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AMT & DIENST - GESCHICHTE |
Materialien zum Problem der Pfarrerdienstanweisung in der Kirche |
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Materialien zum Problem der Pfarrerdienstanweisung in der Kirche |
Die
Ordonnances
Ecclésiastiques de l'Eglise de Genève von 1561
als Führungskonzept
Die Ordonnances
Ecclésiastiques
de l'Eglise de Genève von 1561 stammen in der Hauptsache
von Johannes Calvin, der
mit dieser Kirchenordnung neue Massstäbe für die
Kirchenorganisation setzte.
Dieser Beitrag blickt zuerst zurück auf die alte Kirche und die
Reformatoren Luther und
Zwingli, bevor er die Genfer Kirchenordnung auf ihre
Führungsgrundsätze
befragt. Zukunftsweisend waren die gleichberechtigte Zusammenarbeit von
Theologen und
Nichttheologen,
die Fortbildung der Pfarrerschaft nach dem Prinzip des "learning
by doing" und das Modell
einer regelmässigen Kontrolle der Mitarbeiter. Im "Grundsatz der
Ämterteilung ist eine
der Wurzeln der calvinischen 'Demokratisierung' greifbar, aus denen
sich
[...] in Westeuropa die
politische Form der repräsentativen Demokratie entwickelt hat."
(Link
1997, S. VI.)
1. Alte Kirche
Die in Harvard lehrende
Neutestamentlerin
Elisabeth Schüssler Fiorenza hat für die
ursprüngliche
Jesusbewegung
den Begriff "Nachfolgegemeinschaft von Gleichgestellten"
geprägt.
(Schüssler
Fiorenza 1988.) Die erste christliche Generation kannte offensichtlich
keine
festen Ämter und noch
weniger eine Hierarchie. Für die kleine Bewegung waren feste
Strukturen
überflüssig.
Abgesehen
von Jesus selbst gab es einzelne charismatische Persönlichkeiten,
zum
Beispiel:
Auferstehungszeugen wie
Maria
Magdalena oder Petrus, · Wanderprediger wie der Apostel
Paulus oder der "Evangelist"
(Acta 21, 8) Philippus ·und Propheten wie die vier Töchter
des
Philippus ("Jungfrauen,
die
aus Eingebung redeten", Acta 21, 9) oder jener Johannes, auf den
das letzte Buch des Neuen
Testaments zurückgeht.
Alles war im Fluss. Wer
in
der Gemeinde den Ton angeben wollte, konnte sich nicht auf ein Amt
berufen, sondern musste
persönlich überzeugen. Das Christentum hatte Erfolg. Reicke
(1965,
S.
226 f.) berechnete, dass
es kurz vor dem Jahr 67 (also 37 Jahre nach der Kreuzigung Jesu) im
römischen Reich bereits
etwa 40 000 Christinnen und Christen gab. Für die Jahre nach 100
unserer Zeitrechnung
vermutet
er "die vielleicht überraschende, doch eher zu tief berechnete
Zahl von wenigstens 80 000
kleinasiatischen Christen und Nahestehenden". "[...] für die
Kirche
[im ganzen römischen
Reich] um 100 n. Chr. [ergibt sich] eine Gesamtzahl von Bekennern und
Anhängern, die
wahrscheinlich
über 320 00 lag." Es versteht sich von selbst: Eine rein
charismatische
Führungsstruktur
genügte bei diesen Zahlen nicht mehr. Stark vereinfacht lassen
sich zwei Modelle
unterscheiden:
In stärker vom
Judentum
beeinflussten christlichen Gemeinden bildeten sich Kollegien von
Gemeindeältesten,
griechisch:
Presbýteroi, das Wort, aus dem sich in den modernen
europäischen Sprachen
das Wort Priester entwickelt hat. Am Anfang hatte dieses Wort
allerdings keine
"priesterliche"
Komponente. Es waren wirklich "Älteste", erfahrene und
verdiente
Persönlichkeiten,
die als Team analog zu den Leitungsgremien der jüdischen
Synagogalgemeinden wirkten.
· In mehr von der griechisch-römischen Stadtkultur
beeinflussten
christlichen Gemeinden war
das Leitungsgremium aus Aufsehern, griechisch: Epískopoi, das
Wort, aus dem das Wort
Bischof
entstand, und Dienern, griechisch: Diákonoi, zusammengesetzt.
Typisch ist Philipper 1,
1: "Paulus und Timotheus, Knechte Christi Jesu, an alle Heiligen in
Christus Jesus, die in
Philippi
sind, samt den Aufsehern (Epískopoi) und Dienern
(Diákonoi)."
Mit den "Heiligen" ist die
ganze Gemeinde gemeint. Die Aufseher oder Episkopen stehen in
dieser frühen Zeit
durchwegs in der Mehrzahl. Die Diener oder Diakone hatten in der ersten
Zeit
verschiedene Funktionen.
Während die Diakonie später auf Armenfürsorge
eingeschränkt
wurde
So Acta 6, 1-7, ein Text,
der die spätere Theorie des Verfassers der Apostelgeschichte
festschreibt!, geht aus
Acta 6, 8 ff. und 7 hervor, dass der Diakon Stephanus auch predigte und
sich anlässlich von
Disputationen mit Gegnern der christlichen Gemeinde durch "Weisheit"
und
"Geist" hervortat. Der
Ausdruck
"bei Tisch dienen" kann auch "die Abendmahlsfeier leiten"
bedeuten. Die "Schwester
Phöbe, die 'ein Diakon' der Gemeinde in Kenchreä ist,"
Römer
16, 1;
Diakon ist an dieser Stelle
ein Maskulinum! war offensichtlich eine führende
Persönlichkeit
und
nicht eine subalterne
Hilfskraft.
Nicht umsonst sagt Paulus von ihr: "[...], dass ihr sie aufnehmet
im Herrn, wie es den
Heiligen
geziemt, und ihr beisteht in jedem Geschäft, worin sie euer bedarf
[...]" (Römer 16, 2).
Phöbe dürfte eine wohlhabende und einflussreiche Dame gewesen
sein, die
ihr Haus für
christliche
Gottesdienste zur Verfügung stellte. Für Paulus wirkte sie
als
Visitatorin
und überbringerin des
Römerbriefs. Nichts spricht dagegen, dass dieser "Diakon"
Phöbe
Eucharistiefeiern in ihrer
Hausgemeinde vorstand. Eine hierarchische Führungsstruktur der
christlichen Gemeinden
entwickelte
sich erst in nachbiblischer Zeit im zweiten Jahrhundert. Etwa
der Apostel Petrus (nach
der Tradition gestorben in der Christenverfolgung unter Kaiser Nero
im Jahr 64 nach Christus)
konnte schon rein darum nicht als erster "Bischof" von Rom amtieren,
weil die Gemeinde von Rom
zu seiner Zeit von einer ganzen Gruppe von Episkopen oder
Bischöfen geleitet
wurde Venetz/Bieberstein (1995), S. 376: "Die Grussliste Röm 16,
1-16
lässt
vermuten, dass es in Rom
zur Zeit [von Petrus und Paulus] eher einen losen Verband recht
unterschiedlicher
Hausgemeinden
denn eine einzige, gut strukturierte christliche Gemeinde
gab." (Hier weitere
Spezialliteratur
zum römischen Christentum in dieser sehr frühen Zeit!)
Venetz und Bieberstein sind
anerkannte römisch-katholische Autoren. - ähnlich wie
diejenige
von
Philippi im oben
angeführten
Beispiel! Der "monarchische Episkopat" mit einem einzigen
Bischof an der Spitze, dem
die Presbyter und Diakone untergeordnet sind, lässt sich erst beim
Märtyrerbischof
Ignatius
von Antiochien gegen das Jahr 110 ausmachen. (Zu jener Zeit war es
allerdings nur ein
Führungsmodell
neben anderen, aber welthistorisch betrachtet das
"siegreiche"!) In seinem
Brief an die kleinasiatische Gemeinde in Philadelphia schreibt er:
"Seid deshalb bedacht,
eine
Eucharistie zu gebrauchen - denn eines ist das Fleisch unseres
Herrn Jesus Christus und
einer der Kelch zur Einigung in seinem Blut, einer der Altar, wie einer
der Bischof zusammen mit
dem Presbyterium und den Diakonen [...]." (S. 197.)
In seinem Brief an die Gemeinde in Smyrna heisst es:
"Folgt alle dem Bischof
wie
Jesus Christus dem Vater, und dem Presbyterium wie den Aposteln;
die Diakone aber achtet
wie Gottes Gebot! Keiner soll ohne Bischof etwas, was die Kirche
betrifft tun. [...] Wo der
Bischof erscheint, dort soll die Gemeinde sein, wie da, wo Christus
Jesus
ist, die katholische [d.
h. allgemeine] Kirche ist. Ohne Bischof darf man weder taufen, noch das
Liebesmahl halten; [...].
[...] Gut ist es, Gott und den Bischof anzuerkennen. Wer den Bischof
ehrt, steht in Ehren bei
Gott; wer hinter dem Rücken des Bischofs etwas tut, dient dem
Teufel."
(S. 211 ff.)
Im Vergleich zu
späteren
Jahrhunderten waren die Verhältnisse damals noch klein und
überblickbar. Ein
Aufseher,
Bischof oder Episkop leitete nicht eine riesige Diözese, sondern
amtete gewissermassen als
"Stadtpfarrer". Wie in einer Nussschale begegnet in diesen Texten
aber bereits das
hierarchische
Kirchenmodell der römisch-katholischen und der orthodoxen
Kirchen: Der Bischof als
Einzelperson steht an der Spitze einer Pyramide, unter ihm die
Presbyter oder
Ältesten,
noch einmal weiter unten die Diakone - und erst jetzt folgen die
"Laien", was wörtlich
übersetzt das "Volk" heisst. Dem "Teufel" dient, wer sich in
dieses
System nicht einfügt!
Während Jahrhunderten blieb umstritten, ob nicht die Versammlung
sämtlicher
Bischöfe
(ein "ökumenisches Konzil") dem Papst übergeordnet sei. In
der
Neuzeit hat
sich das Modell mit dem
Papst an der Spitze definitiv durchgesetzt. Viele erfahren eine so
straff
geführte Kirche
besonders
in stürmischen Zeiten als einen sicheren Hort. Als problematisch
erwies sich schon früh
die Entmündigung der sogenannten "Laien". Auch der einzelne
Bischof
(oder sogar Priester)
verfügt
nur über einen kleinen Spielraum. Charismatische
Persönlichkeiten
haben oft einen schweren
Stand. Und vor allem die Frauen müssen in diesen Strukturen in der
Regel "schweigen" Vgl.
bereits
1. Korinther 14, 33 f.: "Wie in allen Gemeinden der Heiligen
sollen die Frauen in den
Gemeindeversammlungen schweigen [...]", ein Satz, der nicht von Paulus
selber stammt, sondern eine
spätere - sehr wirkungsvolle - Interpolation ist..
2. Luther und Zwingli
Bevor auf Johannes Calvin
eingegangen wird, zuerst ein Blick auf Luther und Zwingli, die beiden
wichtigsten Vertreter der
ersten reformatorischen Generation: Und hier mag vielleicht
erstaunen, dass es auch
in ihrem Bereich bei eher autoritären Führungsstrukturen
blieb.
Luther
war in erster Linie ein
Erneuerer der Glaubenslehre. Mit Bischöfen und dem Papst an ihrer
Spitze hätte er sich
sehr wohl abgefunden, wenn diese seine Theologie akzeptiert
hätten.
"Dass
Luther und die andern
Reformatoren
nur eine Reformation innerhalb der [römisch-katholischen
Kirche] gewollt haben, darf
heute als allgemein anerkannt gelten." (Grundmann 1959, Sp. 1571.)
Oft zitiert wird der Satz:
"Wenn wir [...] erlangen,
dass anerkannt wird, Gott allein aus lauter Gnade rechtfertigt durch
Christus, dann wollen wir
den Papst nicht nur auf Händen tragen, sondern ihm auch die
Füsse
küssen." (Luther
1531/35,
S. 177.)
Die Stelle steht im
verhältnismässig
späten Galaterkommentar von 1531/35 und dokumentiert,
dass auch der bereits
relativ
"alte" Luther die Türe nach Rom nicht restlos zuschlug. Besonders
ausführlich
äussert
sich Luther zu diesem Thema in einem an Papst Leo X. adressierten
"Sendbrief", dem Geleitwort
zu seiner Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" von
1520 (Luther 1520, 3). In
immer neuen Wendungen betont er, dass er grundsätzlich bereit
wäre,
die römisch-katholische
Hierarchie und an ihrer Spitze den Papst anzuerkennen, sofern dieser
bloss seine theologischen
Reformvorschläge annimmt:
"Ich [habe] aus allen
meinen
Kräften dir und deinem römischen Stuhl das Beste allzeit
gewünscht und mit
fleissigem,
herzlichem Gebet, so viel ich vermochte, bei Gott gesucht [...]." (S.
3.)
"Ich [möchte] doch
[...]
deine Person, Heiliger Vater, ehren und mit einer untertänigen
Schrift
deine und meine Unschuld
verteidigen, in der Meinung, es sei die Sache noch nicht gänzlich
verloren und verzweifelt,
wenn der Heilige Vater Leo würde nach seiner angeborenen,
hochberühmten
Gütigkeit
die Hand daran legen." (S. 9.)
"So komm ich nun,
Heiliger
Vater Leo, und zu deinen Füssen liegend bitte ich, wenn es
möglich
ist, du wollest deine Hand
dran legen, den Schmeichlern, die des Friedens Feind sind und doch
Frieden vorgeben, einen
Zaum einzulegen." (S. 9.)
Der katholische
Kirchenhistoriker
Manns (1982, S. 117) hat "das Papstbild Luthers im
'Sendbrief' an Leo X.
keineswegs
unwahrhaft und vor allem nicht bedeutungslos" genannt. Es ist
eine geradezu atemberaubende
Vorstellung, wenn der Papst auf das Anliegen Luthers
eingegangen wäre und
seine Bannandrohungsbulle zurückgenommen hätte! Es kam aber
anders
heraus. Die
römisch-katholische
Hierarchie war (noch) nicht bereit für eine umfassende
Kirchenreformation. Um sich
wenigstens in seinem eigenen Land durchzusetzen, mobilisierte
Luther die Träger der
politischen Gewalt. Im Sommer 1520 (also bereits vor dem
Versöhnungsversuch
mit dem Papst im eben erwähnten "Sendbrief") wandte er sich in
einer
flammenden Programmschrift
"An den christlichen Adel deutscher Nation" (Luther 1520, 1). Das
Wort "Adel" in dieser
Überschrift
meint alle politischen Instanzen. Wenn die kirchliche
Hierarchie nicht selbst
für Abhilfe sorgt und die kirchlichen Missstände behebt, dann
ist es
Pflicht der sogenannten
"Laien", denen politische Verantwortung für das Gemeinwohl
übertragen ist, die
kirchlichen Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen.
"O edle Fürsten und
Herren, wie lange wollt ihr euer Land und Leute solchen reissenden
Wölfen
offen und frei lassen!"
(S. 421.)
Luther entwickelt in dieser Schrift seine Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen:
"Denn alle Christen sind
in Wahrheit geistlichen Standes [...]; denn die Taufe, Evangelium und
Glaube, die machen allein
geistlich und Christenvolk." (S. 407.)
"Denn was aus der Taufe
gekrochen
ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester,
Bischof und Papst geweiht
sei, obwohl es nicht einem jeglichen ziemt, ein solches Amt
auszuüben." (S. 408.)
"Wenn ein Häuflein
frommer
christlicher Laien würde gefangen und in eine Wüstenei
gesetzt,
die nicht bei sich
hätten
einen von einem Bischof geweihten Priester und würden allda der
Sache
einig, erwählten einen
unter ihnen, [...], und würden ihm das Amt, zu taufen, Messe zu
halten,
die
Absolution zu erteilen und
zu predigen, anbefehlen, der wäre in Wahrheit ein Priester, als ob
ihn
alle Bischöfe und
Päpste
geweiht hätten. Daher kommt's, dass in der Not ein jeglicher
taufen
und
die Absolution erteilen
kann, was nicht möglich wäre, wenn wir nicht alle Priester
wären."
(S. 407
f.)
Luther entwirft hier ein
kirchliches Notrecht: Wo die Hierarchie abwesend ist (oder ihre Pflicht
nicht tut), haben die
sogenannten
"Laien" das Recht (und die Pflicht), in der Kirche zum Rechten
zu sehen. Sie dürfen
geweihte Priester oder Bischöfe absetzen und neue kreieren.
"Drum soll die Stellung
eines
Priesters nicht anders sein in der Christenheit als wie diejenige
eines Amtsmanns: solange
er im Amt ist, steht er an der Spitze; wenn er abgesetzt ist, ist er
ein
Bauer oder Bürger wie
die anderen." (S. 408.)
"Drum sage ich: dieweil
weltliche
Gewalt von Gott geordnet ist, die Bösen zu strafen und die
Frommen zu schützen,
so soll man ihr Amt lassen frei gehen ungehindert durch den ganzen
Körper der
Christenheit,
ohne Rücksicht auf irgend jemand, sie treffe Papst, Bischof,
Pfaffen,
Mönche, Nonnen oder
was es ist." (S. 409.)
"Drum soll weltliche
christliche
Gewalt ihr Amt üben frei, ungehindert, unangesehen, ob es der
Papst, ein Bischof oder
Priester sei, den sie trifft. Wer schuldig ist, der leide." (S. 409.)
Die Ausschnitte machen
deutlich,
dass auch für Luther (und nicht nur für seine
Gesprächspartner
in Rom) die Kirche nicht
einfach eine Anarchie war. Es wurde bereits zitiert, dass "es nicht
einem jeglichen ziemt, ein
solches Amt auszuüben", obwohl das allgemeine Priestertum
grundsätzlich für
alle gilt. Auch in dieser Schrift ist Luther bereit, sogar den Papst zu
akzeptieren,
sofern dieser die dreifache
Krone - die Tiara - ablegt und sich mit einer gewöhnlichen
Bischofsmitra begnügt
Was unter Papst Paul VI. im 20. Jahrhundert verwirklicht worden ist!:
"Es wäre dem Papst
genug
eine gewöhnliche Bischofskrone - mit Bildung und Heiligkeit sollte
er
grösser sein als die
anderen - und die Krone der Hoffart dem Antichrist lassen, wie da getan
haben seine Vorfahren vor
etlichen hundert Jahren." (S. 416.)
Eine "christliche
Obrigkeit"
muss sich jedoch auch um die Kirche kümmern. Die cura religionis,
d. h. die Sorge für
die Religion, ist eine Angelegenheit der weltlichen Regierung. "Als
Glied
der
Kirche, als membrum
praecipuum
ecclesiae [hervorragendes Glied der Kirche] kann [...] die
christliche Obrigkeit in
geistlicher Vollmacht gegen Missbräuche einschreiten und
Visitationen
vornehmen." (Scheuner 1957,
Sp. 1889.) Faktisch entwickelten sich die lutherischen Kirchen in
Deutschland so: Die Kirche
wurde ein Zweig der staatlichen Verwaltung. Die Pfarrer waren
Beamte, nicht mehr einer
Hierarchie, dafür aber der Bürokratie unterstellt. Da die
meisten
römisch-katholischen
Bischöfe sich den reformatorischen Anliegen Luthers verschlossen,
entstand der "Summepiskopat"
der Landesfürsten. "Superintendenten", d. h. erfahrene
Theologen, erhielten den
Auftrag, im Namen des Fürsten die Pfarrer zu visitieren - eine
Kirchenstruktur, die bis
ins Revolutionsjahr 1918 erhalten geblieben ist. Vor allem auf dem Land
waren die Pfarrer nicht
nur Seelsorger, sondern praktisch auch Repräsentanten der
Regierung
in
der fernen Stadt.
Anlässlich
ihrer Ordination mussten die angehenden Pfarrer in Preussen
schwören:
"Eben[so] will ich zur
rechten
Zeit es aufdecken, wenn ich erfahren sollte, dass etwas obhanden
sey zur Änderung oder
Aufhebung dieser trefflichen Grundverfassung, in welcher das Wohl des
Staates bestand und
bestehet;
und dem ich, in allen Punkten gehorchen und nachkommen will
und werde. Desgleichen will
ich, so viel an mir ist, Gehorsam schaffen Seiner Königlichen
Majestät, meinem
allergnädigsten
Könige, und denen, welche von seinetwegen zu gebieten und
zu befehlen haben. Auch
alle meine Pfarrkinder und Gemeinsglieder anhalten, jederzeit recht zu
denken und zu reden
über
das weltliche Regiment, welches von Gott verordnet ist."
(Kirchenagende für
die Hof- und Domkirche in Berlin 1822, S. 231.)
Anstelle der
"babylonischen
Gefangenschaft" der Kirche unter dem sich der Kirchenreformation
verschliessenden Papsttum
in Rom (Luther 1520, 2) war eine "babylonische Gefangenschaft"
der Kirche unter dem Staat
geworden, was Luther natürlich nicht so gewollt hat! Das neue
kirchliche Leitungsmodell
mochte sich einigermassen bewähren, solange die weltliche
Obrigkeit
sich selbst als christlich
verstand und sich am Evangelium orientierte (was z. B. bei Luthers
Landesherr, Friedrich dem
Weisen, aber auch bei dessen ersten Nachfahren, unbestreitbar
zutraf). Je länger,
desto mehr mussten die evangelischen Kirchen sich aber oft für
Dinge
in
Anspruch nehmen lassen,
die ihrem göttlichen Auftrag wenig oder überhaupt nicht mehr
entsprachen. Das preussische
Ordinationsgelübde dokumentiert eine Kirche, die in einem
erschreckenden Ausmass
politisiert
und für je nach Situation äusserst fragwürdige
Staatsschutzaufgaben - als
politische Polizei - missbraucht wird. In den vom Zürcher
Reformator
Huldrych Zwingli
beeinflussten
Gebieten verlief die kirchliche Entwicklung ähnlich. Auch Zwingli
erlebte, dass der für
ihn zuständige Bischof von Konstanz der Reformation abwartend,
wenn
nicht sogar ablehnend
gegenüberstand.
Zwingli forderte deshalb die Obrigkeit der freien
Reichsstadt Zürich
auf, selbständig für die Kirchenreformation zu sorgen. Auf
den
29. Januar
1523 erging die feierliche
Einladung zur ersten Zürcher Disputation:
"Wir, der
Bürgermeister,
Rat und der grosse Rat, den man die Zweihundert nennt, der Stadt
Zürich verkünden
allen Leutpriestern, Pfarrern, Seelsorgern und Prädikanten, die in
unseren
Städten, Grafschaften,
Herrschaften, hohen und niederen Gerichten und Gebieten
verpfründet
und wohnhaft sind, unseren
Gruss und günstigen und geneigten Willen. Wir geben euch bekannt:
Weil seit einiger Zeit viel
Zwietracht und Entzweiung sich erhebt zwischen denen, welche auf der
Kanzel das Wort Gottes dem
Volk verkündigen [...], so besteht unser Befehl, Wille und unsere
Absicht darin, dass Ihr,
Pfarrer, Seelsorger und Prädikanten, entweder gemeinsam oder jeder
für
sich [...] auf den [...]
29. Tag des Monats Januar früh am Morgen, wenn der Rat
zusammentritt,
in unserer Stadt Zürich
und daselbst in unserem Rathaus vor uns erscheinen sollt, um das,
worüber Ihr uneinig
seid, aufgrund der wahrhaftigen göttlichen Schrift zu diskutieren"
(Köhler
1926, S. 91 f.).
Der Text macht deutlich,
dass die Zürcher Obrigkeit das Heft selbstbewusst in die
Hände
nahm
und von jetzt an in eigener
Regie für die Kirche sorgte. Resultat der Disputation war, dass
Zwingli mit dem Segen der
Regierung in seiner reformatorischen Predigttätigkeit weiterfahren
durfte. Von jetzt an waren
auch in Zürich (und bald darauf in den andern evangelischen
Ständen
der Eigenossenschaft) die
weltlichen Behörden für die Religion zuständig. Noch im
frühen 19.
Jahrhundert hatte z. B.
die evangelisch-reformierte Kirche der Stadt St. Gallen keine
finanziellen
Kompetenzen. Die Pfarrer
wurden vom Rat gewählt und besoldet. "[...] die lokale
Kirchenleitung
[besass] keinerlei Mittel
[...], um die als notwendig erkannten Massnahmen auszuführen;
keinen
Gulden konnte sie in eigener
Kompetenz ausgeben [...]." (Ehrenzeller 1993, S. 38.) Es war (wie z.
B. auch in Zürich und
Bern) ein reines Staatskirchentum. In St. Gallen änderte sich das
im Sinne
einer recht weitgehenden
Entflechtung von Kirche und Staat erst 1859 Als unschöne Spur des
alten Staatskirchentums
ist allerdings übriggeblieben, dass der Staat St. Gallen den
Kirchen
auch heute noch verbietet,
ausländischen Gemeindegliedern das kirchliche (aktive und passive)
Wahl- und Stimmrecht zu
gewähren!. Reste des alten reformierten Staatskirchentums
überleben
in Zürich, Bern, in
der Waadt und in Baselland zum Teil bis heute. Etwas sagte der
Zürcher
Reformator Zwingli
allerdings
deutlicher als Luther: Auch wenn die Pfarrer in seiner Kirche
Staatsbeamte wurden,
bedeutete
das nicht, dass sie der Obrigkeit nach dem Mund predigen
sollten. Die von Zwingli
konzipierte Kirche legte von Anfang an viel Gewicht auf ihr
"Wächteramt"
gegenüber
der Regierung. Heutigen Kritikern kirchlicher "Einmischung" in
politische und
wirtschaftliche
Angelegenheiten sei Zwinglis Schrift "Der Hirt" zur Lektüre
empfohlen, welche Pfarrer
Jakob Schurtanner, "dem Bischof, das heisst: Wächter und Hirt im
appenzellischen Teufen"
(Zwingli 1524, S. 249) gewidmet ist:
"[...] dass der Hirt auch
dem König, Fürsten oder Oberen nichts durchgehen lassen darf,
sondern
jedem seinen Irrtum anzeigen
soll, sobald er sieht, dass jener vom Weg abkommt." (S. 271.) "[...]
dass der Hirt tun muss,
was niemand wagt: Den Finger auf wunde Stellen legen und Schlimmes
verhüten, keinen
schonen,
vor Fürsten, Volk und Geistliche treten, sich weder durch
Grösse,
Einfluss und Zahl, noch
durch irgendwelche Schreckmittel beeindrucken lassen, sofort zugegen
sein, wenn Gott ruft[,]
und nicht nachlassen, bis sie sich ändern." (S. 278.)
In seinen eigenen
Predigten
und Schriften verhielt sich zwar auch der Wittenberger Reformator
nach diesem Grundsatz. In
der Theorie vertrat er aber mehr als sein Zürcher Kollege den
Gehorsam gegenüber
der Obrigkeit (etwa in seiner Auslegung des biblischen Gebotes der
Elternehrung). Zwingli sagte
deutlicher als Luther, dass ein Pfarrer "den König, den Regenten
nicht [...] schonen" darf
(S. 271), sondern sich an die Bibelstelle halten soll: "Man muss Gott
mehr gehorchen als den
Menschen."
(Acta 5, 29.) Luther (1520, 1, S. 415) konnte sich in den
Anfangsjahren der
Reformation
auch auf dieses Wort berufen: "Darum lasset uns aufwachen,
liebe Deutsche, und Gott
mehr denn die Menschen fürchten [...]!"
3. Calvin
Doch nun Johannes Calvin
in Genf! Zuerst eine Vorbemerkung: Der Name Calvin hat bei vielen
einen schlechten Ruf. Sobald
er genannt wird, denkt man an die "finstere" Lehre von der
"doppelten
Prädestination"
und daran, dass Calvin angeblich den spanischen Arzt Michael
Servet auf dem
Scheiterhaufen
verbrannt hat. Dazu ist festzuhalten: Nicht vielen historischen
Persönlichkeiten wird
in den volkstümlichen Geschichtsdarstellungen so übel
mitgespielt
wie dem
Genfer Reformator! Zur Lehre
von der "doppelten Prädestination", die Calvin in seinen
akademischen theologischen
Schriften (nicht aber in seinen Predigten) vertrat: Diese Lehre ist
so subtil, dass sie nur
in einem theologischen Seminar für Fortgeschrittene angemessen
erörtert
werden kann. Es ist sehr
anspruchsvoll, zu zeigen, ob und wie sie sich überhaupt von der
Prädestinationslehre
des Thomas von Aquino, des grössten römisch-katholischen
Theologen
aller Zeiten, abhebt. Auch
Thomas lehrte, dass Gott Erwählung oder Verdammung des einzelnen
vor aller Zeit
vorherbestimmt
hat! Thomas von Aquino, Summa Theologiae I 23. Hier Artikel 3:
"Wie die Vorherbestimmung
ein Teil der Vorsehung ist im Hinblick auf die, welche
göttlicherweise auf
das ewige Heil hin[g]eordnet werden, so ist [...] die Verwerfung ein
Teil
der
Vorsehung bezüglich
derer, die von diesem Endziel abfallen." "[...] die Vorherbestimmung
[...]
ist
nicht bloss ein Vorauswissen
[...]." Bernhart (1985), S. 182. Zu Michael Servet: Es trifft zu, dass
Johannes Calvin der Meinung
war, ein Leugner des klassischen Dogmas von der Trinität habe
den Tod verdient. Calvin
stimmte darin aber überein mit fast allen
römisch-katholischen,
evangelisch-lutherischen
und evangelisch-reformierten Kirchenmännern seiner Zeit. In
theologischen Gutachten
befürworteten die Kirchen von Basel, Zürich, Schaffhausen und
Bern
die Todesstrafe für
den spanischen Arzt. Schwarz (1962), S. 661:"Der Bote ist aus der
Schweiz
zurückgekommen.
Einmütig
sprechen sich alle dahin aus, Servet habe die gottlosen Irrlehren, mit
denen in früheren
Zeiten
Satan die Kirche verwirrte, wieder neu aufgebracht und sei ein nicht zu
duldendes Ungeheuer. Die
Basler mutig, die Zürcher am leidenschaftlichsten von allen; denn
das
Furchtbare seiner
Gottlosigkeit
wird von ihnen sehr nachdrücklich betont, und sie mahnen
unseren Rat zur Strenge.
Die Schaffhauser pflichten ihnen bei. Dem Brief der Berner
[Theologen] liegt auch ein
Schreiben ihres Rates bei, das die Unseren nicht wenig angespornt
hat." (Brief vom 26. Oktober
1553 an Farel in Neuchâtel.) Und zur Verbrennung auf dem
Scheiterhaufen: Calvin war
zwar für die Hinrichtung Servets, versuchte jedoch, eine weniger
grausame Hinrichtungsform
zu erreichen. Schwarz (1962), S. 650: "Ich hoffe, dass das Urteil auf
Todesstrafe ausfällt;
aber mein Wunsch ist, dass die Grausamkeit des Strafvollzugs gemildert
wird." (Brief vom 20. August
1553 an Farel in Neuchâtel.) S. 662: "Die Art der Todesstrafe
suchten wir zu ändern,
doch umsonst." (Brief vom 26. Oktober 1553 an Farel in
Neuchâtel.)
Das
Genfer Gericht war aber
nicht bereit, auf Calvin zu hören. - Alles in allem lässt
sich
feststellen,
dass ein Geschichtsbuch
oder Lexikon nach dem anderen die gleichen undifferenziert
unfreundlichen Aussagen
über Calvin dem vorangehenden abschreibt, ohne sie an den Quellen
zu
überprüfen. Das
eigentliche Thema dieser Abhandlung sind die Ordonnances
Ecclésiastiques
de
l'Eglise de Genève
von (1541 und in ihrer endgültigen Fassung) 1561. Ohne zu
übertreiben,
wird
man sagen dürfen, dass
Calvin mit seinem Führungskonzept für die Genfer Kirche
epochemachend war. Anders
als Luther brach er nicht nur mit dem hierarchischen Kirchenmodell
der
römisch-katholischen
(und der orthodoxen) Kirche. Jedenfalls langfristig betrachtet,
verstand
er es zugleich, ein
Staatskirchentum
und die damit verbundene Bürokratisierung und politische
Entmündigung der Kirche
zu vermeiden, wie man sie in Deutschland und teilweise in der
deutschen Schweiz kennt.
Am Anfang herrschten in Genf nach der Reformation zwar die gleichen
Strukturen wie in
Zürich
und Bern und anderswo in der Eidgenossenschaft. Auch in Genf hatte
der Rat - d. h. die
politische
Obrigkeit - die Reformation eingeführt. Calvin selbst empfing
seinen
Lohn von den
bürgerlichen
Behörden.
Der Genfer Reformator nahm aber zwei in die Zukunft
weisende Weichenstellungen
vor: Einerseits versuchte Calvin, Kirche und Staat in Genf so weit
wie möglich zu
entflechten.
Er kämpfte z. B. dafür, dass auch Gemeindeglieder ohne das
Genfer
Bürgerrecht in
kirchlichen
Angelegenheiten mitentscheiden konnten. Christengemeinde und
Bürgergemeinde waren
nach Calvins Verständnis nicht identisch! Symbolhaft zeigte sich
der
Unterschied zwischen Kirche
und Staat darin, dass Calvin es durchsetzte, dass Ratsmitglieder,
die im Konsistorium sassen
(vgl. dazu weiter unten), bei diesen kirchlichen Sitzungen ihre
politischen Machtinsignien
zu Hause lassen mussten:
"Entgegen der von der
Allgemeinen
Bürgerversammlung verabschiedeten Kirchenordnung ist
vor einiger Zeit der Brauch
eingeführt worden, dass einer der vier Bürgermeister mit
seinem
Amtsstab dem Konsistorium
vorsteht, was eher nach einer zivilen Rechtssprechung aussieht, als
nach einer geistlichen
Leitung.
Die heilige Schrift lehrt uns aber zu unterscheiden zwischen dem
Schwert und der
Autorität
der Regierung einerseits und der Aufsichtsbefugnis der Kirche
andererseits, welche dazu
dient, alle Christen zum Gehorsam und zum wahren Gottesdienst
anzuhalten [...]. Um diese
Unterscheidung besser zu wahren, verfügen wir, dass man also nur
zwei
aus dem Kleinen Rat
wählt,
und dass, falls einer davon ein Bürgermeister ist, dieser dort nur
in
der Funktion eines
Ältesten
zur Leitung der Kirche tätig ist, ohne Regierungsstab." (S. 275.)
Diese Ergänzung der
Ordonnances Ecclésiastiques wurde am 9. Februar 1560
beschlossen.
Anderseits, und das ist
der noch wichtigere Punkt: Calvin schuf eine Kirchenverfassung, die es
der reformierten Kirche
ermöglichte, zuerst in Frankreich und später in den
Niederlanden,
in
Ungarn, England, Schottland,
Nordirland und Nordamerika auch ohne staatliche Protektion zu
überleben. Die
reformierte
Kirche verwaltete sich so weit als möglich selbst. Und zwar stand
an
ihrer Spitze nicht ein
einzelner
(auch nicht Calvin persönlich), sondern ein ganzes Team, in dem
Theologen und Nichttheologen
sich in der Verantwortung für die Kirche teilten. Besonders diese
Kooperation zwischen
Theologen
und Nichttheologen, die völlig gleichberechtigt sind, dürfte
bis
in die Gegenwart von
höchster
Aktualität sein. Eine Kirche, in der nur Theologen (oder Priester)
den Ton angeben, wird
möglicherweise
weltfremd (oder klerikal). Umgekehrt, eine Kirche, die
nur von Politikern (und
Juristen oder ökonomen) geleitet wird, läuft Gefahr, ihre
geistliche
Tiefendimension zu
verlieren.
Sie ist dann vielleicht nicht mehr das "Salz der Erde" (Matthäus
5,
13). Oder sie erstarrt in
überholten religiösen Klischees. Der wichtigste Punkt der
Ordonnances
Ecclésiastiques ist
ihre Lehre von den vier ämtern:
1. Pfarrer (ministres,
für
Predigt und Seelsorge); 2. Doktoren (docteurs, für den
theologischen
Unterricht); 3. älteste
(anciens, dem weltlichen Rat entnommen); 4. Diakone (diacres, für
die
Armenpflege).
Calvin war der Meinung,
diese
ämter im Neuen Testament finden zu können. Das trifft
insofern
zu, als das Neue Testament
in der Tat alle vier Funktionen kennt (allerdings noch weitere). Der
Unterschied besteht aber
darin, dass (wie am Anfang dieser Arbeit ganz knapp angedeutet
wurde) das Neue Testament
keine einheitliche ämterlehre aufweist. Wie gezeigt, gab es eher
am
Judentum orientierte
Gemeinden
mit einem Team von Ältesten an der Spitze und eher von der
griechisch-römischen
Stadtkultur geprägte Gemeinden mit einem Leitungsteam von
Episkopen
und Diakonen. Später
wurden beide Modelle miteinander kombiniert und dann hierarchisiert.
Calvin war sich dieser
historischen
Nuancen noch nicht bewusst. Er las das Neue Testament
"synchron" und nicht
"diachron",
d. h. alle Texte liegen auf derselben Ebene nebeneinander.
Eine historische
Tiefenschärfe
gibt es nicht. Die Kirche war von Anfang an "fertig" da. Das
ändert aber nichts
daran, dass Calvin besser als viele andere vor und auch nach ihm ein
Flair
für
die Vielzahl der biblischen
Ämter hatte. Eine christliche Gemeinde ist zu ihrem Wohl darauf
angewiesen, dass viele
verschiedene
mit ihren unterschiedlichen Begabungen und Ausbildungen
zusammen die Verantwortung
übernehmen und gemeinsam tragen. Im von Calvin geschaffenen
Führungskonzept
für
die Genfer Kirche bahnt sich an, was knapp zweihundert Jahre
später
der
französische
Schriftsteller
und Staatstheoretiker Montesquieu als Forderung für einen
menschenwürdigen Staat
aufstellte: das Prinzip der Gewaltentrennung. Es ist nicht gut, wenn
eine
noch so "aufgeklärte"
Instanz allein regiert. Macht korrumpiert. Ein ausgeklügeltes
System
von
Gewichten und Gegengewichten
("checks and balances") sorgt dafür, dass niemand zu mächtig
werden kann. Die
verschiedenen
Instanzen kontrollieren sich gegenseitig. Ununterbrochen
müssen sie miteinander
im Gespräch sein. Um eine wirkliche Zusammenarbeit der
verschiedenen
Amtsträger in der
Kirche
zu erreichen, schuf Calvin zwei kirchliche Ausschüsse:
1. die
Vénérable
compagnie, gebildet aus den ministres und den docteurs; gemeinsam
übten
diese das kirchliche Lehramt
aus und prüften und wählten die Pfarrer. 2. das Konsistorium
(consistoire),
zusammengestellt
aus allen ministres und den anciens (zwölf an der Zahl, zwei aus
dem Kleinen Rat, vier aus
dem Rat der 60 und sechs aus dem Rat der 200), die eigentliche
Kirchenleitung im engeren
Sinne dieses Wortes. Da auch die lutherische Kirche in Deutschland
den Begriff Konsistorium
Im römisch-katholischen Kirchenrecht bedeutet das Wort
Konsistorium die Versammlung
der Kardinäle. kennt, ist es wichtig, zu unterscheiden: Als
Konsistorium in der
lutherischen
Kirche bezeichnet man die oberste kirchliche
Verwaltungsbehörde.
In der reformierten Genfer Kirche war das consistoire eine eigentliche
Synode, in der
sämtliche
Pfarrer und ältesten sassen und gemeinsam über kirchliche
Angelegenheiten verhandelten
und beschlossen.
Einzig die Diakone waren
nicht an der Kirchenleitung beteiligt, aus heutiger Sicht eine
Schwachstelle in Calvins
Führungskonzept. Immerhin war es eine Pionierleistung, den
Diakonat
überhaupt wieder
aufleben
zu lassen und die soziale Verantwortung der Kirche so auch
institutionell zu
unterstreichen.
Kritisch wurde vom deutschen Kirchenrechtsspezialisten Hans
Liermann formuliert, dass
bei Calvin "die Gemeinde [das 'gewöhnliche' Kirchenvolk] mundtot
blieb" (Grundmann 1959,
Sp. 1577). Das ist aber ein zu strenges Urteil, auch wenn
einzuräumen
ist, dass Calvins Genfer
Kirche keine "Demokratie" im modernen Sinn war. Durch die
Einbindung von immerhin
zwölf Ratsherren, welche die Bevölkerung vertraten, in die
Kirchenleitung war
mindestens
der Keim gelegt für eine zukünftige Demokratisierung.
Darüber
hinaus ist festzuhalten:
Die Pfarrer wurden zwar von der Vénérable compagnie
gewählt,
die
"gewöhnlichen"
Gemeindeglieder
hatten aber ein Vetorecht:
"Zuerst sollen die
Pfarrer
denjenigen, den man ins Amt einsetzen will, bestimmen, nachdem sie
unseren Kleinen Rat davon
unterrichtet haben. Anschliessend soll er dem Rat vorgestellt
werden. Wird er als geeignet
angesehen, soll man ihn dort annehmen und bestätigen. Dabei soll
man ihm seine Eignung
öffentlich
bescheinigen, um ihn schliesslich im Gottesdienst dem Volk
vorzustellen, damit er so
durch die allgemeine Zustimmung der Gemeinde der Gläubigen [par
consentement commun de la
compagnie des fidèles] angenommen wird." (S. 241 [und S. 240].)
Das "consentement commun
de la compagnie des fidèles" steht eindeutig zwar nicht
zeitlich,
wohl aber logisch an der
ersten Stelle.
"Bei der Wahl eines
Pfarrers
soll sein Name öffentlich bekannt gemacht werden. Dann kann,
wer etwas gegen ihn
einzuwenden
hat, dies vor dem Tag der Vorstellung tun, damit man, falls er
wirklich zum Amt ungeeignet
ist, eine neue Wahl treffen kann." (S. 243.)
Pfarrer in der Genfer
Kirche
wurde man also nicht als Resultat einer geheimen Kabinettspolitik.
Man war auf die Akzeptanz
bei den Gemeindegliedern angewiesen - ein deutlicher Unterschied
zu den Verhältnissen
in der römisch-katholischen Kirche, aber auch in den lutherischen
Kirchen
damals. In den Anfangsjahren
der Reformation trat Luther zwar dafür ein: "Dass eine christliche
Versammlung oder Gemeinde
Recht und Macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu
berufen, ein- und
abzusetzen,
Grund und Ursach aus der Schrift." (Luther 1523.) Nach den für ihn
traumatischen Erfahrungen
des deutschen Bauernkrieges von 1525 verzichtete Luther aber
darauf, diesen Gedanken
weiter zu verfolgen. Erst im Bereich des Calvinismus entwickelte sich
"das System der
selbstregierten
Frei-K[irche] mit der Gemeinde als Grundlage [...] und mit
verantwortlicher
Laienmitarbeit
als Lebenskraft" (Grundmann 1959, Sp. 1578), was letztlich auf
Calvin zurückgeht.
Wirklich durchsetzen konnte sich dieser Grundsatz allerdings nur in
Ländern,
in denen die Obrigkeit nicht
selber evangelisch-reformiert war. Wie allgemein bekannt ist,
genügt ein noch so
schönes Organigramm auf dem Papier nicht, wenn seine
Durchführung
in der
Praxis nicht in einer
sinnvollen
Weise kontrolliert wird. Zum Schluss deshalb ein Blick auf die
Bestimmungen der Ordonnances
Ecclésiastiques, die dafür Sorge tragen wollen, dass die
Genfer
Kirchenordnung nicht eine
Utopie bleibt: Einer der wohl wichtigsten und effizientesten Artikel
war derjenige, der
verlangte,
dass sämtliche Pfarrer der Stadt Genf regelmässig einmal in
der
Woche zusammenkommen
sollten.
"[...] dass alle Pfarrer,
um Reinheit und Eintracht der Lehre untereinander zu bewahren, an
einem bestimmten Wochentag
zu einem gemeinsamen Schriftstudium zusammenkommen." (S.
245.)
Auch die Landpfarrer
mussten
nach Möglichkeit an diesen Pfarrkonventen teilnehmen - "ausser
wegen Krankheit" (S. 247).
Wichtig ist, dass diese Zusammenkünfte nicht nur - und nicht
einmal
in erster Linie -
administrativen
Massnahmen, sondern der theologischen Weiterbildung dienten.
Noch einmal: "[...] zu einem
gemeinsamen Schriftstudium." Dabei ging es nicht nur um das
Anhören von
Vorträgen,
sondern reihum musste jeder eine Probe seiner eigenen theologischen
Kompetenz erbringen:
"Um zu sehen, wie
sorgfältig
ein jeder das Schriftstudium betreibt, und damit keiner nachlässig
wird, soll der Reihe nach
jedesmal ein anderer diejenige Schriftstelle auslegen, die gerade dran
ist." (S. 247.)
Mit Wunderer (1991, S.
206):
Es war eine "Zusammenarbeit [...] über wechselseitige
Abstimmung und Konsens".
Calvin war sich offensichtlich bewusst, dass das "learning by doing"
eine besonders wirkungsvolle
Unterrichtsmethode ist. Lernprozesse werden am besten in Gang
gebracht und
Lernfortschritte
am ehesten erreicht, wenn der Auszubildende aktiv und nicht nur
rezeptiv an einer Lehr-
und Lernveranstaltung teilnimmt. Es lässt sich leicht vorstellen,
dass
Calvin durch diese
Massnahmen
zur Fortbildung eine spürbare Anhebung des theologischen
Niveaus der Genfer
Pfarrerschaft
erzielte. Bereits Zwingli in Zürich hatte unter den Namen
"Prophezei" eine
ähnliche
Fortbildungsveranstaltung eingeführt! - Alle drei Monate mussten
die
Pfarrer sich darüber
hinaus ausdrücklich untereinander aussprechen, um festzustellen,
ob
unter
ihnen nicht ein die
Gemeinschaft
blockierendes Problem bestehe. Abgesehen von diesen
Pfarrerzusammenkünften,
die natürlich auch die Vereinsamung der einzelnen Pfarrer
reduzierten
(welche in diesem Beruf
bis heute eine grosse Gefahr darstellt), kannten die Ordonnances
Ecclésiastiques noch
eine individuellere Art der Personalführung: Jedes Jahr einmal
wurde
jeder
Genfer Pfarrer in der Stadt
und auf dem Land von einer Viererdelegation des Konsistoriums -
zwei Theologen und zwei
Ratsmitgliedern - persönlich aufgesucht. Die kirchlichen
"Visitatoren"
mussten
überprüfen,
ob der Mann seinem Amt gewachsen sei und wie es ihm und seiner Familie
gehe.
"[...] um sich zu
vergewissern,
dass der örtliche Pfarrer keine neue Lehre vertritt, die der
Reinheit des Evangeliums
widerspricht. [...] ob der Pfarrer zur Erbauung der Gemeinde predigt
oder ob seine Art irgendwie
Anstoss erregt oder sich gar mit der Aufgabe der Unterweisung des
Volkes nicht verträgt:
etwa durch zu grosse Unklarheit, durch die Behandlung
überflüssiger
Fragen, durch zu grosse
Strenge und ähnliche Fehler. [...] ob der Pfarrer gewissenhaft
ist,
sowohl
im Predigen als auch im
Besuchen der Kranken, im Ermahnen derjenigen, die dies nötig haben
[...]. [...] ob er ein
ehrbares
Leben führt und selber ein gutes Vorbild ist; [...] ob er sich gut
mit
dem Volk versteht." (S.
249 ff.)
Anders als man sich das
Genf
der Reformationszeit häufig vorzustellen pflegt, durfte ein
Pfarrer
also in seiner Predigt nicht
zu "streng" sein. Und ein Seelsorger musste sich mit der
Bevölkerung gut
verstehen.
Die Visitatoren mussten aber auch den Kontakt mit den
Gemeindegliedern suchen
und diese dazu anhalten:
"[...] die Predigten
fleissig
zu besuchen, sie schätzen zu lernen, und für ihr christliches
Leben
Nutzen daraus zu ziehen.
Es soll daran erinnert werden, worin das [Pfarramt] besteht, damit [das
Volk] lernt, dieses Amt
in rechter Weise in Anspruch zu nehmen." (S. 251.)
Aus heutiger Sicht mag
das
wie eine kirchliche Misstrauenskultur aussehen. Und es lässt sich
nicht bestreiten, dass im
Zusammenhang mit den Visitationen in den Ordonnances
Ecclésiastiques die
negativen Fragestellungen überwiegen. Für die Genfer Pfarrer
im Zeitalter
der Reformation waren diese
jährlichen Besuche einer fachlich hochstehenden Viererdelegation
wohl aber in den meisten
Fällen hilfreich. Nicht nur redeten die Herren aus dem
Konsistorium
auch mit der Gemeinde und
versuchten dabei, das Verständnis für die anspruchsvollen
Aufgaben
des Pfarrers zu vertiefen.
Der Pfarrer hatte ausserdem die Gelegenheit, seine Situation mit
Aussenstehenden zu
besprechen.
Er wurde nicht erst dann besucht, wenn Klagen über ihn bei der
Kirchenleitung eingegangen
waren. Dank der regelmässigen und gründlichen Visitation
konnte
man Probleme frühzeitig
erkennen und eingreifen, solange es noch möglich war, diese in
einem
guten Sinn zu lösen.
Ausdrücklich wird gesagt:
"Bei dieser Visitation
soll
es sich in keiner Weise um eine gerichtliche Untersuchung handeln,
noch um irgendeine Art von
Rechtssprechung; sie dient lediglich als Heilmittel [...] und vor allem
dazu, die Pfarrer davor
zu bewahren, ihr Amt in verkehrter oder nachlässiger Weise
auszuüben."
(S. 251.)
Alle, die sich mit
Führungsfragen
in der Kirche (und in andern Institutionen) heute
auseinandersetzen
müssen,
können in den Ordonnances Ecclésiastiques Anregendes
entdecken.
Epochemachend war:
1. die Ämterteilung;
2. die gleichberechtigte Zusammenarbeit von Theologen und
Nichttheologen
in der Kirchenleitung
(Vermeidung
eines Staatskirchentums, aber trotzdem Partizipation von
"weltlichen"
Persönlichkeiten
an der Kirchenleitung); 3. die Führung und Fortbildung der
Pfarrerschaft mit dem Mittel
regelmässiger und intensiver Zusammenkünfte nach dem
Konsensprinzip; 4. ein
ausgebautes
Visitationssystem, das den einzelnen Pfarrrer nicht nur einer
intensiven Kontrolle
unterwarf,
sondern das ihm zugleich das Bewusstsein vermittelte, in seinem
anspruchsvollen Beruf nicht
allein zu sein. Johannes Calvin hatte erkannt: Auch oder sogar
besonders in der Kirche
ist das Management von Humanressourcen ein nachhaltiger
Erfolgsfaktor. Es lohnt
sich, wenn die Kirchenleitung die in der Kirche Tätigen
regelmässig
besucht, mit ihnen spricht
und ihre Erfahrungen zur rechten Zeit wahr- und ernstnimmt.
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Neukirchen
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Grundmann, S. (1959):
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3. Auflage. Dritter Band. Tübingen. Sp. 1570 - 1584.
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Fischer,
J. A. (Hrsg.) (1993): Die apostolischen Väter. 10. Auflage.
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bei der Ordination. In:
Thelemann, H.-M./Aschermann, H. (Hrsg.) (1968): Horizonte des
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Frankfurt
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Köhler. W. (Hrsg.)
(1926):
Das Buch der Reformation Huldrych Zwinglis. München. (Das Zitat
wurde sprachlich leicht
modernisiert.)
Link, C. (1997): Vorwort
zu: Calvin-Studienausgabe. Band 2. Gestalt und Ordnung der Kirche.
Neukirchen. S. V - VII.
Luther, M. (1520, 1): An
den christlichen Adel deutscher Nation. In: Weimarer Ausgabe 6, S.
404 - 465. (Alle
Lutherzitate
wurden sprachlich leicht modernisiert.)
Luther. M. (1520, 2): De
captivitate Babylonica ecclesiae praeludium. In: Weimarer Ausgabe 6,
S. 497 - 573.
Luther. M. (1520, 3): Von
der Freiheit eines Christenmenschen. In: Weimarer Ausgabe 7, S. 3 -
38.
Luther, M. (1523): Dass
eine
christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe,
alle Lehre zu urteilen und
Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen, Grund und Ursach aus der
Schrift. In: Weimarer
Ausgabe
11, S. 408 - 416.
Luther, M. (1531/35): Galaterkommentar. In: Weimarer Ausgabe 40, 1 und 2, S. 1 - 184.
Manns, P. (1982): Martin Luther. Freiburg im Breisgau.
Reicke, B. (1965): Neutestamentliche Zeitgeschichte. Berlin.
Scheuner, U. (1957): Cura
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Erster Band. Tübingen.
Sp. 1889 - 1890.
Schüssler Fiorenza,
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Memory of Her - A Feminist
Reconstruction of Christian Origins. New York [1983].)
Schwarz, R. (Hrsg.)
(1962):
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Briefe der Jahre 1548-1555.
Neukirchen.
Thomas von Aquino: Summe
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Bernhart, J. Stuttgart
(1985).
Venetz, H.-J./Bieberstein, S. (1995): Im Bannkreis des Paulus. Würzburg.
Wunderer, R. (1991):
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Kooperation als Selbststeuerungs- und Führungsaufgabe. In:
Wunderer, R. (Hrsg.) (1991):
Kooperation.
Gestaltungsprinzipien und
Steuerung der Zusammenarbeit zwischen Organisationseinheiten.
Stuttgart. S. 205 - 219.
Zwingli, H. (1524): Der
Hirt.
In: Huldrych Zwingli, Schriften I. Zürich (1995). S. 249 - 312.
Der
Artikel wurde gedruckt In:
Rüdiger Klimecki / Andreas Remer (Hrsg.): Personal als Strategie.
Neuwied u. a. (Luchterhand)
1997. Hier: S. 521 - 538.
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AMT & DIENST - GESCHICHTE |
Materialien zum Problem der Pfarrerdienstanweisung in der Kirche |
Amt – Ämter - Dienste – Ordination, Ergebnis eines theologischen Gespräches
Einleitung
Zusammenfassung des Gesprächs
Zur Wortbedeutung des deutschen Wortes „Amt“
Zur Bedeutungsgeschichte
Exkurs: Das Beamtentum, seine Entstehung und
sein Ethos bis ins 18. Jahrhundert
Der Gebrauch des Wortes „Amt“ in der deutschen
Gegenwartssprache
Das Wort „Amt“ in Luthers Übersetzung des
Neuen Testaments
Das Wort „Amt“ bzw. dessen Äquivalente
in neueren Bibelübersetzungen
Erwägungen zur Bestimmung des Wortsinns
und zur Ersetzbarkeit des Wortes „Amt“ in Kirche und Theologie
Die Arbeitsgruppe wurde 1976 vom Rat der EKU (Bereich DDR) und der Kirchenleitung der VELK gebildet, um die Kirchengemeinschaft, die mit der Leuenberger Konkordie erklärt wurde, weiter zu intensivieren. Dabei wurde das Thema "Amt, Ämter, Dienste, Ordination" aufgegriffen, weil man hier zwischen Lutheranern und Reformierten größere Kontroversen vermutete. Die Ergebnisse wurden 1979 als Orientierungshilfe den Mitarbeitern und Gemeindeglieder empfohlen.
Relevante Auszüge finden sich hier aus einer privaten
Abschrift.
Sie ist weitgehend identisch mit der Veröffentlichung:
Amt – Ämter - Dienste – Ordination, Ergebnis eines theologischen
Gespräches herausgegeben von Joachim Rogge und Helmut Zeddies,
Evangelische
Verlagsanstalt Berlin 1982, 1. Aufl.
*******************
IV. Zusammenfassung
1. Die Lehrgesprächskommision, Gruppe Amt, hatte die Aufgabe,
zu
prüfen, ob im Themenbereich „Amt, Ämter, Dienste, Ordination“
vorhandene unterschiedliche Positionen und Tendenzen einer
Intensivierung
der bereits bestehenden Kirchengemeinschaft in unseren Kirchen
hinderlich
sind.
Durch theologisches Gespräch sollte versucht werden, bestehende
Differenzen aufzuarbeiten und dadurch das Zusammenwachsen in der
Gemeinschaft
von Zeugnis und Dienst zu fördern.
2. Die Kommission ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die
Unterschiede
in der Amtsauffassung zwischen lutherischer und reformierter Lehre in
der
Vergangenheit keine kirchentrennende Bedeutung gehabt haben und auch
gegenwärtig
kein Hindernis für intensivere Kirchengemeinschaft darstellen. Die
Kommission ist der Auffassung, daß beide Traditionen jeweils
wesentliche
Aspekte des neutestamentlichen Zeugnisses aufnehmen.
Deshalb ist es notwendig und sachgemäß, sie in ein
Ergänzungsverhältnis
zu bringen, um Engführungen zu vermeiden und den Reichtum des
biblischen
Zeugnisses fruchtbar werden zu lassen.
3. Die Kommission hält es darum für erforderlich, nicht von einem isolierten Amt auszugehen, sondern die Fülle des Auftrages, der der ganzen Gemeinde gegeben ist, zum Ausgangspunkt einer Neubesinnung zu machen. Dabei versteht die Kommission das Amt von CA V als Auftrag, der der ganzen Gemeinde gegeben ist. Dies bedeutet, daß die Aufträge, die herkömmlicherweise der Pfarrer, die anderen hauptamtlichen Mitarbeiter und die übrigen Gemeindeglieder haben, aufeinander bezogen werden müssen.
4. Die Kommission geht davon aus, daß die reformatorischen Aussagen über das Amt, aber auch die der alten Kirche und des Neuen Testamentes auf bestimmte Möglichkeiten und Gefährdungen der Gemeinde in ihrer Zeit bezogen waren. Das Amt erschien also immer in einer situationsgemäßen Ausprägung. Daher ist auch die gegenwärtige Kirche aufgefordert, ihre Möglichkeiten und Gefährdungen zu erkennen und eine der Situation angemessene Ausprägung des Auftrages zu finden.
5. Die Kommission ist der Ansicht, daß es - ausgehend von der Zuordnung der Aufträge in der Gemeinde - notwendig ist, auch die Formen der Beauftragungen in einen engeren Zusammenhang zu bringen.
Ausgangspunkt dafür ist der Auftrag, an dem alle Glieder der Gemeinde teilhaben. Ihm entspricht eine Fülle von Beauftragungsweisen, an denen jedes Gemeindeglied Anteil haben kann und die z. T. auch bei den offiziellen Beauftragungshandlungen vorausgesetzt werden. Solche Beauftragungsweisen können z. B. gesehen werden in der Taufe, in einem inneren Angesprochenwerden, in der Herausforderung durch eine bestimmte Situation, in der Beauftragung durch ein anderes Gemeindeglied.
Die vielfältigen Beauftragungsweisen in der Gemeinde machen die offiziellen Beauftragungshandlungen in der Kirche nicht überflüssig. Für diese offiziellen Beauftragungen, zu denen die Ordination eines Pfarrers, die Einsegnung einer Gemeindehelferin, die Einführung eines Ältesten usw. gehören, hält die Kommission folgende Elemente für konstitutiv:
- eine deutlich umrissene Aufgabenstellung,
- eine Bevollmächtigung und Vergewisserung in der Form einer auf
Gottes Wort gegründeten Verheißung an den Beauftragten,
- die Zuordnung zu einem Kreis von Menschen, in dem die Aufgabe zu
erfüllen ist, sowie die Einweisung in verschiedene
Verantwortungsverhältnisse
(Christus, Heilige Schrift, Mitbeauftragte, kirchliches Leitungsamt).
Die offizielle Beauftragung, einschließlich der Beauftragung des Pfarrers, schließt eine Terminierung des Auftrages nicht notwendig aus. Die Frage der Haupt- oder Nebenberuflichkeit ist eine Frage, die nicht von prinzipiell - theologischen, sondern von praktischen Erwägungen her entschieden werden muß.
Im Blick auf das Verhältnis der Ordination zu anderen Beauftragungen geht die Kommission davon aus, daß die Ordination die offizielle Beauftragung mit der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung bezeichnet. Die Kommission hält es für notwendig, daß das Verhältnis zu den anderen Beauftragungsweisen deutlicher geklärt wird, da auch andere Dienste an dem in der Ordination formulierten Auftrag teilhaben. In diesem Sinne hält sie eine Angleichung der offiziellen Beauftragungen und der in ihnen begründeten kirchenrechtlichen Verbindlichkeiten für notwendig. Sofern solche Dienste das Element der Wortkündigung und Sakramentsverwaltung enthalten und damit eine Ausübung des „Predigtamtes“ von CA V darstellen, wird eine Ordination dieser Mitarbeiter für sinnvoll gehalten.
6. Die Kommission hält unbeschadet der unterschiedlichen
Aufgaben
der einzelnen Mitarbeiter ihre Einbindung in eine brüderliche
Gemeinschaft
für notwendig. Diese könnte ihren Ausdruck finden besonders
in
der Mitverantwortung für die Leitung und die Einheit der Gemeinde.
Anhang zum Arbeitsergebnis der
Lehrgesprächskommission
- Gruppe Amt -
I. Zur Wortbedeutung des deutschen Wortes „Amt“
1. Zur Bedeutungsgeschichte
Lit.: Trübners Deutsches Wörterbuch, hrsg. v. A. Götze, 1. Bd., Berlin 1939, S. 73 Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, 8.Aufl. bearb. von Schirmer, Halle 1961, S.19
1.1 Das Wort “Amt“ gehört in die Rechtssprache. Es stammt aus dem Keltischen und kommt dort ins Germanische. In der lingua gallica bedeutet das Wort ambactus soviel wie servus, „Dienstmann, Höriger“ (Trübners Dtsch. Wtb., S.73). „Die ambacti erscheinen im Gefolge des Mächtigen und geben seinem Auftreten Glanz und Rückhalt“ ebd.; vgl. Caesar, bellum Gallicum 6,15. Sie repräsentieren damit aber auch die Macht und den Anspruch ihres Herrn.
1.2. „Amt“ bezeichnet zunächst eine Tätigkeit, zu der
(unfreie)
Diener seinem Herrn verpflichtet ist.“ (Ebd.) Dabei wird aber mehr und
mehr an eine ständige Verpflichtung gedacht. Und sie kann auch
freien
Personen übertragen werden. Die lateinischen Äquivalente sind
ministerium und officium.
1.3. Das Wort „Amt“ bekam dann einen besonderen Hintergrund durch das
entstehende Beamtentum und dessen Ethos.
Exkurs: Das Beamtentum, seine Entstehung und sein Ethos bis ins 18. Jahrhundert
Lit.: Fritz Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte vom 15.
Jahrhundert
bis zur Gegenwart, Leipzig / Berlin 1922, 2. Aufl.
Ernst Kantorowicz, Kaiser Friedrich der Zweite, Berlin 1928, 2. Aufl.
Den ersten Staatsapparat im Sinne eines Beamtentums hat Kaiser Friedrich II. (Regierung 1211 - 1250) aufgebaut. Dieses Beamtentum löste dabei weitgehend das bisherige, auf das Lehnswesen gestützte Verwaltungssystem ab. Im Lehnswesen (Feudalwesen) empfängt der Vasall des Königs ein beneficium und verpflichtet sich gleichzeitig dafür zu Vasallendiensten. Das Lehen wird dann erblich, kann nicht veräußert, aber weitergegeben werden. Das gibt dem Vasallen eine hohe Selbständigkeit im Verhältnis zum Lehnsherrn. Das Beamtentum dagegen schließt eine sehr viel stärkere Abhängigkeit ein.
Das von Friedrich II: aufgebaute Beamtentum gleicht einem Orden, der ständig zur unmittelbaren Verfügung des Königs steht. (Von ihm selbst als „Orden der Justitia“ bezeichnet; vgl. Kantorowicz, S. 249). Er ermöglichte eine planmäßige, zentralisierte Staatsverwaltung. Bezeichnend im Unterschied zum Lehnswesen ist für das neue Beamtentum, daß ihm verboten waren „innerhalb des Amtsbezirkes sowohl der Besitz von Geld wie von Land, jegliches Handeltreiben, jeder Kauf oder Verkauf, Tausch oder Schenkung. Selbst der Sohn durfte in der Provinz des Vaters keinen Besitz haben“ (a.a.O., S. 250). Die Beamten sollten „sich begnügen mit dem Gehalt, welches des Kaisers Gnade ihnen aussetzte“ (a.a.O., S. 250). Während der Dauer ihres Amtes durften sie innerhalb ihrer Provinz keine Ehe eingehen. Der Beamte wird aus allen privaten Verbindlichkeiten gelöst. Er soll allein dem Kaiser verpflichtet und allein von ihm abhängig sein, und so können die Beamten den Anspruch des Kaisers vertreten. Sie werden in ihrer Autorität gehoben, sie sind „Spiegelbilder“ des Kaisers und haben seine Macht und sein Recht zu repräsentieren. In ihrer Würde ist die Würde des Kaisers präsent. Beleidigungen der Beamten sind Beleidigungen des Kaisers selber. Bezeichnend ist auch: „ Keiner durfte sich in seinem Amte vertreten lassen. Für den Beamten wie für den Vertreter stand darauf Todesstrafe“ (a.a.O. S. 253). Dieses Beamtentum hatte damals nur eine gewisse Parallele: die hierarchische Organisation der Kirche.
Das deutsche Fürstentum hat nach dem sizilischen Vorbild Friedrichs II. in der Lokal- und Territorialverwaltung ebenfalls ein Beamtentum ausgebildet, das nicht auf dem Lehnsrecht beruhte (Burgvogt; Amtmann; Vorsteher): die Ministerialität. Sie „gab dem Landesherrn das Mittel, ein Amt auf Widerruf zu übertragen und auf diese Weise die Erblichkeit der Amtsnutzung zu verhindern“ (Hartung, S.32). Der Amtsträger ist absetzbar. „Der Amtmann der deutschen Territorien übt öffentlich - rechtliche Funktionen kraft Auftrag aus“ (ebd.). Doch wirkten „lange Zeit hindurch ... noch privatrechtliche Anschauungen stark nach. Das Amt wurde vor allem als eine nutzbare Einnahmequelle betrachtet ...“ (ebd.). Die Entwicklung des Beamtentums in Preußen im 18. Jahrhundert unter Friedrich Wilhelm I. bringt eine verschärfte Auffassung vom Wesen und Ethos des Beamten mit sich. Dabei spielt auch mit, daß die preußischen Beamten zum großen Teil aus dem Militärstand hervorgingen (auf den unteren Stellen Unteroffiziere und Mannschaften). „Durch diese Kreise ist der raue militärische Ton auch in das zivile Beamtentum und in dessen Verkehr mit dem Publikum hineingetragen worden“ (a.a.O., S. 73).
Die neue Auffassung besteht damals in folgendem: „Es handelt sich nicht mehr um ein Vertragsverhältnis, in dem sich jeder Teil zu bestimmten Leistungen verpflichtet, sondern der Beamte dient mit unbedingter Hingabe, mit Leib und Leben, mit Hab und Gut, mit Ehre und Gewissen`, wie der König selbst verlangt hat. Der Beamte dient aus Pflicht, für die Ehre. Sein Gehalt ist nur gering. Es ist Treueverhältnis, das der König mit seinen Beamten eingegangen ist, ähnlich dem, das zwischen dem König und dem Offizierskorps besteht ... . Die Beamten sind verpflichtet, dem König in allen seinen Ländern zu dienen, und gerade in ihrer Heimatprovinz werden sie nicht angestellt.“ „Für Friedrich Wilhelm I. gab es keinen ,Staatsdienst’, sondern allein den persönlichen Dienst für den König und Herrn“ (a.a.O., S. 74). Mit dem Wandel von der patrimonialen Staatsauffassung Friedrich Wilhelms I. zu der Staatsauffassung der Aufklärung bei Friedrich II., der sich selber als der erste Diener des Staates versteht, wandelt sich auch der Sinn des Beamtentums aus dem persönlichen Treueverhältnis im Dienst des Königs in den öffentlichen Staatsdienst. Das Allgemeine Gesetzbuch, dessen Entwurf in Preußen schon 1784 begonnen wurde, das aber erst 1791 veröffentlicht wurde, läßt den Wandel deutlich erkennen.
Jetzt „wird auch das Beamtentum der Willkür des Herrschers entzogen und allein dem Staate unterstellt. Nur durch Mehrheitsbeschluß des Staatsrats, der Gesamtheit der Minister, sollte in Zukunft die Absetzung eines Beamten verfügt werden können. Aus den königlichen Bedienten, die vom König jederzeit entlassen werden konnten, sind damit Diener des Staates geworden“ (a.a.O., S.77).
1.4. „Als sich aus den mehr privatrechtlichen Verhältnissen des
Mittelalters die modernen staatsrechtlichen entwickelten, wurde die
Anwendung
des Wortes beschränkt auf eine offizielle Stellung in Staat,
Gemeinde,
Kirche, Schule usw. mit bestimmter Verpflichtung“ (Paul, a.a.O., S.
19).
„Amt“ meint jetzt nicht mehr primär den Dienst, schon gar nicht
mehr
den eines Unfreien.
Vielmehr ist der Beamte „freies Glied der Gesellschaft, in deren Dienst
er steht“ (Trübners Dtsch. Wtb., 1.Bd., S. 73). Amt meint jetzt
hauptsächlich
„öffentlich - rechtliche Stellung, die jemand einnimmt. Der Dienst
wird als Verpflichtung aus ihr hergeleitet“ (ebd.).
1.5. Das Wort „Amt“ bezeichnet in abgeleiteter Weise auch „einen
Bezirk,
der unter der Verwaltung eines Beamten oder eines Kollegiums von
Beamten
steht (statt dessen auch Amtsbezirk), daher Amtshauptmann,
Amtsvorsteher,
Amtsgericht usw., ferner ein solches Kollegium, endlich das
Gebäude,
in welchem der Sitz der Verwaltung ist, vgl. Steueramt, Zollamt usw.“
(Paul,
a.a.O., S. 19).
2. Der Gebrauch des Wortes „Amt“ in der deutschen Gegenwartssprache
Lit.:
Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, 1. Band, Berlin 1964
(Art. „Amt“ S. 120, die Ableitungen S. 121)
Erhard Agricola, Wörter und Wendungen. Wörterbuch zum
deutschen
Sprachgebrauch, Leipzig, 4. Aufl. 1970
Das Wort „Amt“ hat im Gebrauch der deutschen Gegenwartssprache laut Auskunft des genannten Wörterbuchs einerseits den Sinn von „Dienststellung, Wirkungskreis“ - es bezieht sich dabei auf die Stellung und Tätigkeit einer Person - und andererseits den Sinn von „Dienststelle, Behörde (und deren Sitz)“. Der Wortgebrauch zur Bezeichnung eines Amtsbezirkes ist veraltet. Daneben wird noch die Sonderbedeutung des Wortes angemerkt, die es bei der Bezeichnung der katholischen „Messe mit Gesang“ hat. Der Bedeutungsgehalt des Wortes „Amt“ kann aber nur dann ausreichend erhoben werden, wenn die Wendungen berücksichtigt werden, in denen das Wort auftritt. Dann werden folgende Bedeutungsmomente erkennbar:
2.1 Das Amt ist etwas, was der Person, die es ausübt, vorgegeben ist: „das Amt eines Lehrers, eines Ministers“ usw. . Das Amt ist dabei ein Komplex von Auftrag, Aufgaben, Befugnis, Bevollmächtigung, Position, Verantwortungsbereich. Das Amt kann inhaltlich durch eine Reihe von Tätigkeiten (Funktionen) bestimmt werden, die der Amtsträger auszuüben hat. Doch lassen sich die unter Umständen erforderlichen Tätigkeiten nicht restlos im voraus festlegen, weil zum Amt ein Verantwortungsbereich gehört, innerhalb dessen selbständig vom Amtsträger gehandelt werden muß. Das Amt enthält einen Bereich, innerhalb dessen eine eigene Entscheidung und Prägung von seiten des Amtsträgers möglich ist. Ein Arbeitsverhältnis, das nur in der Ausführung von Anweisungen und fertigen Arbeitsprogrammen besteht, kann daher nicht gut als Amt bezeichnet werden.
2.2 Eine Reihe von Wendungen bezieht sich darauf, wie das Amt zur
Person
eines Amtsträgers in Beziehung gesetzt wird:
a - Das Amt wird übertragen und übernommen, unter
Umständen
bewirbt man sich um ein Amt.
b - Es wird jemand in ein Amt eingeführt, eingewiesen, eingesetzt
- bzw. einer tritt ein Amt an.
c - Jemand hat ein Amt inne, bekleidet ein Amt, übt ein Amt aus;
er ist im Amt; er bleibt im Amt.
Anm.: Der Ausdruck „ein Amt bekleiden“ kommt nach H. Paul (Deutsches
Wtb., Halle 8. Aufl.1961, S. 81) durch Umbildung aus der Wendung „einen
mit einem Amt bekleiden“ (ursprünglich eben dadurch, daß man
ihm die Amtstracht anlegt) zustande; auch hier weist der Ausdruck auf
die
Vorgegebenheit des Amtes hin.
d - Jemand wird seines Amtes enthoben, entsetzt, bzw. er legt sein
(oder ein) Amt nieder.
Man beachte, daß diese Wendungen einerseits erkennen lassen, daß zum Amt eine einsetzende Instanz gehört, andererseits aber auch, daß der Amtsträger in eigener Bereitschaft das Amt übernimmt, unter Umständen aber auch niederlegen kann.
2.3 Der, der im Amt ist bzw. ein Amt hat (durch Übertragung),
hat
damit eine bestimmte Befugnis bzw. eine Vollmacht, kraft derer er nun
etwas
gültig und verbindlich tun bzw. vollziehen kann, was einer ohne
die
Amtsposition nicht gültig und verbindlich vollziehen könnte.
Daher die Wendungen,: etwas von Amts wegen verkündigen,
bekanntmachen,
verbieten, untersagen.
Doch ist mit einem bestimmten Amt zugleich eine Grenze der Befugnisse
und Zuständigkeiten gegeben: „Es ist nicht meines Amtes,
darüber
zu urteilen“ (vgl. Agricola, a.a.O., S. 23).
2.4 Das Verhältnis der Bedeutungsfelder der Wörter „Amt“
und
„Dienst“ (vgl. Agricola, a.a.O., S. 22 ff. und S. 134 ff.).
Bei „Amt“ ist die Bedeutungskomponente der freien Verantwortung in
der Ausübung des Amtes unbeschadet der mit dem Amt gegebenen
Bindung
stärker ausgeprägt als beim Wort „Dienst“, das mehr „ein
abhängiges
Arbeitsverhältnis“ meint. Das Wort „Dienst“ hat einen starken
Adressatenbezug
- vgl. die Wendungen „jemanden zu Dienst sein“, „jemanden einen Dienst
leisten“ usw. -, während zum Amt mehr eine Position gehört,
die
ein Gegenüber zum Adressaten begründet und die
Verantwortlichkeit
gegenüber der Instanz einschließt, die einen in das Amt
eingesetzt
hat.
Der „Dienst“ ist mehr der tatsächliche Vollzug einer
Tätigkeit,
während „Amt“ mehr eine Stellung meint, in der und auf Grund derer
gehandelt wird. Darum meinen die Wendungen „im Amt sein“ und „im Dienst
sein“ etwas sehr Verschiedenes.
3. Das Wort „Amt“ in Luthers Übersetzung des Neuen Testaments
3.1 Das Wort „Amt“ gebraucht Luther zur Übersetzung folgender griechischer Wörter:
a - leiturgia: Luk. 1, 23; Hebr. 8, 6 (beide Male kultische Handlung)
Dagegen übersetzt Luther leiturgia Röm. 15, 27 mit „Dienst“.
b - oikonomia: Luk. 16, 3; 1. Kor. 9, 17; Eph. 3, 2; Kol. 1, 25 („Predigtamt“)
c - diakonia: Apg. 1, 17; 6, 4; 20, 24; 21, 19; Röm. 1, 13 (beide Male vom Apostolat des Paulus); Röm. 12, 7 (unter dem Charismen aufgezählt); 1. Kor. 12, 5(„es sind mancherlei Ämter, aber es ist ein Herr“); 2. Kor. 3, 6 - 9
(viermal von den diakonoi des Alten bzw. des Neuen Bundes); 2. Kor. 4, 1; 5, 18 („da Amt ...“); Eph. 4, 12; Kol. 4, 17; 1. Tim. 1, 12; 2. Tim. 4, 5.
Anm.: In Apg. 1, 20, wo Luther übersetzte „sein Bistum empfahe ein anderer“, hat erst die Revision von 1956 das Wort „Amt“ (für episkopé) eingebracht („sein Amt empfange ein anderer).
3.2 Charakteristische Wendungen:
das Amt empfangen: Apg. (1, 20); 1, 17; 20, 24; Kol. 4, 17
das Amt geben: Kol. 1, 25
das Amt wegnehmen: Luk. 16, 3
mir ist das Amt befohlen: 1. Kor. 9, 17
das Amt haben: 2. Kor. 4, 1
ins Amt (ein)setzen: 1. Tim. 1, 12
das (redlich) ausrichten: 2. Tim. 4, 5
das Werk des Amtes: Eph. 4, 12
tüchtig machen, das Amt zu führen: 2. Kor. 3, 6
Gott tut etwas durch das Amt: Apg. 21, 19.
3. 3 „Amt und „Dienst“
Luther gebraucht in seiner Übersetzung das Wort „Dienst“ z. T.
zur Wiedergabe von griechisch douleia, aber bisweilen auch zur
Übersetzung
von diakonia, das sonst mit „Amt“ wiedergegeben wird. Für Luther
haben
die Wörter „Amt“ und „Dienst“ bei aller Bedeutungsnähe doch
spezifische
Bedeutungsnuancen; ob er das eine oder das andere Wort wählt,
hängt
davon ab, welche Bedeutungsnuance vom Kontext gefordert wird. „Dienst“
erscheint als Übersetzung von diakonia: Apg. 1, 25; (Röm. 15,
25); Röm. 15, 31 (diakonia mit Dativ des Adressaten); 1. Kor. 16,
15 (eis diakonian mit Dativ); 2. Kor. 3, 3; (2. KOR: 9, 12); 2. Tim. 4,
11 („er ist mir nützlich zum Dienst“, also mit Dativ); Hebr. 1, 14
(„ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die
Seligkeit“);
Offb. 2, 19 („Ich weiß deine Werke und deine Liebe und deinen
Dienst
...“).
Von „Amt“ spricht Luther dort, wo es mehr um die Herkunft einer
Vollmacht
bzw. einer Aufgabe oder um die Beziehung des Auftrages zu dem
Beauftragenden
geht (vgl. z. B. 1. Kor. 12, 5; „es sind mancherlei Ämter, aber es
ist ein Herr“, und 2. Kor. 5, 18: Gott hat „uns das Amt gegeben, das
die
Versöhnung predigt“, vgl. auch die Wendungen, die unter 3.2
genannt
wurden). Er übersetzt diakonia mit „Dienst“, wenn mehr die
Adressaten
des Tuns im Blick sind, darum vor allem dort, wo diakonia mit dem Dativ
konstruiert wird.
4. Das Wort „Amt“ bzw. dessen Äquivalente in neueren
Bibelübersetzungen
In neueren Bibelübersetzungen wird zum Teil versucht, das Wort
„Amt“ zu vermeiden und durch andere Wörter bzw. Ausdrücke zu
ersetzen. Insbesondere wird dazu auf das Wort „Dienst“
zurückgegriffen.
Ein stichprobenartiger Vergleich zeigt folgendes:
1. Kor. 12 ,5 2.
Kor. 5, 18 Röm. 12, 7
Luther und Revision
1956
Ämter
Amt
Amt
Zürcher Bibel
1931
Dienste
Dienst
Dienstleitung
Herders
Bibelkommentar
Ämter
Dienst
Dienst
Die Gute
Nachricht
Dienst
Auftrag
Fähigkeit, der Ge-
meinde zu dienen
(New English Bible
1961
service
service
administration)
Doch muß man beachten, daß bei dem Gebrauch des Wortes
„Dienst“
auch andere sprachliche Wendungen als bei dem Wort „Amt“ nötig
werden.
Wenn man sagen kann „ein Amt geben“ bzw. „ein Amt übertragen“,
„verleihen“,
so kann man nicht auch sagen „einen Dienst geben“, „einen Dienst
übertragen“
(so Herders Bibelkommentar in 2. Kor. 5, 18), „einen Dienst verleihen“
(so Zürcher Bibel 2. Kor. 5, 18), sondern man müßte
dann
andere Wendungen gebrauchen, wie z. B. „in (den) Dienst stellen bzw.
nehmen“
(vgl. New English Bible 2. Kor. 5, 18: „he has enlisted us in this
service
of reconciliation“). Aber dann ist es wohl angemessener, in 2. Kor. 5,
18 die griechische Wendung didonai tén diakonian mit der
deutschen
Wendung „den Auftrag geben“ zu übersetzen, wie das „Die Gute
Nachricht“
(Berlin 1973) tut („Er hat mir den Auftrag gegeben, diese Gute
Nachricht
bekanntzumachen“).
Auch in 1. Kor. 12, 5 (Luther: „es sind mancherlei Ämter ...“)
ist, wenn man das Wort „Amt“ vermeiden möchte, die
Übersetzung
mit „Aufträge“ dem Textzusammenhang angemessener als die mit
„Diensten“,
weil es hier um den Bezug zum Kyrios geht, der den einzelnen
verschiedene
Aufgaben stellt, durch deren Erfüllung die einzelnen dann
allerdings
einander dienen (helfen) sollen.
Diese Erwägungen führen aber schon zum nächsten Punkt.
5. Erwägungen zur Bestimmung des Wortsinns und zur
Ersetzbarkeit
des Wortes „Amt“ in Kirche und Theologie
Der Gebrauch des Wortes „Amt“ in Kirche und Theologie ist heute nicht unproblematisch. Einerseits ist „Amt“ gerade in der Theologie des 20. Jahrhunderts fast zu einem Terminus geworden, der zur Theologensprache gehört und dort einen kontextunabhängigen Sinn hat (oder jedenfalls haben sollte). Aber dieses ist doch nur fast ein Terminus, da es keine wirklich allgemein verbindliche wissenschaftliche Terminologie in der Theologie (mehr) gibt, was damit zusammenhängt, daß die meisten Theologen aus verständlichen Gründen die umgangssprachliche Verständigung vorziehen (was allerdings eine gewisse Unschärfe und bisweilen Mißverständnisse mit sich bringt). In der Umgangssprache aber weckt das Wort „Amt“, sofern es dort überhaupt gebraucht wird, bei vielen unangenehme Assoziationen; es erscheint da allzusehr auf dem Hintergrund des alten Beamtentums und der neueren staatlichen Administration.
Nun ist es durchaus möglich, unter Umständen ein anderes Wort als Terminus für die in der Theologie mit dem Wort „Amt“ gemeinte Sache einzuführen. Ein solcher Versuch setzt aber die Kenntnis aller derjenigen Bedeutungsmomente voraus, die das Wort „Amt“, sofern es dort überhaupt gebraucht wird, bei vielen ungenehmen Assoziationen; es erscheint da allzusehr auf dem Hintergrund des alten Beamtentums und der neueren staatlichen Administration. Nun ist es durchaus möglich, unter Umständen ein anderes Wort als Terminus für die in der Theologie mit dem Wort „Amt“ gemeinte Sache einzuführen. Ein solcher Versuch setzt aber die Kenntnis aller derjenigen Bedeutungsmomente voraus, die das Wort „Amt“ charakterisieren und theologisch (und kirchlich) belangvoll sind.
Es ist darum zu erwägen, ob ein anderes Wort einige dieser für das Wort „Amt“ charakteristischen wichtigen Bedeutungsmomente hat und damit zum Vertreter für das Wort „Amt“ aufrücken kann. Wir haben also zunächst diese Bedeutungsmomente noch einmal zusammenfassend aufzuführen, um dann Ausschau nach einem anderen Wort für Amt zu halten.
5.1 Die wesentlichen Bedeutungsmomente des Wortes „Amt“ sind
a - Aufgabe / Auftrag
b - (erteilte) Vollmacht
c - Verantwortlichkeit vor der berufenen (einsetzenden) Instanz, dem
Auftraggeber und Vollmacht Erteilenden
d - Zuordnung zu einem Kreis von Menschen (Adressaten), an denen die
Aufgabe zu erfüllen ist und denen gegenüber die Vollmacht
besteht
(Verantwortungsbereich)
e - Position innerhalb dieses Kreises (Bereiches)
5. 2 Welches andere Wort kann das Wort „Amt“ mit dieser
Bedeutungsfülle
annähernd vertreten oder ersetzen?
Das Wort „Dienst“, das in diesem Zusammenhang oft bemüht wird,
vermag das kaum ausreichend, weil ihm die Beziehung zu einem
Auftraggeber
implizieren kann und da es auch sehr gut das allem Tun Vorgegebene
bezeichnet.
Man kann einen Auftrag erteilen und übernehmen, man kann ihn
erfüllen
oder auch ihm nicht gerecht werden. Der Beauftragte ist durch den ihm
gegebenen
Auftrag durchaus von denen, die diesen Auftrag nicht bekommen haben
oder
die ohne Auftrag tätig sind, unterschieden, Beauftragung
impliziert
irgendwie auch Verantwortlichmachung und unter Umständen auch
Bevollmächtigung.
Vergleicht man die unter 2.2 und 3.2 aufgeführten Wendungen, durch
die der Gebrauch des Wortes „Amt“ charakterisiert ist, so
läßt
sich für das Wort „Auftrag“ am ehesten eine Zahl entsprechender
Wendungen
anführen. So könnte vielleicht das Wort „Auftrag“, das im
Unterschied
zu dem Wort „Amt“ kaum mit negativen Assoziationen besetzt ist, das
Wort
„Amt“ in der theologischen und kirchlichen Diskussion ersetzen und
vielleicht
helfen, das Ressentiment gegen das „Amt“ abzubauen.
Für die Richtigkeit der Abschrift wird keine Gewähr übernommen.
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AMT & DIENST - GESCHICHTE |
Materialien zum Problem der Pfarrerdienstanweisung in der Kirche |
Dietrich Bonhoeffer - Pfarrbild (von Heiner Süselbeck )
- Einleitung
- Karl Barths Begründung von
Widerstandsvermögen pastoraler Arbeit in „theologischer
Existenz“ und ihre Auswirkung auf
ein neues „Pfarrbild“
- „Theologische Existenz“ und Komponenten
eines „Pfarrbildes“ bei Dietrich Bonhoeffer
1) Gemeinsames Leben
und Teamfähigkeit
2) Das
Verhältnis
von Amt, Person und Gemeinde
3)
Persönliche
Voraussetzungen für die pastorale Arbeit in Seelsorge
und Unterricht
- Predigt und Präsenz Christi
- Schlussbemerkung
- Anmerkungen, Literatur
Wo gab es Folgerungen in Kirche und Theologie? Wo wirkt die erschütternde Geschichte, der „Illegalen“ im Kirchenkampf in Theologie und Kirche nach? 1
Kein Pfarrer kann heute sein Amt allein ausrichten
Pastoraltheologische Erinnerung an das „Pfarrbild“ der illegalen
Theologenausbildung bei Dietrich Bonhoeffer
Eberhard Bethge zum 90.Geburtstag
Angesichts der Bedrohungen durch den Nationalsozialismus formulierte 1946 das Stuttgarter Schuldbekenntnis: Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Mit diesem Bekenntnis sollte „ein neuer Anfang gemacht werden“ 2 Den Unterzeichnern war - wie bereits der Barmer Synode 1934- deutlich , dass ein solcher Neuanfang nicht ohne einen „Dienst zur geistlichen Erneuerung des Pfarrerstandes“ 3 geschehen konnte.Seit einiger Zeit sind es praktische Probleme, die nach einem neuen „Pfarrbild“ fragen lassen. Hieran anknüpfend möchte ich an pastoraltheologische Überlegungen bei Karl Barth und bei Dietrich Bonhoeffer erinnern.
Karl Barths Begründung von Widerstandsvermögen
pastoraler Arbeit in „theologischer
Existenz“ und ihre Auswirkung auf ein neues „Pfarrbild“
1933 erkannte Karl Barth es als Versuchung der Kirche, „dass wir über der Macht anderer Ansprüche die Intensität und Exklusivität des Anspruchs des göttlichen Wortes als solche nicht mehr und damit dieses Wort sofort überhaupt nicht mehr verstehen.“4 . Die Ideologie des National-sozialismus gefährdete die Fähigkeit von Kirche und Pfarrerschaft, den kritischen Anspruch und Zuspruch von Gottes Wort auch nur wahrzunehmen. Barth empfahl darum den Pfarren seiner Zeit, sich auf ihre „Theologische Existenz“ zu besinnen. Den allenthalben auch bei den „Deutschen Christen“ zu hörenden Rufen nach einer Kirchenreform hielt er entgegen, dass Kirchenreform aus dem „Gehorsam“ gegen Gottes Wort kommen müsse, ansonsten sei sie keine „K i r c h e n reform“ 5 .
Der erste Schritt dazu sei die „Theologische Existenz“ ihrer
Amtsträger:
„Wo die heilige Schrift Meister ist, da ist theologische Existenz, und
wo theologische Existenz ist, da mag es zur Kirchenreform aus dem Leben
der Kirche kommen.“ 6 Mit diesen Gedanken forderte er dazu auf, „
allein
der Sache des Evangeliums Gehör zu schenken.“ 7 Im Vordergrund
dieser
Bemühung stand der Aufruf zu sachlich-theologischer Arbeit ,
um die Bibel zu verstehen und die Frage beantworten zu können „was
uns Christus heute eigentlich bedeutet“ (Bonhoeffer). Barth setzte
dabei
voraus, dass der Gegenstand „theologischer Existenz“, mit dem die
Pastoren
und Theologinnen der Bekennenden Kirche bei entsprechender
Konzentration
zu tun bekämen, nicht nur
„Objekt“ ihrer Bemühungen bleiben würde, sondern, dass sie
durch ihn die selbst „vom Evangelium befragten“ werden
würden.8
Für Überlegungen zur Gestaltung des „Pfarrbildes“ ist es bedeutsam, dass sich bereits mit Karl Barths ersten Gedanken zur Grundlegung pastoraler Arbeit als „theologischer Existenz“ eine Entkoppelung von Predigt - und Pfarramt abzeichnete. Unabhängig von Barths ersten Anstößen warf die illegale Theologenausbildung der Bekennenden Kirche die Frage nach einer Differenzierung von Pfarramt und Predigtamt auf.
Besonders den Kandidaten um Bonhoeffer in Finkenwalde wurde klar: Der Dienst an Wort und Sakrament ist für eine Kirche unverzichtbar, aber es steht nirgendwo geschrieben, dass sich dieser Dienst mit den Strukturen eines verbeamteten Standes von PfarrerInnen für immer verbinden muss! „Das Predigtamt ist (neben der Sakramentsausteilung) eine substantielle (iure divino) Form der Wortverkündigung und damit unaufgebbar... Das Pfarramt ist dagegen nach Bonhoeffers Auffassung eine akzidentielle Form und damit verzichtbar.“9
Sowohl die vocatio externa wie auch die vocatio interna ist „ Berufung zum Predigtamt, nicht zum Pfarramt. Beides ist nicht identisch, Pfarramt und Predigtamt. Pfarramt ist die gegenwärtige Form, die nicht unbedingt gültig ist. Mit der Niederlegung des Pfarramtes, ist man doch nicht vom Predigtamt entbunden.!“10
Mir scheint in dem Zusammenhang von Bedeutung , dass die Glaubwürdigkeit der Bekennenden Kirche und die Aufnahme des deutschen Protestantismus nach dem Krieg in den Kreis der Ökumene mit darauf zurück zu führen ist, dass sie ein „Pfarrbild“ zu entwickeln vermochte, demzufolge PredigerInnen sich während der Nazi-Herrschaft aus geistlichen Gründen in der Lage sahen, „auf eine beamtenähnliche gesicherte Existenz zu verzichten“. Die Wahrnehmung ihres Predigtamtes „ruhte auf einer ‘illegalen’ Prüfung und Ordination. Mitunter waren die Provinzialbruderräte nicht einmal in der Lage, die Gehälter aufzubringen.“ 11
Heute werden diese Gedanken unter der Überschrift „Pfarrdienst als Ehrenamt“ zaghaft aufgegriffen und finden zB in der Berufung kompetenter PrädikantInnen und in der begrenzten Beauftragung pensionierter SeelsorgerInnen erste praktische Resonanz.
In dem Zusammenhang sei an Eberhard Bethge erinnert, der im Blick auf Gedanken über das „Pfarrbild“ der Bekennenden Kirche in seiner Biographie über Dietrich Bonhoeffer die kritische Feststellung traf:“ Nach dem Krieg beeilten sich die Konsistorien, dem verbliebenen Rest der Illegalen die Anstellungsfähigkeit, die Dienstalterrechte und alles was zum privilegierten Pfarramt gehört, bedingungslos zuzusprechen. Kaum jemand dachte daran, sich Rechenschaft drüber zu geben, welche Konzeption eines neuen Predigtamtes einst hinter den bitteren und langwierigen Kämpfen gestanden hatte, und was damit gemeint gewesen sein mochte.“12
„Theologische Existenz“ und Komponenten eines „Pfarrbildes“ bei
Dietrich Bonhoeffer
„Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Um einen Anfang zu machen muss sie alles Eigentum den Notleidenden schenken. Die Pfarrer müssen ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinden leben, evtl. einen weltlichen Beruf ausüben....Speziell wird u n s e r e Kirche den Lastern der Hybris... als den Wurzeln allen Übels entgegentreten müssen. Sie wird von....Bescheidenheit sprechen müssen. Sie wird die Bedeutung des menschlichen Vorbildes (das in der Menschheit Jesu seinen Ursprung hat und bei Paulus so wichtig ist) nicht unterschätzen dürfen. Nicht durch Begriffe, sondern durch Vorbild bekommt ihr Wort Nachdruck und Kraft“13
Bonhoeffer legte diese Gedanken nieder, um das Profil einer kommenden Evangelischen Kirche in Deutschland zu schärfen. Das in ihnen enthaltene Konzept eines Pfarrberufs ohne Privilegien war für ihn die äußerste mögliche Konsequenz aus dem ,was er versucht hatte, als „Theologische E x i s t e n z in der von ihm verantworteten „Illegalen Theologenausbildung“ zu vermitteln. Auch ihm lag „alles an der Erneuerung der Kirche und des Pfarrerstandes“14
Wesentlich war in seinen Augen ,dass Pfarrer es lernen, ihr „ganzes Leben“ in den Dienst ihres Amtes zu stellen.. Dienst „unter dem Wort Gottes“ könne nicht anders geleistet werden.15 Neben den obligaten Studien (Bibel und Bekenntnisschriften, eingehender „Kenntnis der Weltanschauungen der Gegenwart“ und Auswendiglernen von 30 (!!) Gesangbuchliedern) wurde der Kandidat „in einen durch Morgen und Abendandacht, durch feste Meditationszeit streng geordneten Tageslauf hineingestellt.“ Dabei sollt er „in täglicher Gemeinschaft des Gebetes, des Gottesdienstes und der Arbeit (Hervorhebung H.S.) lernen, gute Bruderschaft zu halten und zu jedem , auch dem geringsten Dienst an den Brüdern bereit sein.“16
Karl Barth erhob Bedenken gegenüber den Methoden ,mit denen Bonhoeffer in Finkenwalde seine Kurse für die Kandidaten gestaltete. Ihn störte der „Geruch eines klösterlichen Eros und Pathos“ an dem, was er von diesen Kursen gehört und gelesen hatte. Gleichzeitig bat er Bonhoeffer jedoch zu berücksichtigen, dass seine Bemerkung keine Kritik an dessen Bestrebungen sein sollte, weil Barths „Unterlagen zu deren Erkenntnis und Verständnis...viel zu schmal waren“ 17 . 30 Jahre später vermochte Barth allerdings klösterliches Leben als „einen Rückzug mit dem Zweck eines um so kräftigeren Vorstoßes“ zu würdigen 18 . Er lag damit auf der Linie, mit der Bonhoeffer die Einrichtung des Bruderhauses in Finkenwalde gegenüber dem Bruderrat der APU begründete: “Nicht klösterliche Abgeschiedenheit, sondern innerste Konzentration für den Dienst nach außen ist das Ziel.“19 .
Barths Kritik :“Ich kann eben schon die grundsätzliche Unterscheidung zwischen theologischer Arbeit und erbaulicher (Schrift-) Betrachtung...wie ich sie auch in Ihrem Brief wahrnehme nicht mitmachen.“20 wird Bonhoeffer getroffen und beschäftigt haben. Wie eine mögliche Antwort auf diesen Vorhalt liest sich Bonhoeffers später noch einmal vor seinen Kandidaten deutlich ausgesprochene Unterscheidung zwischen Theologie und geistlicher Haltung : Für ihn hat ein Pfarrer als Nur- Theologe „keine Erfahrung mehr von Gott, Christus, Anfechtung und ihrer Überwindung, sondern seine einzige Erfahrung bleibt die Reflexion über diese Dinge“ 21 .
Dazu lässt sich eine Ausarbeitung des späten Barth über die „Gefährdung der Theologie“: wie eine nachträgliche Zustimmung lesen: Demzufolge ist es eine Gefährdung der Theologie, Hinweise auf Gott wie „ Spielmarken ... nach Laune und Belieben auf den Spieltisch des allgemeinen Geredes“ zu werfen . Doch dann kann „Gott nicht für , nicht mit den Theologen und ihrer Theologie, sondern nur gegen sie sein.“ 22 Auch Barth ging es wie Dietrich Bonhoeffer um eine geistliche Erneuerung der Pfarrerschaft , und damit gegen das „Schisma von Lehre und Leben“23 .
Im Folgenden möchte ich einige Befunde aus der Erforschung von Bonhoeffers Pastoraltheologie herausgreifen, um sie mit Punkten der Diskussion um ein heutiges Pfarrbild in Verbindung zu bringen.
1) Gemeinsames Leben und Teamfähigkeit
Bestandteil der Ideologie des Nationalsozialismus war das Idealbild von Autarkie und Selbstver-sorgertum. Dem lag ein bürgerlicher Individualismus zugrunde , der auch für die Ausrichtung des Pfarrberufs prägend wurde , gleichzeitig aber äußerst problematische Konsequenzen in sich barg . Solche Vorstellungen gingen mit einem Menschenbild einher, das sich Schwäche und das Angewiesensein auf Unterstützung durch andere als einem wesenhaften Zug von Arbeit und Beruf nicht eingestehen konnte. Leitbild des Pfarrers wurde der einsam agierende Genius, mit dessen Persönlichkeit die ganze Gemeinde stand oder fiel. Dem hielt Bonhoeffer in seinem „Entwurf zu einer Kanzel-Abkündigung nach einem Umsturz“ Ende 1942 entgegen:„Kein Pfarrer kann heute sein Amt allein ausrichten“ 24 .
Erstes Lernziel der Theologenausbildung war darum für Bonhoeffer „ein gemeinschaftliches Leben im täglichen strengen Gehorsam gegen den Willen Jesu Christi“ Hierzu war es notwendig, im Alltag einander „geringste“ und „höchste“ Dienste zu leisten. So sollten die ihm anvertrauten Theologen lernen, welche „Kraft...in dem gemeinsamen Leben einer christlichen Gemeinde liegt“.25
Das zweite Ziel war „der Wahrheit allein zu dienen“, dazu bedurfte es der „Erforschung der Schrift und ...ihrer Auslegung in Predigt und Unterricht“. Bezeichnender Weise fügte Bonhoeffer hinzu, dass er diese ihm persönlich obliegende Aufgabe „nicht allein“ zu bewältigen vermochte: „Es muss dazu ein Stamm von Brüdern dasein, die ohne Worte zu machen durch ihr Zusammenleben die anderen mit hineinziehen. Das ist das Bruderhaus.“26
Gegenüber Karl Barth gestand Bonhoeffer freimütig ein, dass er die kirchliche Aufgabe an der Zurüstung der ihm anvertrauten jungen Theologen „leider auch nicht richtig“ wahrnehmen könne. Dann fuhr er jedoch fort:“... aber ich weise die Brüder aneinander, und das scheint mir das allerwichtigste“27
Isolation war in Bonhoeffers Augen die größte Gefahr für den Beruf des Theologen im Pfarramt. “Nur wer selbst einen Seelsorger hat, kann selbst Seelsorger sein“28 .Erstaunlich ist , dass er in diesem Zusammenhang daran erinnern konnte, dass Laien zu Pastoren für Pastoren werden können, Auch sie stehen in der Beichte an Gottes Stelle. Grundsätzlich gilt:“ Jeder Bruder kann Beichte hören.“29
Mit der Betonung der Beichte als wesentlicher Voraussetzung christlicher Geschwisterlichkeit verliert eine so gegründete „Teamfähigkeit“ den Anschein einer Harmonie, die vom Blick auf geglückte Erfolge und starke,gemeinsame Effizienz lebt. Denn “Erst Beichte gründet Gemeinschaft“ 30 und das bedeutete „aufs Tragen ...kommt es an“31 . Oder wie es in Bonhoeffers Programmschrift „Gemeinsames Leben“ heißt: „Nur als Last ist der Andere wirklich Bruder und nicht beherrschtes Objekt...Auffallend oft spricht die Schrift vom Tragen. Sie vermag mit diesem Wort das ganze Werk Jesu Christi auszudrücken.“32
2) Das Verhältnis von Amt, Person und Gemeinde
Pastorale Arbeit ist darum nicht als „Repraesentatio“, sondern von der „Praesentia Christi“ in Amt, Gottesdienst und Gemeinde her zu bestimmen Andernfalls bestünde die Gefahr,“ Christus zur doctrina“ absinken zu lassen.33
Die Gegenwart des Auferstandenen im Leben der Kirche ist Ausdruck einer Herrlichkeit, die in der Gestalt der Niedrigkeit lebt. Darum kann Bonhoeffer Kirche als Kirche ohne „Privilegien“34 und damit auch den Dienst ihrer Pfarrerschaft als Dienst ohne Privilegien sehen und interpretieren. Die „hohe Würde des Amtes“ liegt in der conformitas und setzt darum bei ihrer Trägern eine „Gleichgestalt mit Christus voraus.“ 35 . Den ihm anvertrauten jungen Pastoren, ihren Bräuten und Familien lieferte Bonhoeffer keine Durchhalteparolen, damit sie geduldig nach einem ruhigen Pfarramt und einer sicheren Pfründe Ausschau halten konnten. Nicht von der politischen Situation, sondern vom Evangelium her versprach er ihnen Armut als das Zeichen ihrer Würde:
„Jesu Bote zu sein verleiht keinerlei persönliches Recht, keinen Anspruch auf Ehrung oder Macht. Auch wo aus dem freien Boten Jesu der beamtete Pfarrer geworden ist, ist das nicht anders. Die Rechte des studierten Mannes, die gesellschaftlichen Ansprüche eines Standes haben für den, der Jesu Bote geworden ist keine Geltung mehr...Die Freiheit der Boten Jesu, soll sich in ihrer Armut erweisen...Damit werden sie die Botschaft glaubwürdig machen, die sie verkündigen.“ 36
Erst recht waren durch diesen Ansatz etwaige Allüren auf Anmassung eines wie auch immer gearteten Amtsdünkels abgewiesen: Im Dienst der Kirche ist „kein Standesbewußtsein möglich“37 . Ihre “Dienstbezeichnungen beschreiben einen bestimmten Dienst“ und „sind nicht Ehrentitel“ 38 . Nicht ein Lebensstil , bei dem ,wer ein Pfarrhaus betritt „immer in der Angst schwebt, ob man sich richtig benimmt“ 39 , ist Grundlage eines solchen Amtsbewussteins, sondern einerseits die Berufung durch die Kirche (vocatio externa) und das Bewusstsein persönlicher Berufung (vocatio interna). die sich auch in Notzeiten durchhält.
Die mit Bonhoeffers Amtsverständnis verbundene Autorität pastoraler Arbeit bleibt, weil sie an der Seite ihrer Gemeinde der Bibel unterworfen bleibt, jedoch relativ. Die Gewissheit innerer Berufung, macht PredigerInnen zum kritischen und freien Gegenüber ihrer Gemeinden. Das lässt sie jedoch nicht in die Distanz bürgerlicher, ständischer Autonomie zu deren Leben treten.
Unter der Maßgabe biblischer Orientierung haben Kirche und Gemeinde das Recht und die Pflicht, über die Amtsausübung eines Dieners bzw einer Dienerin am Wort zu urteilen. Das subjektive Moment einer Berufung entbindet AmtsträgerInnen nicht, sich dem Urteil ihrer MitchristInnen über ihre Arbeit zu stellen. “In der Schlüsselgewalt der Gemeinde liegt ihre Pflicht zum Urteilen über die Lehre begründet.“40 . Im Blick auf die Kriterien für eine solche Beurteilung und deren Handhabung findet sich bei Bonhoeffer eine Art „Faustregel“:
„Zur Absetzung auf (sic!) Irrlehre hat die Gemeinde Pflicht,
zur Absetzung aufgrund von Wandel Recht,
zur Absetzung aufgrund von Gaben nur die Bitte“41
Zu letzterem gibt Bonhoeffer zu bedenken: „Ein alter
oder
stotternder etc . Pastor muß von der Gemeinde, wenn er nicht
krank
wird, getragen werden.“ 42 Für Fälle eines offenkundig
eingetretenen Mangels an Gaben (die sich nicht als Erkrankung erheben
lassen)
gibt es „kein reguläres Absetzungsverfahren“43 „Greift die
Gemeinde
in solchem Fall in das Amt ein, so überschreitet sie ihre
Kompetenzen
und wird am Stifter des Amtes schuldig“ Der Rücktrittsgrund
läge
dann „nicht in einem Defekt“ der Person, „sondern in dem der Gemeinde:
in ihrer Schwäche diesen Menschen im Amt zu tragen.“44 „Faulheit“
ist allerdings kein zu tragender Mangel. In diesem Fall
verstößt
ein Amtsträger „gegen den Wandel“ 45 und die Gemeinde hat das
„Recht“
zur Absetzung.
3) Persönliche Voraussetzungen für die pastorale
Arbeit in Seelsorge und Unterricht
Bonhoeffers eigene geistliche Entwicklung 46 legt es nahe, an dem Grundsatz festzuhalten: „Über den Weg der inneren Berufung gibt es keine Gesetze“ 47 .Gleichwohl lassen sich in seinen Vorlesungen und Mitteilungen vier Kriterien erkennen , deren Erfüllung einen Pfarrer oder eine Pfarrerin davor bewahren, dass ihnen ihr Amt zum „Fluch“48 wird:
1.Das Gefühl eigener Unwürdigkeit in bezug auf seine
Person,
seinen Glauben, seine Eignung, seinen Dienst.
2.große Liebe zum Amt und zur Gemeinde
3.persönliches Leben mit Bibel und Gebet
4.das Wissen um den „character indelebilis“ (im Verständnis der
Unwiderrufbarkeit der vocatio) 49
Wie in einem Brennpunkt verlangt die Erfüllung dieser Kriterien nach Beantwortung der Frage „Wie lerne ich beten?“ Und : „Wie lerne ich die Schrift lesen?“50 Denn „Selbstverständlich ist da wirklich garnichts.51 “ Bonhoeffer war der Meinung: Die Verantwortlichen für die Aus- und Fortbildung von TheologInnen „können ihnen da helfen“ oder „helfen ihnen überhaupt nicht.“52 Unter der Voraussetzung einer diesbezüglichen Disziplin durch ein „Gemeinsames Leben“ übte er mit den Kandidaten seiner Kurse die Einhaltung bestimmter Meditationszeiten. Dazu empfahl er die Betrachtung der Hlg. Schrift in dreifacher Hinsicht: „Der Pfarrer begegnet der Bibel in dreifachem Gebrauch: sie liegt auf der Kanzel, auf dem Studiertisch und auf dem Betpult.“53
Dabei sah Bonhoeffer durchaus die Möglichkeit , dass die Bibel „wie jedes andere Buch“ auch literarisch bzw. historisch-kritisch gesehen und gelesen werden konnte. “Dagegen ist gar nichts zu sagen.“ Doch wer dabei stehen bleibt, sollte sich im darüber im Klaren sein,“ dass das nicht der Gebrauch ist, der das Wesen der Bibel erschließt, sondern nur ihre Oberfläche. Wie wir das Wort eines Menschen, den wir lieb haben, nicht erfassen, indem wir es zuerst zergliedern, sondern wie ein solches Wort einfach von uns hingenommen wird und wie es dann Tage lang in uns nachklingt, einfach als das Wort dieses Menschen, den wir lieb haben, und wie sich uns in diesem Wort dann immer mehr, je mehr wir es „im Herzen bewegen“ wie Maria, derjenige erschließt, der es uns gesagt hat, so wollen wir mit dem Wort der Bibel umgehen.“ 54
Es ging Bonhoeffer darum, “dass Gegenstände der Theologie nur wirklich zugänglich werden, wenn man sie vollzieht.“55 Neben einer (von E.Bethge mitverfassten) Anleitung für die einzelnen Schritte zur Meditation eines Bibelwortes56 wurden darum in Finkenwalde feste Zeiten regelmäßiger Schriftbetrachtung eingehalten. Das Gleiche galt von Gebetszeiten „Bonhoeffer legt sie am Anschluss an Luther in die Morgenstunde“57 , denn er war der Auffassung: “Vor die tägliche Arbeit gehört das morgendliche Gebet.“58
Insbesondere der Dienst regelmäßiger Fürbitte gehörte für ihn mit zu dem Grundbestand der Seelsorge. Dieser Dienst war ihm gleichsam der Königsweg zur Annahme einer Person in ihrer Fremdheit und ihrem Anderssein. “Es führt kein eigener Weg von Mensch zu Mensch. Die liebevollste Einfühlung, die durchdachteste Psychologie, die natürlichste Offenheit, dringt nicht zum anderen Menschen vor. Es gibt keine seelischen Unmittelbarkeiten...Christus steht dazwischen. Darum ist die Fürbitte der verheißungsvollste Weg zum Nächsten“ 59
Die persönliche Grundhaltung aus der heraus im Pfarrberuf Konfirmandenunterricht erteilt wird, verankert sich für Bonhoeffer in gleicher Weise wie die Seelsorge Wer kirchlichen Unterricht erteilt ist in geistlicher Hinsicht den zu Unterrichtenden in nichts überlegen, sondern der Pfarrer steht als Person „mit den Kindern auf einer Ebene: Er ist ein Hörer der Verkündigung wie sie“60 .Kirchliche ErzieherInnen sind trotz ihrer Berufung der Feindschaft des natürlichen Menschen gegen Gott nicht enthoben. Darum bleiben Lehrende ihren Zöglingen in deren möglicher Skepsis gegen Evangelium und Kirche stets nahe. Weil auch sie nur um Erbarmen und Glauben beten können, egalisiert sich die geistliche Kompetenz von kirchlich Unterrichtenden gegenüber ihren Schülern und Schülerinnen .PfarrerInnen sind keine Gurus, die aus einem höheren Stand der Erleuchtung heraus göttliche Lehren an niedere Kasten vermitteln- selbst, wenn sie über kognitive Vorsprünge , eine wissenschaftliche Ausbildung und mehr geistliche Erfahrungen verfügen sollten.
Das soziale Klima , in dem PfarrerInnen Unterricht erteilen, ist im Wesentlichen die Atmosphäre solidarischer Gemeinschaft. Der Erzieher hat „in der Kirche keine eigene Autorität zu beanspruchen..“61 Besonders an dieser Stelle ist für pastorale Arbeit „kein Standesbewusstsein möglich“.62 Kirchlich Unterrichtende sind „Stellvertreter der Katechumenen“ 63 . Deren Zweifel am Sinn von Glauben und Leben, deren Ängste und Fragen gegenüber Gott und dem Leben der Kirche bleiben auch die ihren und sollten in die Planung des Unterrichtsgeschens mit eingehen. Wo das Pro Nobis Gottes für Unterrichtende und Kinder als eine beide Seiten gemeinsam tragende Grundlage angesehen werden kann, da wird „im Religionsunterricht Kirche“.64 Auf dieser Basis sind die weiteren notwendigen didaktischen und methodischen Schritte für einen lebendigen Unterricht in Angriff zu nehmen.
„Christus geht als Predigt zur Gemeinde , um die Gemeinde anzunehmen und zu tragen“65 lautet ein programmatischer Satz Bonhoeffers aus seiner Homiletik-Vorlesung. Deswegen ist es die erste Aufgabe des Predigers dem nichts Eigenes „entgegensetzen und eigene Bewegungen vollziehen“ zu wollen.66 Eine Predigt vorbereiten heißt, zunächst anhand eines bestimmten Bibelwortes in sich selbst dem kommenden Christus Raum ( bzw. Zeit) zu geben. „Selbstverständlich“ ist auch „da wirklich garnichts.“67 (s.o.) und es „muss wenigstens zwölf Stunden daran gearbeitet werden“68 Neben den exegetischen Vorarbeiten bleibt es für die Vorbereitung wichtig, den auszulegenden Text „wie einen Liebesbrief“ zu lesen und zu verstehen. (unter Berufung auf Kierkegaard )69 .
Neben den konkreten Fragen wie zB „Was sagt der Text über
Gott?“
und „Über den Menschen“ 70 ist die Frage zu beantworten, wo die
Person
des Predigers dem Text im Wege steht und stehen
möchte:
„Wo bin ich in der Gefahr, in der Predigt dieses Textes
unwahrhaftig
zu werden, den Text um meinetwillen umzubiegen, abzuschwächen,
weil
ich nicht damit fertig werde? Etwas zu sagen, was ich nicht glauben
kann,
worin ich nicht gehorsam sein will?“71
Der nächste Schritt ist das Bedenken dessen was dies Bibelwort der Gemeinde sagt. Dabei ist an deren Nöte und an „besondere Menschen unter der Kanzel“ zu denken: „Die darf man bei der Ausarbeitung der Predigt durchaus vor Augen haben.“72 Als pastoraltheologische Weisheit ist auch der Rat bedenkenswert:„... spätestens Freitag fertig sein!“ und die Predigt nicht an einem Stück herunterschreiben zu wollen. Für den Samstag sollte man im Blick auf die eigene innere Vorbereitung des Sonntaggottesdienstes „jede Einladung in der Gemeinde absagen.“ . Vor allem den „Sonnabend Abend“ sollten PastorInnen „unter allen Umständen frei halten“ 73 So sehr eine Predigt erst „auf der Kanzel“ entsteht, sosehr entsteht sie auch in der „Pfarrstube“. Die beste Vorbereitung am Schreibtisch schenkt „größtmögliche Sachlichkeit auf der Kanzel“.74
Bei allem Respekt vor den Bemühungen um Vorbereitung einer guten Predigt, müssen sich Prediger und Gemeinde jedoch grundsätzlich darüber im Klaren bleiben:“ Die Predigt ist wie die Gemeinde und ihre Sakramente eine aktuelle Erniedrigungsgestalt des Inkarnierten.“75 Das bedeutet für die subjektive Seite des Dienstes an der Predigt :“Der Pfarrer, der mit seiner Predigt immer zufrieden ist“76 ist die größte Gefahr des Predigtgeschehens im Leben seiner Gemeinde. Gegen das subjektive Moment der Predigt sind darum im Gottesdienst objektive und sachliche Vollzüge als ständige Widerlager einzurichten.
„Es gibt für den Pfarrer selbst keine größere Befreiung von der Unruhe nach der Predigt, als wenn er im Anschluß ... das heilige Abendmahl austeilen darf. Hier wird er befreit von der Angst der Subjektivität; gedeckt durch das Wort der Kirche, Werkzeug des Gottes, dessen Wort er zu predigen hat, erfährt er die Gnade, dass er seiner Sünde zum Trotz Diener dieses Wortes bleiben darf.“77 So gesehen ist die Predigt Tischrede. Sie hebt hervor, was Christus im Abendmahl für seine Gemeinde ist und tut . Das „Wort in Predigt und Abendmahl will zur Gemeinde“ (Hervorh.v.Vf)78 Bonhoeffer zog daraus den Schluss , dass man „jeden Sonntag Abendmahl nehmen“79 müsste. Deshalb gab er seinen Schülern den Rat ,vom allsonntäglich gefeierten Abendmahl her die „Predigtgottesdienste“ zu „renovieren“ 80 .Denn „die christliche Gemeinde ist im eigentlichen Sinn Tauf- und Abendmahlsgemeinde, und erst von hier aus Predigtgemeinde“81
Bonhoeffers Gedanken treffen sich in dieser Hinsicht mit Überlegungen K.Barths.1938 erschienen die „Gifford Lectures“, die Barth 1937 an der Universität Aberdeen gehalten hatte. Hier führte Barth zur Abendmahlspraxis in der ev.Kirche aus: “Wir haben eine Predigtgottesdienst ohne Sakrament. Wir sahen, dass die Taufe und das Abendmahl sozusagen den natürlichen Raum des kirchlichen Gottesdienstes bilden. Dieser Raum ist aber in unserem protestantischen Gottesdienst in der Regel unsichtbar geworden. Wir wissen nicht einmal mehr, dass ein Gottesdienst ohne die Sakramente ein äußerlich unvollständiger Gottesdienst ist. Wir feiern mit der größten Selbstverständlichkeit in der Regel solche äußerlich unvollständigen Gottesdienste. Mit welchem Recht tun wir das eigentlich?...Würde die Predigt nicht ganz anders gehalten und gehört ...werden, wenn das alles auch äußerlich sichtbar...dem Abendmahl entgegenginge?“82 Ähnlich äußerte sich Barth in hohem Alter: „Alle Sonntage muss es darum Kommunion in der Kirche geben. Es darf in ihr nicht nur geredet, sondern es muss in ihr auch Handlung geben. Wenn das nicht alle Sonntage geschieht, dann ist die Kirche arm, dann geht es unordentlich in ihr zu.“83
Gute Predigten und (damit auch deren PfarrerInnen) hängen „von der Existenzform der Kirche ab“ Sie werden darum von deren „Fremdlingscharakter in der Welt“84 nicht absehen können.„Nicht bürgerliche oder proletarische Existenz der Kirche, sondern eine in ihrer Existenz nachfolgende Kirche“85 wird deren Dienst vorzeichnen und ihr Wort hören.
Wer die Vorlesungen , Aussprachen und Mitteilungen Bonhoeffers aus Finkenwalde und den Sammelvikariaten durcharbeitet, wird aus heutiger Sicht bei rein praktischem Interesse enttäuscht sein. In ihnen lassen sich nicht Tips finden , die PastorInnen garantiert volle Kirchen , packende Predigten ,effektiven Konfirmandenunterricht und glückende Seelsorge versprechen. Eine gesteigerte, rein pragmatische Kompetenz für den Pfarrberuf konnte und wollte die illegale Theologenausbildung bei Dietrich Bonhoeffer nicht vorzeichnen. Aber sie blieb dem auf der Spur, was pastoraler Arbeit durch die „Kraft der Kapelle“86 und der in ihr versammelten Gemeinde verheißen ist. Deren geistliche Übungen waren die Kraftquellen für einen Widerstand, dem politische Sprengkraft innewohnen konnte, weil er - auf solche Weise getragen- „gelassen“87 auf Privilegien verzichtete.
Was dies für die gegenwärtige Diskussion um ein Pfarrbild der Zukunft bedeutet, wird eine Diskussion zeigen, die unter Mißachtung dieses Erbes armseligen Charakter bekäme. Denn: „Vult ergo agnosci in suis ministris Christus, sed ita ut solus maneat Dominus“ 88 (Also will Christus in seinen Dienern erkannt und anerkannt sein, doch so dass er allein der Herr bleibt.) Das bedeutet, dass ein herkömmliches „Pfarrbild“ verblassen , wenn nicht sogar ganz verschwinden kann. Bleiben wird jedoch die öffentliche Berufung zu einem kirchlichen Dienst an Wort und Sakrament und der damit verbundenen besonderen Verantwortung.
1 Anhang,Die Illegalen im Kirchenkampf, in: Predigtamt ohne
Pfarramt,Die
„Illegalen“ im Kirchenkampf
hg.v.K.A.Bauer,Neukirchen-Vluyn,1993, 192
2 zit.nach Kirchen-und Theologiegeschichte in Quellen IV/2
Neuzeit.hg.v.H.W.Krumwiede,M.Greschat
u.
A.Lindt,Neukirchen -Vluyn,1980,163 vgl die 1947 erschienene Studie
von J.Schniewind „Die geistliche Erneuerung des
Pfarrerstandes (abgedruckt in : ders.Geistliche Erneuerung
(Lesezeichen),Göttingen
1981,123ff und die auf der Barmer Synode
1934 verabschiedete „Erklärung zur praktischen Arbeit der
Bekenntnissynode
der Deutschen Evangelischen Kirche“ in ihrem
Unterpunkt I „Der Dienst zur geistlichen Erneuerung des Pfarrerstandes“
in „Die Barmer Theologische Erklärung, Einführung und
Dokumentation, hg.v.A.Burgsmüller
u.R.Weth,Neukirchen-Vluyn,1983,66,neuerdings
umfassend und weiterführend interpretiert
durch K.A Bauer,in K.A Bauer/M.Josuttis Daß du dem Kopf nicht
das Herz abschlägst,Theologie als Erfahrung, Erwägungen
zum Pastoralkolleg als Ort erfahrungsbezogener Theologie, Presseverband
der Ev.Kirche im Rheinland,1996,25ff
mit Ausführungen zu pastoraltheologischen Ansätzen
von D.Bonhoeffer und G.Merz.
3 s.Anmerkung 2
4 K.Barth,Theologische Existenz heute! ThEx,Heft 1,München,1933,5f
5 aaO,8
6 aaO,13
7 A.Schönherr,Von der Existenz des Pfarrers heute,in: Horizont
und Mitte,Aufsätze, Vorträge, Reden 1953-1977,München
1979,94
8 Schönherr, aaO 96
9 S.Bobert-Stützel,Dietrich Bonhoeffers
Pastoraltheologie,Gütersloh
1995 (im Folgenden „Bobert-Stützel“) 73;
Die Arbeit von S.Bobert-Stützel bot mir mit ihren Ergebnissen
die wesentliche Grundlage für meine Darstellung.
10 D.Bonhoeffer,Vorlesung über Homiletik,I.Predigtamt und Pfarramt
am 8.11.1935,in :ders.,Illegale
Theologenausbildung,Finkenwalde 1935-1937,hg von O.Dudzus und J.Henkys
in Zusammenarbeit
mit S.Bobert-Stützel,D. Schulz und I. Tödt,Gütersloh
1996,Dietrich Bonhoeffer Werke,vierzehnter Band
(im Folgenden DBW 14),479f
11 Bobert-Stützel,72f,Anm 252
12 E. Bethge,Dietrich Bonhoeffer,Theologe,Christ,Zeitgenosse
München
, 1970,780
13 Dietrich Bonhoeffer,Widerstand und Ergebung,Briefe und
Aufzeichnungen
aus der Haft,hg.v.Chr.Gremmels,E.Bethge und
R.Bethge in Zusammenarbeit mit I.Tödt,Gütersloh,1998,in:
Dietrich Bonhoeffer Werke,Achter Band (DBW 8),560 (oder auch WEN,415)
14 DBW 14,113
15 DBW 14,149
16 DBW 14,152
17 K.Barth in einem Brief an Bonhoeffer vom 14.Oktober 1936, in:DBW
14,252f.Vgl auch die Interpretation der
Auseinandersetzung zwischen Barth und Bonhoeffer bei K.A.Bauer,(Anm2)
45ff
18 KD IV/2,13
19 DBW 14,77
20 DBW 14,252
21 DBW 14,588
22 K.Barth,Einführung 109
23 K.A.Bauer,Kopf 34
24 Dietrich Bonhoeffer,Unvollendeter Entwurf einer
Kanzelabkündigung
nach dem Umsturz, nach E.Bethges
Vermutung Ende 1942 skizziert,zitiert nach Dietrich
Bonhoeffer,Konspiration
und Haft 1940 -1945,hg von J.Glenthoj,Ulrich Kabitz
und Wolf Krötke,in: Dietrich Bonhoeffer Werke Band 16,(DBW
16)Gütersloh
1996,
588;vgl Bobert-Stützel,90f: „Bonhoeffer kritisiert, dass das
Pfarramt
als „Ein -Mann- System“ „an die weltlichen Berufe“
angeglichen worden sei...Eine Umgestaltung des Amtes muß mit
einem Umlernen der Amtsträger einhergehen.Hier sieht
Bonhoeffer seine vorrangige Aufgabe als Direktor des Finkenwalder
Predigerseminars.“
25 DBW 14,175
26 ebd
27 DBW 14,237, Hervorhebung vom Vf.
28 DBW 14,586
29 DBW 14,589, vgl Melanchthons Tractatus de potestate papae,BSLK 491
mit einem Hinweis auf Augustin und Mt 18,20
30 DBW 14,591
31 DBW 14,907
32 Dietrich Bonhoeffer ,Gemeinnsames Leben, Das Gebetbuch der
Bibel,hg.v.G.L.Müller
und A.Schönherr,in:Dietrich Bonhoeffer
Werke , Fünfter Band (DBW 5) München ,1987,85 (auch GL,86)
33 Manuskript Bonhoeffers:Der Raum der Ämter und Gaben und des
christlichen Lebens in der Nachschrift
Friedrich Trentepohls,DBW 14,453,Anm 147 und 149
34 vgl DBW 8,433 (WEN 327)
35 DBW 16,200 ; Es hieß bezeichnender Weise zuvor: „Wenn wir
„Hirten“ der Gemeinde sein sollen, wie Christus es war, dann
ist damit ebend doch wesentlich mehr gesagt als dass wir Prediger sein
sollen.“ (AaO 199);
vgl auch Bobert-Stützel 36
36 Dietrich Bonhoeffer,Nachfolge,hg.v.M. Kuske u.I. Tödt ,
München
1989 (DBW 4), 200f (N 181f)
37 DBW 14,533 Anm 10 in der Nachschrift von E.Bethge
38 Bobert-Stützel 54 mit Hinweis auf DBW 14,454
39 Friedrich Trentepohl in seiner Nachschift zu Bonhoeffers Auslegung
von 1.Kor 9, zitiert bei Bobert-Stützel 126
40 Bobert-Stützel,198
41 DBW 14,315
42 DBW 14,315 Anm 55
43 ebd
44 Bobert-Stützel 199
45 DBW 14,315 Anm 55
46 Von Bonhoeffer selbstkritisch dargestellt in einem Brief an
Elisabeth Zinn vom27.1.1936 ,DBW 14,112 f;
zB:“Ich hatte schon oft gepredigt, ich hatte schon viel von der Kirche
gesehen, darüber geredet und geschrieben-und ich war noch
kein Christ geworden, sondern ganz wild und ungebändigt mein
eigener
Herr... Daraus hat mich die Bibel befreit und insbesondere
die Bergpredigt.“(aaO 113)
47 Dietrich Bonhoeffer, Homiletik (Nachschrift E.Klapproth) zit nach
Bobert-Stützel ,66
48 „Ohne innere Berufung ist man nicht ohne Verheißung, aber
man erfährt nur den Fluch, nicht den Segen des Amtes.Die
Wirkung für die Gemeinde bleibt, auch trotz der Lüge des
Pfarrers.Aber an dem Pfarrer selbst vollzieht sich der Fluch des
Amtes.Es wird ihm zum Gericht.“ DBW 14,481
49 Bobert-Stützel 66f
50 DBW 14,237 (Brief an K.Barth vom 19.9.1936)
51 aaO,237f
52 DBW 14,237
53 DBW 14,510
54 DBW 14,145
55 E.Bethge in Vorwort zu K.A.Bauer, Kopf,5f
56 DBW 14,945ff: „Ich versündige mich an meinem Amt, wenn ich
nicht selbst täglich betend das Wort suche, das mein Herr mir
heute sagen will...Nur aus der Ruhe des Wortes Gottes kommt der rechte
hingebende Dienst des Tages...bewege dieses Wort
lange in deinem Herzen, bis es ganz in dich eingeht und Besitz von
dir genommen hat.“ (AaO 946f)
57 Bobert-Stützel 168
58 DBW 14,873 ;vgl auch DBW 14,946 :“Gebet ist der erste Gottesdienst
am Tage“
59 DBW 4,91 (siehe Anm 46; N 74)
60 Bobert -Stützel,340
61 D.Bonhoeffer , Katechetik (theologische Begründung) in DBW
14,533 (bisher unveröffentlicht)
62 Eberhard Bethge, Randnotiz zur in Anm 78 genannten Nachschrift
von Bonhoeffers Katechetik-Vorlesung
1935/36 DBW 533,Anm 10.Für KonfirmandInnen und PfarrerInnen gilt
„...beide leben von der Taufe und der wiederkehrenden
Predigt“ Es handelt sich in ihrem Miteinander um eine „Begegnung zweier
Menschen, die voreinander keinerlei Autorität haben.“
(Ebd) „Führer“ wirken durch ihre Person, Pfarrer durch ihren
Dienst
an der Autorität Christi, deren Gnadenherrschaft
anzuerkennen auch für sie eine stete Herausforderung bleibt.
“Daher wendet sich Bonhoeffer resolut gegen Personenkult in der
Kirche, selbst wenn dieser sich an bedeutende geistliche Begabungen
heften sollte.Jeder Personenkult unterläuft die Autorität des
Amtes.“ Bobert-Stützel,32
63 Bobert-Stützel,331
64 ders,aaO bei Bobert-Stützel 341,Anm 809
65 DBW 14,504
66 ebd
67 DBW 14,237f
68 DBW 14,488
69 DBW 14,486
70 DBW 14,487
71 ebd
72 ebd
73 DBW 14,488
74 ebd
75 Nachwort der Herausgeber von DBW 14,1016
76 DBW 14,501
77 DBW 14,500
78 Aus einer bisher nicht veröffentlichetn Mitschrift von
W.D.Zimmermann„Fragen
die ihn erreichten“
DBW 14,508
79 DBW 14,509
80 ebd
81 DBW 4,245 (N 224)
82 K.Barth , Gottesdienst und Gotteserkenntnis 1938,198f
83 Karl Barth , Gespräche 1964-1968 hg v E.Busch ,Gesamtausgabe
Bd 28,Zürich 1997,360
84 DBW 14,483
85 ebd
86 M.Josuttis in K.A.Bauer, Kopf (Anm 2),141
87 DBW 8,434 (WEN 327)
88 J.Calvin, Kommentar zum Johannesevangelium CR LXXV,col 71-73 zit
nach E.Lohse,Kleine Evangelische
Pastoralethik,Göttingen 1985,183
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Materialien zum Problem der Pfarrerdienstanweisung in der Kirche |
Pfarrer sein - was haben wir heute noch davon?
Beobachtungen zum evangelischen Pfarramt seit Luther
- Einleitung
- Alte Kirche und Mittelalter in groben Zügen
- Reformation
- Die weitere Entwicklung bis 1580
- Tendenzen 1580-1980
- Orthodoxe Versorgungskirche und Gemeinde
- Die wirtschaftliche Versorgung
- Die Bedeutung akademischer Bildung
- Die Akzeptanz des Pfarramtes
- Blick aufs heute
- Anmerkungen
Pfarrer sein � was haben wir heute noch davon?
Beobachtungen
zum evangelischen Pfarramt seit Luther
These: Von der Geschichte her sind halbe oder dreiviertel Stellen für den Gemeindepfarrer auf dem Lande nichts Neues. Voraussetzung ist heute nur, daß über überörtliche Beautragungen oder familiär die Gehaltslücke ausgefüllt werden kann, bzw. kirchenleitend akzeptiert wird, daß von einer »geteilten Seele« keine volle Verantwortlichkeit mehr gefordert werden kann.
These: Melanchthon versteht genial5 das Predigtamt einzig und allein von seiner Funktion und seiner Intention her, Mittel glaubensweckender Verkündigung und Sakramentenspendung für möglichst viele und möglichst nahe, leiblich, an möglichst vielen Menschen zu sein � nicht von seiner Ordnung, seinen Orten, seinen Formen und Riten, den Personen her. Das Predigtamt kann funktional aufgeteilt sein, solange die Verantwortung klar ist.6
These: Orthodoxe, liberale oder pluralistisch und theologisch indifferente Versorgungskirche und Gemeinde dürfen nicht wieder auseinanderfallen.b) Die wirtschaftliche Versorgung
These: Wer das Pfarramt in der Volkskirche will, kann auf die Unterstützung der Legislative nicht verzichten. Die Kirche muß auf die Politik einwirken, um bei Reduktion der Kirchensteuer neue Finanzierungswege zu öffnen. Von der Geschichte der Staatswerdung her ist jede deutsche Regierung zur Unterstützung der Kirchen verpflichtet � nicht nur in den einmal ausgehandelten Staatsleistungen. Die Pfarrerversorgung hat Jahrhunderte der Armut und Unsicherheit gekannt, die angesichts der Kirchensteuer im Wirtschaftswunderland unvorstellbar scheinen: Verordnete Armut kann dem Pfarramt genausowenig dienlich sein wie grundsätzliche Besitzstandswahrung. Erster Prüfstein ist die Solidarität aller kirchlichen Berufsgruppen.
These: Helmuth Thielecke17 drückt aus, was viele von der Gemeindepraxis her fragen: Ist akademisch theologische Bildung nötig, die vom Verkündigungsauftrag und Leben der Gemeinde oft so weit weg ist? Sie ist unverzichtbar, wenn sie dem Glauben der Gemeinde dient und existentiell vergewissert:
»Die Theologie kann ein Eispanzer sein, der uns erdrückt und unter dem wir erfrieren. Und sie kann auch � das ist sogar ihr Ziel! - das Gewissen der Gemeinde Christi, ihr Kompaß und in dem allen ein Loblied der Gedanken sein.«
These: Zeiten kirchlicher Geltung wechseln unter den Bedingungen der Volkskirche mit solchen der relativen Bedeutungslosigkeit. Kirchliche Erneuerung kommt immer aus prophetischer Predigt in Gesetz und Evangelium und individueller Seelsorge � in den Zeiten, wo die Herzen dafür offen sind und die Sprache der Menschen getroffen wird.
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