Vermittlung mit der Sachthematik im Vordergrund
steht. Die vermittelnde Person kann deshalb auch hinter die Sache
zurücktreten.
Der oder die Professionelle hat eine intermediäre Funktion und
macht
damit zugleich anschaulich, daß er oder sie im Dienst einer Sache
steht und nicht sich selbst vertritt.5
Eine Profession zeichnet sich demnach durch die persönliche
Vermittlung
einer existentiellen Sachthematik aus.
Mit dieser Bestimmung erfaßt der Professionsbegriff präzise das Profil des evangelischen Pfarrberufs. Anders als in der römisch-katholischen Kirche steht nicht die Teilnahme an einem Ritual im Vordergrund. Im Mittelpunkt der evangelischen Kirche steht vielmehr die Predigt des Evangeliums, die darauf abzielt, individuell angeeignet und verstanden zu werden. Das Evangelium wird dabei als existentielles remedium6 vermittelt, als Arznei, die die Menschen erneuert und tröstet, stärkt und aufrichtet. Sowohl Luther als auch Melanchthon haben den Nutzen evangelischer Sachthematik für das Wohl und Heil der Menschen immer wieder betont.
Die Reformation kehrt das katholische Verhältnis von Amt und Wort damit um: Das Heil ist an das Wort, an das Evangelium gebunden, nicht aber an diejenigen, die dieses Evangelium weitergeben und vermitteln. Die Sachthematik selbst steht unverkennbar im Mittelpunkt. Die Amtsträger werden als Diener des Wortes Gottes verstanden. Sie haben eine intermediäre Funktion und können und sollen deshalb auch mit ihrer Person hinter die zu vermittelnde Sachthematik zurücktreten.
Pfarrer sind nach reformatorischem Verständnis keine Wesen sui generis, Pfarrer sind nicht anders. Ganz im Gegenteil - jeder andere Christ ist in seinem Beruf genauso von Gott berufen wie der Pfarrer. Entscheidend sind funktionale, nicht ständische Gesichtspunkte. Luther hat der Vorstellung vom »ganz anderen« Pfarrer schon mit der Aufhebung des Zölibats den Abschied gegeben: Der Pfarrer sollte, wie jeder andere auch, Familie haben dürfen. Immer wieder betonte er, daß das Pfarramt ein Amt ist wie etliche andere Ämter auch. Besonders gern benutzte er den Vergleich mit dem Amt des Bürgermeisters. Gegen die römische Kirche und ihr sakramentales Weiheverständnis hat Luther Zeit seines Lebens die Unvergleichbarkeit des Pfarrberufs bestritten und dafür die funktionale Ausrichtung des Pfarramts als Dienst an der Gemeinde hervorgehoben. Die Reformatoren haben ein Profil des evangelischen Pfarrberufs entwickelt, das sich vor dem Hintergrund moderner, professionssoziologischer Überlegungen als erstaunlich wegweisend und aktuell erweist.
5. Professionalisierung und Allgemeines Priestertum
In der evangelischen Kirche wird immer wieder argumentiert, daß das Allgemeine Priestertum durch die Professionalisierung des Pfarrberufs untergraben werde. Die sogenannten Laien, also die Christinnen und Christen, die kein ordiniertes Amt innehaben, kämen viel mehr und besser zum Zuge, wenn es keine Pfarrer gäbe, die für geistliche Fragen und Probleme und damit für die evangelische Sachthematik generell zuständig sind.
Es stellt sich auf diesem Hintergrund die Frage, wie sich geistliche Profession und Allgemeines Priestertum zueinander verhalten. Luther selbst wies immer wieder darauf hin, daß Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt unmittelbar zusammen gehören und kein Gegensatzpaar bilden: Alle Christen sind in gleicher Weise Priester, ob sie nun Pfarrer oder Nichtpfarrerinnen sind.(7) Alle haben den Auftrag, mit Wort und Tat das Evangelium weiterzugeben.
Wenn aber prinzipiell alle gleiche Rechte bezüglich der Evangeliumsverkündigung beanspruchen können, kann das Allgemeine Priestertum nur dann gefördert und geschützt werden, wenn es sinnvolle und kontrollierbare Regelungen gibt, die individueller eitler Selbstdarstellung und charismatisch-manipulativem Machtmißbrauch soweit wie möglich entgegenwirken und zugleich mit hoher Verbindlichkeit und Erwartungssicherheit dafür sorgen, daß das Evangelium durch Leute verkündigt wird, die sich dazu die Zeit nehmen können, also in einem eigens dafür ausdifferenzierten Beruf.
Pfarrer und Pfarrerinnen nehmen ihre Aufgabe allerdings nur dann sachgerecht wahr, wenn sie sich bewußt als Delegierte der Gemeinde verstehen und versuchen, repräsentativ möglichst viele Stimmen in der Gemeinde zu Gehör zu bringen. Sie herrschen nicht über die Gemeinde, sondern sind zum Dienst an ihr berufen und entsprechend auch ihrem Urteil unterworfen.
Alle Christinnen und Christen sind Priester und damit zur Verkündigung und Bezeugung des Evangeliums herausgefordert, aber nicht alle vollziehen diese Verkündigung professionell, das heißt - von der Gemeinde beauftragt, freigestellt und bezahlt, sicher und erwartbar, sachgerecht und repräsentativ. Verbindlichkeit, Sachgerechtheit, Erwartbarkeit und Repräsentanz - diese Verhaltenserwartungen werden im institutionalisierten Amt abgebildet. Gerade die dienende und repräsentative Funktion des Amtes fordert Pfarrerinnen und Pfarrer dabei dazu heraus, die Zusammenarbeit mit anderen Gliedern des Leibes Christi zu suchen und die Selbständigkeit der Einzelnen zu fördern. Eine professionell verstandene evangelische Amtsführung steht damit keineswegs im Widerspruch zum Allgemeinen Priestertum, sondern dient vielmehr dessen Schutz und Entfaltung.
6. Wissenschaftliche Bildung und theologische Kompetenz
Die Reformatoren haben die universitäre Bildung und die theologische Kompetenz zur Bedingung für die reguläre Ausübung des Pfarrberufs gemacht und damit erheblich zur Professionalisierung des evangelischen Pfarrberufs beigetragen. Melanchthon schreibt: »Jene Leute, die davon träumen, daß die Pastoren aus beliebigem Holz geschnitzt werden und die Religionslehre sofort, ohne Wissenschaft, ohne längere Unterweisung aufnehmen können, irren sich nämlich sehr.«8 Viel zu komplex und anspruchsvoll ist der Aufgabenbereich des Pfarrers, als daß er auf eine aufwendige Bildung und ein differenziertes Begriffsinstrumentarium verzichten könnte.
Konkret war den Reformatoren vor allem wichtig, daß sich die Geistlichen gut in der Schrift auskennen und fähig sind, sie differenziert auszulegen und die evangelische Lehre gegen konkurrierende andere Anschauungen zu verteidigen. Darüber hinaus bedarf der Geistliche der wissenschaftlichen Bildung, um ein differenziertes Urteilsvermögen im Hinblick auf eine besonnene Gemeindeleitung zu entwickeln. Darauf legte vor allem Friedrich Schleiermacher Wert.9 Der Geistliche sollte in der Lage sein, multiple Perspektiven in der Gemeinde wahrzunehmen, zu würdigen und aufeinander abzustimmen. Er sollte, anthropologisch, psychologisch und soziologisch geschult, ein differenziertes Wahrnehmungsvermögen im Hinblick auf die Komplexität menschlicher Beziehungen entwickeln.
Der Anspruch der evangelischen Tradition an die wissenschaftliche Qualifikation von Geistlichen läßt sich mit dem Begriff der theologischen Kompetenz zusammenfassen. Wenn Pfarrerinnen und Pfarrer heute den vielfältigen Herausforderungen der modernen, pluralistischen Gesellschaft gerecht werden wollen, ist es unabdingbar, daß sie von ihrer spezifisch theologischen Berufskompetenz selbstbewußt und sensibel Gebrauch machen, »nämlich vor allem anderen den Dienst an Gottes Wort zu versehen und den Menschen zu helfen, sich an diesem Dienst zu beteiligen.«10 Gerade durch ihr profiliertes Auftreten als »Geistliche« gewinnen sie Orientierung für ihren Beruf und die Gemeinden zurück.
Die moderne Gesellschaft mit ihren vielfältigen Standardisierungen und Ängsten bedarf dringend theologisch kompetenter Pfarrerinnen mit geistlicher Orientierungskraft, Pfarrerinnen und Pfarrer, die in der Lage sind, die Sachlichkeit und Gediegenheit der biblisch-christlichen Botschaft zu vermitteln und den lebendigen Reichtum der biblisch-christlichen Tradition in ihrer Komplexität und Anstößigkeit, in ihrer symbolischen Tiefe und kulturgeschichtlichen Weite gemeinsam mit anderen Christen aufzuspüren. Auf diese Weise wird Distanz überbrückt.
Insbesondere jüngere Gemeindeglieder müssen heute an eine ihnen oft unverständliche Liturgie oder an eine ihnen unvertraute religiös-dichterische Sprache behutsam herangeführt werden. Vor allem im Zusammenhang von biographischen Krisen und Schwellen erwarten viele Menschen, eine lebensrelevante Diskussion religiöser Fragen und sind dankbar, wenn sie dabei mit ihren Problemen und Gefühlen ernstgenommen werden.
So wichtig wissenschaftliche Bildung für den Pfarrberuf ist, so deutlich ist hervorzuheben, daß Wissen keine letzte Sicherheit bieten kann. Die Situation, in der der Professionelle handelt, ist prinzipiell überkomplex. Das gilt für alle Professionen. Bei jeder Entscheidung bleiben unvermeidlich bestimmte Gesichtspunkte unberücksichtigt. Der Pfarrer weiß wie die Ärztin häufig zu wenig und muß doch entscheiden. Außerdem ist es unmöglich, das angeeignete Wissen einfach und direkt anzuwenden. Jede Situation und Person ist anders.
Deshalb kann die Arbeit des Pfarrers und der Pfarrerin nicht völlig standardisiert werden und geht nicht in der Befolgung von Regeln auf. Pfarrer und Pfarrerin sind, wie andere Professionen auch, auf die Fähigkeit, sich einzufühlen und zugleich sich distanzieren zu können, angewiesen. Subjektive Komponenten wie Intuition, Urteilsfähigkeit, Risikofreude und Verantwortungsübernahme sind deshalb so wichtig in diesem Beruf. Aber selbst die gebildetste und intuitivste Pfarrerin kann nicht alles wissen, nicht alle relevanten Faktoren kennen oder erspüren. Sie ist bei einem Trauergespräch auf die Informationen angewiesen, die ihr gegeben werden. Sind diese beschönigend oder gänzlich unwahr, hat sie kaum eine Chance, mit ihrer Ansprache eine positive Resonanz auszulösen.
Überkomplexität bedeutet mithin, daß ein gewisses Maß an Ungewißheit für professionelle Berufssituationen typisch ist. Das Gefühl des Nicht-Genügens und der eigenen Unsicherheit ist im Pfarrberuf insofern ganz normal und in gewisser Hinsicht unvermeidlich. Im Pfarrberuf gilt es, mit Mehrdeutigkeiten zu leben. Diese zwangsläufige, berufsbegleitende Unsicherheit sollte in der Regel jedoch nicht kommuniziert oder gar demonstrativ offengelegt werden. Dadurch wird das Vertrauen der Gemeindeglieder unnötig erschüttert. Genauso prekär wäre es, wenn eine Ärztin vor der Operation gegenüber dem betroffenen Patienten ihre Unsicherheit thematisieren würde. Im Ausnahmefall können Zweifel, Unsicherheiten oder auch spontane Gefühle einmal geäußert werden, aber generell ist die Pfarrerin für die Gemeinde da und nicht umgekehrt.
Professionssoziologisch gewinnt der Begriff Professionalität einen spezifischen Inhalt, der sich nicht ohne weiteres mit den landläufigen Vorstellungen davon in Einklang bringen läßt. Viele unterstellen z.B., daß Professionalität eine weitere Ausdifferenzierung und Spezialisierung pfarramtlicher Aufgaben impliziere. Vor allem in den siebziger Jahren waren solche Vorstellungen populär. Die Professionssoziologie zeigt dagegen, daß es für eine Profession gerade typisch und notwendig ist, eine Generalistenrolle wahrzunehmen. Ein guter Hausarzt ist durch keinen Facharzt zu ersetzen. Seine Stärke ist es gerade, das Allgemeine zu sehen und sich nicht auf Spezifisches zu begrenzen und seinen Blick zu sehr einzuengen. Gerade so nimmt er die Kernrolle seiner Profession wahr. Er fühlt sich prinzipiell zuständig, wenn es um Probleme von Krankheit und Gesundheit geht.
Genauso nimmt die Gemeindepfarrerin die Kernrolle des Pfarrberufes wahr. Die Pfarrerin ist in ihrer Gemeinde prinzipiell zuständig, wenn es um geistliche Fragen geht. Von ihr ist diese Zuständigkeit aufgrund ihrer Freistellung zum Amt erwartbar. Diese durchs Amt ermöglichte und gesicherte generelle Zuständigkeit hat einen zweifachen Sinn: Sie zeigt den Gemeindegliedern, daß der Pfarrer für einen vergleichsweise großen Bereich zuständig und damit bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Das ist ein zentraler Ansatzpunkt für die Bildung personalen Vertrauens.
Die Kontinuität derselben Person in vielen verschiedenen kirchlichen Kommunikationszusammenhängen spielt in diesem Zusammenhang eine kaum zu überschätzende Rolle. Gleichzeitig wird durch die Generalistenrolle »die Gleichrangigkeit und potentielle Gleichzuständigkeit jedes einzelnen professionellen Praktikers betont«11. Jeder Pfarrer kann grundsätzlich einen anderen vertreten. Um nicht mißverstanden zu werden: Es ist dringend notwendig, daß Pfarrer und Pfarrerinnen aus ihrer Rolle als »Mädchen für alles« heraustreten. Sie sind keine Generalisten für alles, das wäre eine ganz unevangelische und vermessene Selbstüberschätzung. Aber sie sind spezifische Generalisten, wenn es um ihre theologische Kompetenz geht - und diese bezieht sich nicht nur auf die Bibelexegese, sondern auch auf die für eine zusammenstimmende Gemeindeleitung notwendigen interaktiven Regeln der Vertrauensbildung und Kontinuität.
Im Blick auf das Ganze, in der Umsicht, verschiedene Perspektiven und Interessen im Auge zu behalten und auszutarieren, in der Kontinuität der einen Vertrauensperson liegen Verantwortung, Spielraum und Chancen des Gemeindepfarramts.
Gerade die vielfach totgesagte Parochie und mit ihr das Gemeindepfarramt hat allen Diffamierungen zum Trotz überlebt, ja, sie zeigt sich beharrlicher als je. Karl-Wilhelm Dahm, in den siebziger Jahren ein nachdrücklicher Befürworter einer weiteren funktionalen Ausdifferenzierung pfarramtlicher Aufgaben, konstatiert: »Die neuere Entwicklung zeigt, daß in den Gemeinden weniger die hochprofessionalisierten Spezialisten für Ethik, Pastoralpsychologie oder Konfirmanden-Unterricht gefragt sind; gesucht wird vielmehr die Kompetenz eines Generalisten, der innerhalb einer in Fragmentierung und Segmentierung auseinanderstrebenden Alltagswelt die Aufgabe einer geistlich-pastoralen Integration im sozialen Nahbereich der Gemeinde wahrzunehmen vermag.«12
Durch den Vergleich des Pfarrberufs mit anderen Professionen wird es möglich, den Pfarrberuf in einen sozialen Zusammenhang zu stellen und näher zu bestimmen. Der Pfarrberuf wird damit seiner vermeintlichen Sonderexistenz entkleidet, seine Möglichkeiten und Grenzen kommen schärfer in den Blick. Der Hinweis auf die Interaktionsabhängigkeit des Pfarrberufs zeigt dabei, wie wichtig es für eine wirksame pastorale Berufsausübung ist, das Vertrauen der Gemeindeglieder zu erwerben und zu erhalten. Nur in Bezug auf den Schutz dieses Vertrauensverhältnisses haben die Verhaltenszumutungen im Amt einen Sinn.
Die generelle Zuständigkeit für eine sachgerechte, erwartbare und kontinuierliche Evangeliumsverkündigung wird durch das ordinierte Amt sichergestellt. Im Mittelpunkt des Pfarrberufs steht die theologisch kompetente, persönliche Vermittlung der evangelischen Sachthematik, des Evangeliums als remedium, als Heilmittel, das andere tröstet und aufrichtet, ermutigt und auferbaut. Überkomplexe Berufssituationen nötigen die Pfarrerinnen und Pfarrer darüber hinaus, die Grenzen des Machbaren in ihrem Beruf zu akzeptieren und mit Ungewißheiten und Mehrdeutigkeiten zu leben.
Auf diesem Hintergrund läßt sich das prekäre Verhältnis von Person und Amt neu bestimmen. Der Beruf ist nicht das Leben und doch sind beide Größen vielfältig aufeinander bezogen. Person und Amt dürfen deshalb weder völlig miteinander identifiziert werden, noch ist es möglich, Beruf und individuelles Leben völlig überschneidungsfrei zu trennen. Durch die totale Identifikation von Person und Amt wird eine reflektierende Distanz zur eigenen Berufsausübung unmöglich. Der Pfarrberuf wird dann nicht mehr als ein bestimmter Berufstyp wahrgenommen, seine spezifische Problemtypik nicht erfaßt.
Bei einer ganzheitlichen Verschmelzung von Person und Amt steht darüber hinaus nicht mehr die Vermittlung der evangelischen Sachthematik im Vordergrund, sondern nur noch die Person selbst und ihre individuelle Religiosität oder Moralität. Kritik, coaching und die sachliche Zusammenarbeit mit anderen werden dadurch unmöglich. Um hinter die Sachthematik als Person zurücktreten zu können, muß man sich von ihr unterscheiden können.
Zugleich ist es bei den anspruchsvollen Anforderungen einer Profession aber auch nicht möglich, Beruf und Leben, Freizeit und Arbeitszeit so zu trennen, als ob das eine nichts mit dem anderen zu tun hätte. Das wird der Komplexität der Aufgaben im Pfarrberuf nicht gerecht und unterschätzt die Verantwortung, die mit der Interaktion in existentiellen Situationen gegeben ist. Eine völlige Trennung von Person und Beruf ist nur bei weit weniger komplexen Berufen mit geringerem Verantwortungsbereich möglich, nicht jedoch bei Professionen.
Es handelt sich beim Pfarrberuf nicht um einen einfachen Job, sondern um ein Amt, das sicherstellen soll, daß Gemeindeglieder in existentiellen Krisensituationen einfühlsam und sachgerecht begleitet werden und den Trost des Evangeliums erfahren.
Individuelle und berufliche Perspektiven sind zu differenzieren und gleichzeitig reflektiert aufeinander zu beziehen und behutsam miteinander zu vermitteln. Ist zwischen Gemeinde und Pfarrer über längere Zeit hinweg ein Vertrauensverhältnis gewachsen, wird es nach einiger Zeit auch einmal möglich sein, Individualitätsansprüche zu kommunizieren, die die gängigen Verhaltenszumutungen durchbrechen, ohne daß dadurch das entstandene Vertrauen nachhaltig erschüttert wird. Das ist insbesondere im Hinblick auf die Lebensform von homosexuellen Pfarrerinnen und Pfarrern bedeutsam. Auf einer gewachsenen Vertrauensbasis ist auch die Akzeptanz dieser Lebensform in nicht wenigen Gemeinden möglich.
Ein letztes: Person und Amt zu unterscheiden, impliziert keine Kälte und Gleichgültigkeit, wie immer wieder unterstellt wird. Ganz im Gegenteil: Der oder die Professionelle weiß, daß Menschen von ihrer Pfarrerin wie von ihrem Arzt gemocht sein wollen, gerade aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses, das dieser Beruf erfordert. Zur Professionalität gehört es, dies anzuerkennen und zugleich relativieren zu können. Denn Vertrauen wird dem Pfarrer wie dem Arzt zunächst einmal aufgrund seines Berufes entgegengebracht, nicht aufgrund seiner Person.
Diesen Vorschuß an Vertrauen kann eine Person im Amt
enttäuschen
oder erhalten und stärken. Entscheidend ist: Die Pfarrerin
muß
nicht alles selbst tragen, selbst jederzeit authentisch vertreten
können
oder ständig ihre eigene Subjektivität darstellen. Sie
vertritt
ein Amt, eine Sachthematik, die auch unabhängig von ihr Sinn und
Bedeutung
hat. Diesem Amt und seiner Sache professionell zu dienen, das
Evangelium
als remedium, als Trost und Halt in einer individualistischen und
orientierungsbedürftigen
Gesellschaft zu vermitteln - das ist die Aufgabe des Pfarrberufs als
Profession.
Anmerkungen
2 Vgl. zum Aufsatz insgesamt: Rudolf Stichweh, Wissenschaft,
Universität,
Professionen, Frankfurt a.M. 1994, v.a. 362ff und: Niklas Luhmann, Die
Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1997.
3 Rudolf Roosen, Die Kirchengemeinde - Sozialsystem im Wandel,
Berlin/New
York 1997, 602.
4 Vgl. Stichweh, Wissenschaft, Universität, Professionen, 356.
5 Vgl. Stichweh, Wissenschaft, Universität, Professionen, 372ff.
6 Vgl. Philipp Melanchthon, Loci communes 1521, Lateinisch - Deutsch,
übers. v. H. G. Pöhlmann, (Hg.) VELKD, 2. Aufl.
Gütersloh
1997, 160.
7 Vgl. Harald Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt bei
Luther, Marburg 1997.
8 Philipp Melanchthon, Rede über das unentbehrliche Band zwischen den Schulen und dem Predigtamt, in: (Hg.) M. Beyer: Melanchthon deutsch, Bd. 2, Leipzig 1997, 26. 9 Vgl. Friedrich Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Zweite umgearbeitete Ausgabe 1830, in: KGA I/6, Berlin/New York 1998, §§ 5, 12 u. 257. 10 Michael Welker, Warum es das Pfarramt heute besonders schwer hat - und warum das nicht so bleiben muß, in: Pfälzisches Pfarrerblatt Nr. 6/86 (1996), 214. Vgl. auch: Michael Welker, Dem Tun Gottes aufmerksam folgen, in: Evangelische Aspekte 3/97, 4ff. 11 Stichweh, Wissenschaft, Universität, Professionen, 297. 12 Karl-Wilhelm Dahm, [Art.] Pfarrer, Pfarramt, in: EKL 3, 3. Aufl. Göttingen 1992, Sp. 1158, Hervorh. I. K.
Leserbrief
senden I. K., Jgg. 1963, Studium
in Tübingen, Cambridge (Mass.), Münster,
1992-1995
Assistentin für Praktische Theologie in Kiel, 1995 Promotion
(Seelsorge
in der Moderne. Eine Kritik der psychoanalytisch
orientierten
Seelsorgelehre), Vikariat in
Reutlingen, anschl. Pfarrerin z.A. in Kochendorf, z. Zt. beurlaubt mit
einem Habilitationsstipendium der Deutschen
Forschungsgemeinschaft
zum Thema: Der Pfarrberuf als Profession.
© 1999 Deutsches Pfarrerblatt
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Die heimlichen Spielregeln der Gemeindeleitung (Rudolf Roosen)
1. Entstehungsursachen heimlicher Spielregeln
1.1. Spannungsfelder und
Bruchlinien
in der Zusammensetzung des Gremiums:
1.2. Das Presbytergelübde:
1.3. Bürokratische Verwaltung:
1.4. Unzureichendes
Leitungswissen:
2. Die Logik des Mißlingens
3. Informale Prolemlösungen
3.1. Das Betriebsklima hat
Priorität:
3.2. Naheliegende
Kompetenzverteilung:
3.3. Vorlagenberge abtragen -
Gemeinde verwalten:
3.4. Informale
Komplexitätsreduktion
- »Familienfürsorge«:
4. Gemeinde leiten - Desiderate
Die Organisationstheorie weiß schon seit längerem, daß die Menschen, die als Mitarbeiter oder Mitglieder in Behörden, Firmen oder Vereinen tätig sind, nicht nur nach Maßgabe der offiziellen Ordnungen (Unternehmensziele, Dienstanweisungen, Vereinssatzungen usw.) handeln.1 Vielmehr orientieren sie sich in mehr oder weniger großem Umfang immer auch nach sog. »heimlichen Spielregeln«. Derartige Regeln existieren auch auf sämtlichen Organisationsebenen der Evangelischen Landeskirchen. Allerdings sind sie bisher kaum einmal beschrieben worden.2 Der vorliegende Aufsatz stellt die Problematik am Beispiel der presbyterialen Gemeindeleitung dar.
1. Entstehungsursachen heimlicher Spielregeln
1.1. Spannungsfelder und Bruchlinien in der Zusammensetzung des
Gremiums:
Die landeskirchlichen Ordnungen legen fest, daß
Kirchenvorstände
bzw. Presbyterien mehrheitlich von ehrenamtlich tätigen Laien
besetzt
sein müssen. Die Gemeindemitglieder sollen die Verhältnisse
in
ihrer eigenen Kirchengemeinde soweit als möglich selbst regeln. Im
Presbyterium sind deshalb auch Menschen mit den unterschiedlichsten
Begabungen
und Qualifikationen versammelt.3 Da kann es nicht ausbleiben, daß
nicht immer alles auch spannungsfrei zusammenpaßt.
Eine erste mögliche Bruchlinie verläuft zwischen den akademisch ausgebildeten Theologen und den nicht theologisch vorgebildeten Mitgliedern.4 Mit dem elaborierten Religions- und Glaubenswissen der Theologen kann kaum ein Laienmitglied mithalten. Andererseits aber werden Pfarrer/innen vom Presbyterium gewählt. Bei der Pfarrwahl tritt das Presbyterium als Entscheidungsgremium in einer Machtposition auf, die lange in Erinnerung bleiben und durchaus auch auf den Umgang mit bereits amtierenden Pfarrer/innen durchschlagen kann. Schließlich trennt beide, daß die Berufschristen für ihre Tätigkeit bezahlt werden, wohingegen die Laienmitglieder unentgeltlich tätig sind.
In Zweifels- und Konfliktfällen können die Beschlüsse des Presbyteriums die Weisungsmacht der Laienmehrheit demonstrieren. Wechselseitige Unter- oder Überlegenheitsgefühle, wechsel seitige Macht- oder Ohnmachtempfindungen zwischen Theologen und Nichttheologen sind im Systemgefüge des Leitungsgremiums angelegt. Sie werden durch die Normvorstellung vom »geschwisterlichen Miteinander« zuweilen nur unzureichend und bis auf Widerruf verklammert.
Eine zweite Bruchlinie verläuft zwischen Mitgliedern mit Berufserfahrungen, die aus organisatorischen Gründen in der Gemeindeleitung dringend benötigt werden (Ingenieur- und Bauberufe; Finanzberufe; Verwaltungsberufe) und Mitgliedern, die andere Qualifikationen einbringen.5 Sieht man einmal von den Pfarrer/innen ab, dann verfügen lediglich die Inhaber der Kirchmeisterpositionen (Baukirchmeister/in, Finanzkirchmeister/in und Diakoniekirchmeister/in) über ein Terrain genuiner Zuständigkeit und über eindeutig abgegrenzte Kompetenzen.
Wer dagegen als Nichttheologe keine derartige Funktion bekleidet, befindet sich auf einem Feld ungeklärter Zuständigkeiten und muß sich Kompetenzerwartungen und Gehör zunächst einmal verschaffen. Hier öffnet sich der Gruppendynamik ein weites Feld. Die unterschiedlichen Qualifikationen können im Gremienalltag zur Ausbildung eines Prestige- und Autoritätsgefälles unter den Mitgliedern führen. Das Prinzip ist bekannt: Zwar sind alle im geistlichen Sinne »Geschwister«, aber einige »Geschwister« haben eben häufig das letzte Wort.
Eine dritte Bruchlinie verläuft entlang des Aktivitätsgrades der Presbyter/innen. Nach Artikel 84 der Rheinischen Kirchenordnung kann das Presbyteramt »nur solchen Gemeindegliedern übertragen werden, die sich durch gewissenhafte Erfüllung der Pflichten evangelischer Gemeindeglieder als treue Glieder der Gemeinde bewährt haben«. Persönliches Engagement, ehrenamtliche Tätigkeiten und regelmäßiger Kirchgang qualifizieren zum Presbyteramt. Insofern ist erwartbar, daß die Mitglieder des Presbyteriums den Gemeindehausbetrieb überproportional stark repräsentieren.6
Anders verhält es sich mit »Quereinsteigern«. Sie repräsentieren die große Masse der weniger aktiven Kirchenmitglieder und sind als Neuzugezogene, Konfirmandeneltern oder Kindergarteneltern in das Presbyterium gewählt worden, häufig auch deshalb, weil bei der Kandidatensuche die hohen Hürden der Kirchenordnung nicht aufrecht zu erhalten waren. Sie gelten vielfach zunächst als »neue Gesichter«, haben keine Lobby im Gemeindehaus und schon deshalb häufig auch wenig Einfluß. Wenn »die Neuen« dann nach einigen Jahren zunehmend akzeptiert werden, haben sie u.U. längst vergessen, was sie unmittelbar nach ihrer Wahl einmal in der Gemeinde »bewegen« wollten.
Das Presbyterium ist also keineswegs eine homogene Gruppe, sondern ein filigranes Netzgeflecht unterschiedlichster Kompetenzen, Qualifikationen, Macht- und Einflußmöglichkeiten. Es besitzt nur wenig dauerhafte, aber viele aushandelbare Strukturen. Es befindet sich ständig in einem labilen Fließgleichgewicht. Rollen- und Kompetenzzuweisungen müssen (insbesondere nach Mitgliederwechseln) immer wieder neu erworben und u.U. auch von den Positionsinhaber/innen aktiv verteidigt werden.
Zumeist geschieht das, wie es in Gruppen allgemein üblich ist, nicht direkt und offen, sondern auf implizite und nichtverbale Weise, manchmal aber auch im Affront und in unmittelbarer Konfrontation. Gerade wegen der zahlreichen nicht festgelegten Positionen kann presbyteriale Gemeindeleitung ein sehr anspruchsvolles und ambitioniertes Unterfangen sein. Es kommt tatsächlich darauf an, was die jeweilige Gruppe in der Praxis daraus macht. Die offene Struktur bringt eine hohe Anpassungsfähigkeit an neue Erfordernisse mit sich. Nahezu alles kann intern ausgehandelt und ggf. anders oder besser gemacht werden. Wenn es gut läuft, ist das presbyteriale System ein richtungweisendes Modell demokratischer Leitung.
Gleichberechtigung steht nicht nur auf dem Papier, wenn es gelingt, ein Klima zu pflegen, in dem es weder Herren noch Knechte, weder Titel noch Privilegien gibt. Es gibt Kirchenvorstände, denen das gelingt. Allerdings ist das ein Unternehmen, das mit ständigen Gratwanderungen verbunden ist. In der Praxis scheitert es nicht selten an »Menschlichkeiten«. Wenn die Mitglieder nicht »mitspielen«, dann ist die presbyteriale Leitung deutlich weniger als andere Leitungsformen vor Deformierungserscheinungen geschützt - dies ist die Rückseite ihrer vorsätzlich offenen Strukturen.
Presbyteriale Leitung kann beispielsweise zur Pfarrerdiktatur ausarten. Das Presbyterium kann von einem »Küchenkabinett« manipuliert werden, das sich eigenmächtig über die restlichen Mitglieder hinwegsetzt. Presbyterien können aber auch zu einer schlechten Kopie anderer Leitungsvorbilder werden, etwa zum Stadtrat, zum Aufsichtsrat, zum Arbeitgeber usw. In derartigen Fällen haben die angestellten Mitarbeiter/innen oft wenig Freiraum und noch weniger Freude an ihrem Beruf.
Man sieht, wie zahlreich die Gefährdungen sind, die das
ambitionierte
Projekt »demokratische Gemeindeleitung« zum Scheitern
bringen
können und in der Praxis oft genug auch tatsächlich scheitern
lassen. Die Spannungsfelder in der Zusammensetzung der Presbyterien
bilden
eine erste Entstehungsursache der heimlichen Spielregeln.
1.2. Das Presbytergelübde:
Die Mitglieder eines Kirchenvorstandes werden in einem Gottesdienst
in ihr Amt eingeführt. In der Rheinischen Kirche ist dabei nach
Artikel
84 der Kirchenordnung die folgende Frage zu stellen: »Seid ihr
bereit,
das Euch übertragene Amt in der Leitung unserer Kirche im Gehorsam
gegen das Wort Gottes und in der Bindung an das Bekenntnis der Kirche
sorgfältig
und treu auszuüben? Versprecht Ihr, über Lehre und Ordnung
unserer
Kirche zu wachen, bei allen Euch anvertrauten Aufgaben und Diensten die
geltenden Ordnungen unserer Kirche zu beachten und in allem danach zu
trachten,
daß die Kirche auf dem Wege der Nachfolge Christi, ihres einen
Hauptes,
bleibe?«
Dieses Gelübde geht auf eine Zeit zurück, in der es noch Laienpresbyterien gab, die jederzeit in der Lage waren, die Geschicke ihrer Gemeinde auch ohne Pfarrer konfessionell, theologisch, geistlich, organisatorisch und materiell in ihre eigenen Hände zu nehmen. Vor 100 oder 200 Jahren war das ohne Zweifel vielfach der Fall. Seither aber haben Spezialisierungs- und Professionalisierungsschübe die Gesellschaft verändert. Das alte christlich religiöse Fundament ist vielfach durchlöchert und zerbröckelt. Die Religiosität der Bevölkerung hat sich entkirchlicht, entkonfessionalisiert, entdogmatisiert und entdifferenziert.
Kann man vor diesem Hintergrund tatsächlich noch davon ausgehen, daß denen, die da ihr Gelübde sprechen sollen, klar ist, was mit »Wort Gottes« und »Bekenntnis unserer Kirche« (angefangen von der Bibel über das Nicänum und die reformatorischen Bekenntnisschriften bis hin zu den Bekenntnisthesen von Barmen 1934) inhaltlich gemeint ist? Wie sollen Laien über Lehre und Ordnung der Kirche wachen, wenn sie die Ordnungen gar nicht kennen und selbst die Pfarrer/innen untereinander darüber kontroverse Ansichten vertreten?
In den evangelischen Landeskirchen Deutschlands gibt es längst
keinen Konsens mehr darüber, was der »Weg in der Nachfolge
Christi«
ist und wie er aussieht. Trotz alledem wird von den Laien erwartet,
sich
auf dies alles in einem Gottesdienst vor Gott und der versammelten
Gemeinde
zu verpflichten.
1.3. Bürokratische Verwaltung:
Ein Presbyterium hat Verwaltungsordnungen einzuhalten, Formen und
Fristen
zu wahren, Dienstwege zu beachten, seine Beschlußfähigkeit
zu
sichern usw. Im Hinblick auf das geistliche Selbstverständnis der
Gemeinden erwies sich die juristische Codierung der Landeskirchen immer
schon als ein sperriges Vehikel. Denn eine verrechtlichte Kirche
muß
sich darum bemühen, die innerkirchlich relevanten Sachverhalte in
juristischen Kategorien (Gesetz, Verordnung, Verfügung, Anweisung
usw.) zu fassen.
Gerade dagegen aber sträuben sich nicht wenige Tatbestände des Religionssystems. Wie läßt sich - im Extremfall - das spontane, herkömmliche Normen geradezu demonstrativ mißachtende Engagement Jesu Christi in rechtsrelevante Kategorien einpassen? Aber auch schon deutlich bescheideneren Erfordernissen zeigt sich das Rechtsdenken nicht gewachsen. Verrechtlichung bedeutet Normierung, Standardisierung und Formalisierung. Wenn etwas gültig ist, dann muß es für alle gelten. Mit Sonderwegen, lokalen Eigenheiten, innovativen Impulsen, Erscheinungen, die es »noch nie gegeben« hat, weiß schwer umzugehen, wer gewohnt ist, in juristischen Kategorien zu denken.
An den Nahtstellen zwischen geistlichem Selbstverständnis, religiös motiviertem Engagement und juristischer Codierung sprühen in der Praxis der Gemeindeleitung immer wieder die Funken. Hier entzündet sich manche amüsante Anekdote, hier entzündet sich aber auch viel Unbehagen und viel Ärger. Hinzu kommt, daß sich in Presbyterien tendenziell eher solche Menschen wohlfühlen, die mit bürokratischen Abläufen vertraut sind. Das aber reduziert den Kreis derer, die zu einer fruchtbaren Mitarbeit überhaupt bereit sind. Wer sich ständig an den »Spielregeln« der Kirchenverwaltung aufreibt, der wird im Presbyterium wenig Freude und gewiß auch wenig Heimat finden.
Natürlich darf man die bürokratische Ausrichtung der kirchlichen Verwaltung nicht nur negativ beurteilen. Sie kann, wenn sie konstruktiv und mit vorausschauender Einfühlsamkeit gehandhabt wird, durchaus die Vorteile mit sich bringen, die schon Max Weber benannt hat: Genauigkeit, Verläßlichkeit und Überprüfbarkeit.7 Aber sie ist eben nicht grundsätzlich davor geschützt, zu degenerieren und als Formalbürokratie dann mehr Bremsklotz und Hindernis zu sein als Stütze zur Absicherung demokratischen Leitungsverhaltens.
Wer die Spielregeln der Verwaltung kennt, ist den anderen stets eine Nasenlänge voraus. Wenn er die Kunst beherrscht, mit kirchlichen Ordnungen konstruktiv und souverän umzugehen, ist das ein Gewinn für jedes Presbyterium. Im gegenteiligen Fall aber kann er als »Paragraphenreiter« oder »Bedenkenträger« die Entschlußfreudigkeit des Presbyteriums lahmlegen und selbst gutwillige und ruhige Gemüter an den Rand der Verzweiflung treiben. Beides ist vermutlich nicht der Normalfall, aber beides ist in zahllosen Episoden belegt. Auch die Sachzwänge der verrechtlichten Verwaltung erzwingen informale Problemlösungen.
1.4. Unzureichendes Leitungswissen:
Viele Presbyter/innen kennen zwar die Verhältnisse im Gemeindehaus
sehr genau, vom »Rest« der Gemeinde, zu der ja in der Regel
mehrere tausend Mitglieder sämtlicher Altersgruppen und
Bildungsstufen
gehören, besitzen sie aber nicht selten nur vage Vorstellungen.
Die
soziale Komplexität und die religiöse Vielgestaltigkeit ihrer
Kirchengemeinde empfinden sie mehr als Bedrohung denn als Gewinn, und
den
Arbeitsalltag ihrer Pfarrer/innen nehmen sie vielfach nur schemenhaft
wahr.
Sie verlassen sich auf eine selektive, eher intuitive Kenntnis der
Ziele
und Inhalte evangelischer Gemeindearbeit.
All das führt dazu, daß die Qualität der geleisteten Arbeit nur höchst selten einmal kriterienorientiert beurteilt werden kann. In der Summe fehlen den Mitgliedern der Presbyterien also gerade die Voraussetzungen, die es ihnen ermöglichen würden, sich vorsätzlich und reflektiert als Leitungsorgan eines komplexen Sozialsystems zu verstehen und entsprechend zu verhalten.
Freilich ist sofort darauf hinzuweisen, daß eine derartige Qualifikation von den Landeskirchen weder erwartet noch systematisch oder flächendeckend gefördert wird. Wo Kompetenz und Qualifikation aber so ungleich ausgestreut sind, da bleibt den Mitgliedern eines Presbyteriums häufig gar nichts anderes übrig, als ihre Defizite durch Lebenserfahrung und persönliche Eindrücke mit Hilfe des »gesunden Menschenverstandes« auszugleichen.
Dagegen ist schwerlich etwas einzuwenden, so lange der Erfahrungshorizont ausreicht. Wo es um die Kleinarbeit in den Presbyterien geht, die unzähligen Beschlüsse, die in jeder Sitzung zu fassen sind, trifft das auch zu. Wenn es aber um Konzeptionsfragen und Richtungsentscheidungen für die Gemeindearbeit geht, wie sie sich ja aufgrund der hohen Anzahl von Kirchenaustritten und der damit einhergehenden Ebbe in den Kirchenkassen in den letzten Jahren verstärkt einstellen, genügt es nicht mehr. Wer nicht gewohnt ist, in Systemkategorien zu denken, der kann nämlich mit dem im alltäglichen Umgang geschulten »gesunden Menschenverstand« tatsächlich an Grenzen stoßen. Leider ist das noch zu wenig bekannt.
Der Psychologe Dietrich Dörner hat untersucht, wie Menschen reagieren, wenn sie sich in einer Entscheidungssituation befinden, der sie aufgrund ihrer Unübersichtlichkeit und Vielschichtigkeit nicht mehr gewachsen sind. Er schickte Testpersonen in computersimulierte Spielsituationen und übertrug ihnen weitestgehende Entscheidungsbefugnisse.
Die Spielsituationen waren so konstruiert, daß »der Leiter« (die Versuchsperson) zunächst keinen Überblick hatte, also nicht genau wußte, welche Teilziele er verfolgen und welche konkreten Maßnahmen er zu ergreifen hatte. In seinem Buch »Die Logik des Mißlingens«8 hat er die Ergebnisse dargestellt und gezeigt, daß selbst akademisch ausgebildete Menschen in derartigen Situationen scheiterten, wenn sie die Grundregeln der Systemsteuerung verletzten. So war es erforderlich, Schlüsselfaktoren zu erkennen und sie ständig im Auge zu behalten, um sich nicht zu verzetteln. Mittelfristige Ziele mußten formuliert und konsequent verfolgt werden. Nur dann konnte man erfolgreich sein.
Anders verhielten sich dagegen die »looser«. Sie gingen intuitiv, impulsiv oder ad hoc an die Aufgabe heran und gerieten dann unter dem Eindruck ihres ständig anwachsenden Mißerfolges in eine schwere Führungskrise. Wie die Maus im Laufrad fortwährend gezwungen ist, das Tempo zu erhöhen, so erhöhten auch sie das Tempo. Sie wurden hektischer, faßten ständig mehr Beschlüsse, riefen neue Projekte ins Leben, bereiteten sie aber schlechter vor. Die Richtungen wechselten wie das Wetter.
Die zielorientierte Kontinuität ging darüber verloren. Die Leistungsanforderungen gegenüber den Untergebenen wurden irrational erhöht. Eingehende und konzentrierte Beschäftigung mit Schlüsselfragen fand nicht mehr statt. »Verkapselungsverhalten« (S. 43) griff um sich: Die Leiter konzentrierten sich auf einzelne Punkte, ohne aber angeben zu können, welche Bedeutung sie denn überhaupt für das Gesamtprojekt besaßen. Sie beschäftigten sich intensiv mit unwichtigen Details und flohen »in die klein(lich)e Regultion längst nicht mehr wichtiger Alltagsverrichtungen« (S. 155).
Sie weigerten sich, neue und entscheidungsrelevante Informationen überhaupt noch zur Kenntnis zu nehmen (S. 146-155). Schließlich mehrten sich dann sogar Strategien, deren tieferer Sinn darin bestand, dem eigenen Scheitern nicht ins Auge sehen zu müssen und eine bloße »Kompetenzillusion« aufrecht zu erhalten: Nachprüfungen fanden nicht mehr statt.9 Man suchte nach Schuldursachen und Schuldigen: »Ich habe das Beste gewollt, aber die Umstände haben verhindert, daß das, was ich wollte, auch eintrat«.10 Man strebte das Gegenteil der ursprünglich einmal benannten Ziele an.11
Alle diese Verhaltensweisen hat Dörner fernab des innerkirchlichen Problemhorizontes ermittelt. Aber alles, was er benannt hat, läßt sich in dieser oder jener Ausprägung auch in Presbyteriumssitzungen beobachten.
Nun hat wohl niemand Freude daran, sich ständig mit irgendwelchen Spannungen und Krisensymptomen herumzuschlagen. Von daher ist verständlich, warum es zur Entstehung und Verbreitung von »heimlichen Spielregeln« für die Gemeindeleitung kommt. Heimliche Spielregeln entstehen als pragmatische Reaktionen der Betroffenen auf die Konflikt- und Problemsituationen im Sitzungsalltag. Sie entwickeln sich aus dem Prinzip, das Nächstliegende und Plausibelste zu tun und dabei gleichzeitig unnötige Anstrengungen oder seelische Belastungen so weit als möglich zu vermeiden.
Das heißt, sie entwickeln und bewähren sich grundsätzlich in enger Orientierung an den jeweils wechselnden örtlichen und personalen Gegebenheiten und fallen deshalb auch nicht überall gleich aus. Gemeinsam ist ihnen jedoch, daß sie nirgends aufgeschrieben und nur selten einmal thematisiert werden. Gleichwohl aber sind sie hochwirksam, denn sie legen fest, an welchen Kriterien sich die Mitglieder des Gremiums primär orientieren.
Jeder der eingangs dargestellten drei Problemkonstellationen werden
im folgenden informale Lösungsstrategien gegenübergestellt
werden.
Mit den Erwartungen, die die Kirchenordnungen formulieren, besitzen die
sie zuweilen nur noch rudimentäre Gemeinsamkeiten. Untereinander
aber
sind sie eng verzahnt. Sie stützen und ergänzen sich
wechselseitig.
3.1. Das Betriebsklima hat Priorität:
Das ambitionierte presbyteriale Leitungskonzept, das mit dem Preis
zahlreicher Bruchlinien und ungeklärter Zuständigkeiten
innerhalb
des Presbyteriums erkauft wird, erfordert einen hochsensiblen
zwischenmenschlichen
Umgang. Das gruppendynamische Fließgleichgewicht läßt
sich am leichtesten unter Kontrolle halten, wenn sich das Gremium vor
allem
anderen um ein »gutes Betriebsklima« bemüht. Wichtiger
als alle Sacharbeit ist das »geschwisterliche Miteinander«.
Nur wo jeder bereit ist, im Zweifelsfall zurückzustecken und die
Einmütigkeit
höher zu bewerten, als einen profilierten Beschluß, kann
verhindert
werden, daß sich unerwünschtes Sitzungsverhalten einstellt.
Wenn das Miteinander erst einmal gestört ist, können sich
entlang der Spannungslinien Gruppierungen und Fraktionen herausbilden,
deren destruktives Verhalten bis hin zu Obstruktion und
Fundamentalopposition
reichen kann. Die informale Spielregel, in jedem Falle zunächst
einmal
das persönliche Miteinander, das Betriebsklima, zu pflegen, hat
von
daher einen guten Sinn. Aber sie bleibt nicht ohne Folgen. Sie hemmt
die
Innovationsfreudigkeit des Gremiums. Wenn eine Innovationsbestrebung
nicht
von sämtlichen Mitgliedern des Gremiums geteilt wird, ist sie
nicht
nur im Hinblick auf das gruppendynamische Fließgleichgewicht
riskant,
sondern auch überaus zeitaufwendig und ständig von
Rückschlägen
bedroht.
3.2. Naheliegende Kompetenzverteilung:
Wo es längst kein Kinderspiel mehr ist, sich im Dickicht der
verschiedenartigen
Bekenntnisformulierungen, der Konfessionsprofile und
Kohärenzansprüche
zurechtzufinden, da liegt es nahe, den Pfarrer/innen die
Zuständigkeit
für alles »Geistliche« exklusiv zu überlassen.
Hier
folgt man willig ihrer Ansicht und lernt im Laufe der Zeit, daß
auch
Pfarrer/innen untereinander nie völlig einer Meinung sind. Es
zeugte
von Übermut, sich als Laie auf dieses Glatteis zu begeben.
Das »Weltliche« dagegen, von dem die Pfarrer/innen ja nach landläufiger Ansicht ohnehin nichts oder allenfalls zu wenig verstehen, beanspruchen die nichtordinierten Mitglieder für sich. Hier ist man lebenserfahren und kompetent. Die Logik der Kompetenzverteilung erschließt sich im Verlaufe jeder Sitzung, wenn etwa die »Andacht« schweigend hingenommen wird, wohingegen sich - cum grano salis - über der Frage, ein Bügeleisen für das Gemeindehaus zu erwerben, lebhafte und langanhaltende Diskussionen entzünden.
Es soll nicht behauptet werden, daß das in jedem Presbyterium
so ist oder gar so sein muß. Es wird zahlreiche Presbyterien
geben,
in denen das anders ist. Schon ein gewachsenes Selbstverständnis
des
Gremiums, eine starke Presbyterpersönlichkeit, eine reflektierte
Geschäftsordnung
oder eine gut vorbereitete Sitzungsleitung können dafür
sorgen,
daß es anders zugeht. Informale Ordnungen entwickeln und
bewähren
sich grundsätzlich in enger Orientierung an den örtlichen
Gegebenheiten.
3.3. Vorlagenberge abtragen - Gemeinde verwalten:
Die Kirchen- und Gemeindeverwaltungen sorgen dafür, daß
das Leitungsgremium über Arbeitsmangel nicht zu klagen hat. Sei
auch
die einzelne Aufgabe noch so selbstverständlich oder gar
nebensächlich,
all das, was im Apparat passiert ist oder passieren soll, ist
ordnungsgemäß
zur Kenntnis zu nehmen oder zu beschließen. Im Extremfall reicht
die Liste von der Höhergruppierung des Zivildienstleistenden und
der
Urlaubsvertretung für eine Reinigungskraft bis hin zu der Frage,
wer
einen Schlüssel für den Jugendkeller bekommen darf. Es
fällt
schwer, darüber keine Satiren zu schreiben.
Aber auch sehr viel gewichtigere Dinge sind zu entscheiden, Ausschüsse zu besetzen, Finanzen zu verwalten oder Dienstanweisungen zu erstellen. Kurz, die Verwaltung hält die Presbyterien in Bewegung und erzeugt damit einen ständigen Druck, der das Presbyterium zwingt, sich zunächst und vor allem mit dem Nächstliegenden zu beschäftigen. Das Nächstliegende aber ist in der Regel der alltägliche Kleinkram. Die informale Spielregel für das nächstliegende Leitungsverhalten lautet deshalb: die anstehenden Beschlußvorlagenberge sind abzutragen. Ausblick und Rückblick unterbleiben oft schon allein aus Zeitgründen.
Zwei weitere Eigenarten der bürokratischen Verwaltung verstärken die Fixierung der Gemeindeleitung auf das Nächstliegende: Zum einen ist die Gemeindeleitung weithin sich selbst überlassen. Solange sie ihre Arbeit lautlos verrichtet und eventuelle Erschütterungen »unter der Decke« oder »im Rahmen« bleiben, halten sich die übergeordneten kirchenleitenden Instanzen zurück. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht der parochialen Gemeindeleitung.
Die Ruhe aber läßt sich am besten wahren, wenn man so wenig als möglich zu bewegen versucht. Zum anderen wird immer nur das zum Verhandlungsgegenstand in der Sitzung, was auch »Tagesordnungspunkt« ist. Ein Beschwerdebrief an den Vorsitzenden erreicht deshalb mühelos die Sitzungsteilnehmer. Wenn aber beispielsweise eine Kirchengemeinde dreiviertel ihrer Mitglieder konzeptionell vernachlässigt, weil sie das Profil ihrer Gemeindearbeit an einem Leitbild orientiert, in dem diese 75% gar nicht vorkommen12, dann wird mit großer Wahrscheinlichkeit im Presbyterium nichts geschehen. Das Problem wird nach der Logik der Sitzung nicht wahrgenommen, weil (und solange wie) es nicht zum »Tagesordnungspunkt« wird.
Die Auseinandersetzung mit dem Zukunftshorizont unterliegt keiner Fristbindung und steht nicht zuletzt deshalb in der Prioritätenliste auch sehr weit hinten. Wer zügig entscheiden muß, hat nur wenig Zeit für Visionen und ist an zusätzlicher Arbeitsbelastung wenig interessiert. In dieser Situation bietet sich die Verwaltung der Kirchengemeinde mit dem erprobten Mittel der Finanzsteuerung geradezu an. Vorhandene oder nicht vorhandene Geldmittel bestimmen darüber, ob Handlungsspielräume genutzt oder Planstellen gestrichen werden. Finanzsteuerung ist konzeptionell konservativ. Sie bemüht sich, zu realisieren, was finanzierbar ist, zu erhalten, was da ist, und zu beschneiden, was selbst bei bestem Willen nicht mehr zu bezahlen ist.
Solange Geld im ausreichenden Maße vorhanden ist, macht
Finanzsteuerung
sogar Spaß. Wird das Geld knapper, schwindet die Freude und die
Entscheidungslast
drückt schwerer. Problematisch ist das Mittel der Finanzsteuerung
aber weniger wegen seiner emotionalen Begleitdimensionen, sondern wegen
seiner konzeptionellen Eingleisigkeit. Wo die Geldmittel knapper
werden,
kann man mit der Methode der Finanzsteuerung allenfalls einen
ehrenvollen
Gemeindeabbau begleiten, aber keinen konzeptionellen Neubeginn starten.
Eine durchgreifende Wende zum Besseren ist mit Finanzsteuerung allein
nicht
zu erreichen.
3.4. Informale Komplexitätsreduktion -
»Familienfürsorge«:
Die Problematik der undurchsichtigen, mehrdimensionalen
Komplexität
des Sozialsystems Kirchengemeinde wird in den Presbyterien durch eine
Reduktionsstrategie
gelöst. Dabei hilft insbesondere die Orientierung an gängigen
Leitmetaphern: Die Gemeinde wird als eine Art »Familie«
begriffen,
als ein »harter Kern« oder auch - nach dem
Zwiebelschalenmodell
- als ein »lebendiges Zentrum«, um das herum in
konzentrischen
Kreisen verschiedene Schwundstufen abnehmender Religiosität und
Kirchenbindung
gruppiert sind.
Das intern favorisierte Gemeindebild zeigt sich häufig schon in den Pfarrstellenausschreibungen. Wenn etwa Pfarrer/innen gesucht werden, die vielfältige neue Impulse im Gemeindehausleben setzen sollen, dann ist bereits aus der Anzeigenformulierung herauszulesen, daß sich das Presbyterium »die« Gemeinde mit einiger Wahrscheinlichkeit nach der Logik informaler Komplexitätsreduktion auf den Kreis derer zurechtgestutzt hat, die kontinuierlich im Gemeindehaus präsent sind. Gesucht wird jemand, der »die Familie pflegt«.
Die pastorale Begleitung der etwa zwei- bis dreitausend
Gemeindemitglieder
aber, die in einer evangelischen Landeskirche üblicherweise einem
Pfarrbezirk zugeordnet sind (und ihn materiell am Leben erhalten), wird
demgegenüber in vielen Pfarrstellenausschreibungen allenfalls
beiläufig
erwähnt. Derartige Komplexitätsreduktionen sind durchaus
funktional,
denn in der überschaubaren Welt einer »Kerngemeinde«
kann
jeder mitreden, sofern er nur regelmäßig teilnimmt. Wer
könnte
das angesichts der Unübersichtlichkeit der
volkskirchlich-religiösen
Verhältnisse in einer pluralistischen Gesellschaft in gleicher
Weise
von sich behaupten?
4. Gemeinde leiten - Desiderate
Angesichts einer allenfalls stagnierenden Beteiligung am
Gemeindehausleben,
zunehmender Austrittsneigung unter den Kirchenmitgliedern und einem
erheblichen
Kräfteverschleiß unter den haupt- und ehrenamtlichen
Mitarbeitern
sind die Kirchenvorstände als Leitungsgremien der Gemeinden
aufgefordert,
die Verhältnisse zu verbessern. In der Regel haben sie ja auch
viele
der genannten Probleme längst schon selbst erkannt. Wenn sie sie
dennoch
nicht zu überwinden vermögen, dann liegt das sicher nicht an
irgendwelchen persönlich-menschlichen Untüchtigkeiten oder an
einem Mangel an gutem Willen. Im Gegenteil, an Engagement und an der
Bereitschaft,
sich einzusetzen, fehlt es nicht. Aber es fehlt an der Fähigkeit,
das komplexe Sozialsystem Kirchengemeinde reflektiert zu leiten.13
Im einzelnen bedeutet das: Es fehlt ein klar definiertes Selbstverständnis als Leitungsorgan (im Unterschied zu einem bloßen Verwaltungsorgan). Es fehlt an praxisnahen, problemgerechten und flächendeckenden Fortbildungsangeboten für neugewählte und amtierende Presbyter/innen. Es fehlen grundlegende Kenntnisse der Systemsteuerung und das Wissen um die Bedeutung und die Eigendynamik der heimlichen Spielregeln. Und schließlich fehlt eine breite praktisch-theologische Diskussion über tragfähigere Leitbilder und bessere Konzepte für die evangelische Gemeindearbeit in volkskirchlichen Parochien. Es fehlt nicht an der Leistungsfähigkeit und am Leistungswillen der Betroffenen. Ihr Leitungsverhalten ist so plausibel, wie es unter den genannten Umständen eben sein kann.
Anmerkungen:
1 M. Irle: Soziale Systeme. Eine kritische Analyse der Theorie von
formalen und informalen Organisationen? Göttingen 1963; N.
Luhmann:
Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964, S. 18-20; N.
Luhmann: Organisation, in: W. Küpper / G. Ortmann (Hg.),
Mikropolitik,
Rationalität, Macht und Spiele. Opladen 1988, S. 165-185; W.
Girschner:
Theorie sozialer Organisationen, Weinheim 1990, S. 76-93; P.
Scott-Morgan/A.
D. Little: Die heimlichen Spielregeln. Die Macht der ungeschriebenen
Gesetze
im Unternehmen, Frankfurt u.ö. 21995
2 In meiner Habilitationschrift über »Die Kirchengemeinde
- Sozialsystem im Wandel. Analysen und Anregungen für die Reform
der
evangelischen Gemeindearbeit«, Berlin/New York 1997 habe ich
einen
ersten Versuch vorgelegt.
3 Vgl. etwa K.-W. Dahm: Verbundenheit mit der Volkskirche: Verschiedene
Motive - Eindeutige Konsequenzen?, in: J. Matthes (Hg.): Erneuerung, S.
113-159
4 Dazu W. Lück: Der Pfarrer und sein Kirchenvorstand. Eine
komplizierte
Beziehung, in: PTh 78/1989, S. 139-152
5 Zur Zusammensetzung der Kirchenvorstände in der Bayerischen
Kirche vgl. H. Lindner: Kirche am Ort. Eine Gemeindetheorie, Stuttgart
1994 S. 267f
6 Vgl. auch die Umfragedaten aus einer Erhebung unter
Kirchenvorstandsmitgliedern
im Evan
R. R., Jgg. 1954, Studium der Theologie, Erwachsenenbildung
und
Sonderpädagogik, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Praktische
Theologie an der KiHo Berlin und der Universität Mainz, mehr als
10
J
© 1999 Deutsches Pfarrerblatt
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Materialien zum Problem der
Pfarrerdienstanweisung in der Kirche
(c) 1998-2006 Pfarrer Peter Zillmann; www.seggeluchbecken.de/amt-dienst/amt.htm
email: Zillmann
D 13435 Berlin-Wittenau, Finsterwalderstr. 68, Tel.:
(030) 402 56 77
www.seggeluchbecken.de