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PageAutor: Pfarrer Zillmann
(15.02.2006)
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Predigt - Wohin gehen wir?
(Mt 28,18-20) 30.10.05 Pfr.
Zillmann
zur
Gemeindeversammlung 2005
Liebe Gemeinde, Der neue Bundestagspräsident
Norbert
Lammert – an die neuen Namen muss man sich erst gewöhnen - also
Bundestagspräsident Lammert hat eine Wiederbelebung der Debatte
über eine deutsche Leitkultur gefordert. Dieses Wort Leitkultur
und noch dazu "deutsche Leitkultur" ist sehr brisant und die
Diskussionen darüber werden gerade für uns Christen sicher
sehr spannend werden.
Auf dieses Thema möchte ich aber jetzt nicht eingehen. Interessant
war für mich die Begründung. "Wir müssen diese
Debatte wieder aufgreifen und weiterführen", sagte Lammert.
Das gelte besonders für schwierige Zeiten wie heute, in denen
nicht Wohlstandszuwächse verteilt, sondern Ansprüche
eingesammelt werden müssten. Ohne Leitkultur im Sinne allgemein
akzeptierter Überzeugungen gebe es keinen Konsens für
komplexe Probleme.
Mal auf deutsch gesagt: Wenn das Geld knapp wird, dann muss man sich
zusammensetzen und überlegen, was man eigentlich will. Und damit
sind wir beim Thema unserer Gemeindeversammlung.
Nun sprechen wir in der Kirche nicht von Leitkultur, sondern wir
benutzen das etwas kleinere Wort Leitbild. Welches Leitbild
haben wir als Gemeinde? Welches Leitbild vermitteln wir nach
außen? Was meinen wir eigentlich, wenn wir sagen:
"Gemeinde"? Welches Bild von Kirche leitet uns, wenn wir hier
zusammenkommen, sei es nun im Gottesdienst, zum Konfirmandenunterricht,
zu den einzelnen Kreisen und Gruppen? Oder wenn jemand überlegt
sein Kind in einen christlichen Kindergarten zu schicken, die
verstorbene Oma vom Pfarrer beerdigen zu lassen, oder einfach wenn
jemand treu seine Kirchensteuer zahlt und seine Ruhe haben will? Welche
Beweggründe stehen dahinter? Was wollen wir eigentlich sein?
Was erwarten wir?
Herr Thierbach, der ehemalige Vorsitzenden unserer Gemeinde, hat mal
für mich einen wichtigen Satz geprägt, als er vor zehn Jahren
sagte: "Es gibt bei uns so viele Vorstellungen von Kirche, wie es
hier in den Häusern Gemeindemitglieder gibt." Diese Erkenntnis
ist einfach und hat unser Handeln geprägt. Jedenfalls in der
Vergangenheit. Dazu ein kurzer Rückblick:
Unsere Gemeinde entstand Ende der sechziger Jahre. Die Kirche wurde
1972 fertiggestellt, alles auf der grünen Wiese; Die evangelische
Gemeinde wuchs auf fast 6000 Mitglieder an – 50% der Einwohner waren in
der Kirche. Die Einnahmen aus der Kirchensteuer erhöhten sich von
Jahr zu Jahr.
Der GKR damals konnte "Wohlstandszuwächse" verteilen. Ein
typischer Dienstleistungsbetrieb entstand, mit vielen
Mitarbeitern und geschäftigem Getreibe. Man versuchte es allen
Ansprüchen gerecht zu machen. In der Kirchensprache heißt so
etwas dann "lebendig wachsende Gemeinde".
Die Ernüchterung kam jedoch schnell. Gerade in den siebziger
Jahren. Kirchenaustritte ohne Ende, die Wirtschaft stagnierte, die
Mehrwertsteuer wurde erfunden, die soziale Kultur veränderte sich
– und lange Rede kurzer Sinn:
Das Geld, das der Gemeindekirchenrat jedes Jahr zu verteilen hat, kann
die Forderungen aus Arbeitsrecht und Gebäudewirtschaft,
kann manche Erwartungen und Wünsche der Gemeindemitglieder und von
Kirchenvorstellungen nicht mehr erfüllen.
Wir sind in der Situation, die der Bundestagspräsident beschreibt:
"nicht Wohlstandszuwächse werden verteilt, sondern
Ansprüche müssen eingesammelt werden". Und da beginnt
jetzt die Arbeit am Leitbild unserer Gemeinde. Welche Ansprüche
unserer Gemeindemitglieder wollen wir erfüllen und welche wollen
wir nicht erfüllen?
Das kann man nach dem umgekehrten Gießkannenprinzip machen, so
wie wir das bisher immer ganz praktisch gemacht haben, also nach dem Rasenmäherprinzip
– den Rotstift ansetzen und alles Streichen was geht, solange niemand
aufschreit.
Das kann man autoritär machen, so wie der Kirchenkreis das oftmals
will:
fusionieren, strukturieren, regionalisieren, zentralisieren,
kontrollieren, bürokratisieren – all die schönen Wörter
einer sozialistischen Planwirtschaft fallen mir da jetzt ein.
Oder man kann sich auch hinsetzen und einen gemeinsamen Konsens suchen,
versuchen, eine Übereinstimmung möglichst Vieler zu
erreichen, Einmütigkeit und Einverständnis suchen, Prioritäten
festlegen, bei denen viele sagen – und zwar mit "Viele" meine ich jetzt
nicht uns, die wir regelmäßig ins Gemeindezentrum kommen,
mit Viele meine ich alle Einwohner in unserem Gemeindebezirk-
Prioritäten also bei denen viele sagen; "Ja, das ist Kirche!"
Dabei kann man es nicht allen gerecht machen, das ist klar. Und das
wird sicher ein jahrelanger Prozess sein. Wir haben im
Gemeindekirchenrat aber damit angefangen und die ersten Ergebnisse
wollen wir vorstellen.
Die ersten drei Sätze für unser Leitbild finden sie im
Gemeindebrief und auf dem Zettel zum Gottesdienst. Diese Sätze
sollen erst einmal eine Zustandsbeschreibung sein.
1.) "Wir nehmen als Ortsgemeinde den Auftrag der Kirche Jesu
Christi wahr und stehen in gesamtkirchlicher Verantwortung."
Wir beschränken unsere Arbeit damit in erster Linie
auf
unseren Gemeindebezirk, auf unsere 12 Häuser mit jetzt nur
noch
6800 Einwohnern und 2300 evangelische Christen. Das sind noch gut 30%.
Wir nehmen den Auftrag der Kirche Jesu Christi war, so wie er
vielleicht am kürzesten im Mathäusevangelium beschrieben ist:
Jesus trat auf sie zu und sagte: »Gott hat mir
unbeschränkte Vollmacht im Himmel und auf der Erde gegeben. 19
Darum geht nun zu allen Völkern der Welt und macht die Menschen zu
meinen Jüngern und Jüngerinnen! Tauft sie im Namen des Vaters
und des Sohnes* und des Heiligen Geistes*, 20 und lehrt sie, alles zu
befolgen, was ich euch aufgetragen habe. Und das sollt ihr wissen: Ich
bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt.« (Mt
28,18-20)
Und wir stehen in gesamtkirchlicher Verantwortung, das
heißt wir
wollen nicht amerikanische Freikirche sein, wo jeder rumhopst und
Halleluja ruft. Wir wollen aber auch nicht katholische Bischofskirche
sein, die zentral gesteuert wird. Wir leben eben aus der Tradition
einer evangelischen Landeskirche.
2.) "Wir pflegen eine traditionell ausgerichtete
Gemeindearbeit
mit den
Schwerpunkten in der Kinder- und Seniorenarbeit und setzen bei den
vorhandenen volkskirchlichen Vorstellungen unserer Gemeindemitglieder
an."
Liebe Gemeinde, traditionell soll heißen,
das wir
nicht jedes
Jahr die Kirche neu erfinden wollen, dass also Gemeindemitglieder, die
bloß alle paar Jahre mal in die Kirche kommen, unsere Gemeinde
auch wiedererkennen können und den Gottesdienst so erleben, wie er
schon immer war, mit Orgelmusik und fester Liturgie.Unsere Schwerpunkte
sind deshalb der Gottesdienst und die Dienste zu
Taufe, Konfirmation und Unterricht, Hochzeiten und Beerdigungen.
Darüber hinaus ist uns der Betrieb eines Kindergartens
wichtig. Er
ist unser sozialer und diakonischer Dienst. Hier geben wir das meiste
Geld aus und hier arbeiten auch noch richtig feste Mitarbeiter.
Getragen allein von ehrenamtlicher Arbeit sind dagegen, die
einzelnen
Gruppen und Kreise, die überwiegend von älteren Menschen
besucht werden.
Die volkskirchlichen Vorstellungen unserer Gemeindemitglieder
sind
natürlich sehr vielschichtig. Wir haben uns da im
Gemeindekirchenrat von den statistischen Untersuchungen der Ev. Kirche
in Deutschland leiten lassen. Und die decken sich eigentlich ganz gut
auch mit den eigenen Untersuchungen und Befragungen unserer
Gemeindemitglieder.
3.) "Wir leben in einer Zeit des Umbruchs als
Kirchengemeinde in
einer
Großstadt mit häufig wechselnden Gemeindemitgliedern in
einer überwiegend kirchendistanzierten Bevölkerung."
Das vieles im Umbruch ist, das merken wir. Manche sagen: "Es wird
alles
schlechter." Das würde ich etwas optimistischer sehen und
sagen: "Vieles wird anders – auch in unserer Kirche – das bedeutet
aber
nicht
automatisch, dass es schlechter wird."
Die Großstadt bringt es mit sich und besonders unser
Märkisches Viertel, dass wir eine sehr große Fluktuation
bei
unseren Mitgliedern haben. Alle 8 Jahre verändert sich unsere
Gemeinde. Da sind 2000 Leute weggezogen und 2000 neue hinzugekommen.
Das ist natürlich nur ein statischer Durchschnitt. Es gibt
Menschen, die wohnen schon seit eh und je hier und andere nur ein bis
zwei Jahre.Daraus ergibt sich die besondere Situation, dass die
Entwicklung von Gemeinschaft nur sehr, sehr gering
ausgeprägt ist.
Eigentlich
macht jeder seins und will dabei seine Ruhe haben.
Dass die Menschen überwiegend kirchendistanziert sind, ist
auch
klar. Wenn das nicht so wäre, dann säßen jetzt ein paar
hundert hier im Gottesdienst und draußen stünden noch mal so
viele, weil der Platz nicht ausreicht.
Kirchendistanziert heißt aber nicht, dass die Menschen, die in
unseren Häusern wohnen, keinen Glauben haben und Atheisten sind.
Hier müssen wir feine Unterschiede machen und die Begriffe von Mission
und Verkündigung ständig
überprüfen.
Liebe Gemeinde, soweit die ersten drei Sätze aus unserem Leitbild.
Sie sind wiegesagt eine Zustandsbeschreibung. Was sein soll und
was
sein wird, beschreiben sie nicht. Da sind wir jetzt in den
nächsten Jahren alle gefragt, weiter zu überlegen.
Früher haben wir das dann immer so gemacht, dass wir Wünsche
gesammelt haben. "Ich hätte gern mehr Konzerte. Und ich
hätte
gern mehr, dass die Jugend im Gottesdienst ist. Ich möchte gern
mehr Ausflüge", und ein anderer will einen Gebetskreis und der
nächste gepolsterte Stühle. Dieses Wünschesammeln
können wir natürlich weiter
praktizieren, aber das wird außer Verdruss nicht viel bringen.
Ich denke mir, dass weiß auch jeder. Wir verabschieden uns von
der Mitarbeiterkirche mit ihren großen
Finanzen, nicht weil wir das wollten, sondern weil es faktisch so ist
und wir versuchen aus der Not eine Tugend zu machen.
Was ist nun das positive?
Nun, erstens: Wir haben eine eigene Kirche, Gebäude und
ein
Grundstück, das in Ordnung ist und frei zu unserer Verfügung
steht. Das macht zwar Arbeit, bietet aber auch Chancen, wenn es mal
ganz schlecht kommt.
Zweitens: unsere Kirchengemeinde ist nicht verschuldet. Wir haben
Geld und wir können selbst entscheiden, wie wir dieses Geld, das
zu 90% aus der Kirchensteuer kommt, einsetzen wollen. Und wir
können uns damit in Zukunft auch noch einen Pfarrer
leisten.
Und drittens, wir sind zwar keine Gemeinschaft, in der jeder
ein Herz
und eine Seele ist, aber wir sind auch nicht verstritten und verkracht,
sondern tolerant und offen für andere Menschen und für Neues.
Die ehrenamtliche Arbeit hat sich darum entwickelt, fast unbemerkt,
könnte man sagen. Wurde vor 10 Jahren noch 90% der Gemeindearbeit
von angestellten Mitarbeitern geleistet, so sind es jetzt nur noch 50%.
Das ist der richtige Weg, um auch mit weniger Geld etwas machen zu
können.
Liebe Gemeinde, um das abschließend zu sagen: Wohin gehen
wir? Die Ansichten darüber sind verschieden. Wichtig ist
allerdings, dass wir nicht immer nach hinten kucken, sondern positiv
nach vorne schauen. Ein Wasserglas kann halb leer sein, es kann aber
auch halb voll sein. Wie man das sieht, ist entscheidend für den
weiteren Weg – oder ist entscheidend für das Gefühl, das wir
bei dem Wort Kirche haben.
Ich wünsche es uns allen, dass wir ein gutes Gefühl
bei dem
Wort Kirche haben. Dass wir Überzeugungen haben, die
möglichst breit verankert sind und wo sich viele getragen wissen,
von dem was Jesus gesagt hat:
"Denn wo zwei oder drei in meinem Namen zusammenkommen, da
bin ich
mitten unter ihnen."
(Mt 18,20)
AMEN
(Predigt Teil II zum
Leitbild 2006
hier)
. |
Predigt (Was sollen wir
wählen - was dürfen wir hoffen? Klgl 3,22-32) 11.09.05 Pfr.
Zillmann
Liebe Gemeinde, das Buch der Klagelieder aus dem
alten
Testament wurde
nach der Zerstörung Jerusalems geschrieben, also vor gut 2500
Jahren. Der Dichter der Klagelieder und das sagt ja schon der Name des
Buches, dieser Dichter beklagt den Zustand seines Volkes,
beklagt die
Zerstörung seines Landes. Er beklagt die Not, in der die Menschen
nach einem bitteren und verlorenen Krieg leben müssen.
Diese Not war so groß, daß sogar die Toten beneidet wurden,
weil sie vom Leid des Lebens erlöst waren. (4,9) Die Menschen
verhungerten. Es gab keine Gerechtigkeit mehr. Der ganze Staat war
zusammengebrochen. die Hauptstadt lag in Trümmern und es herrschte
das Faustrecht.
Man kann sich das so vorstellen, wie nach der Hurrikankatastrophe in
den USA. Wenn alles zusammenbricht, dann herrscht Chaos und
Anarchie und auch wenn kein Feind oder keine Naturbedrohung mehr
da ist,
dann
bekriegen sich die Menschen jetzt gegenseitig, Plündern, Rauben
und Morden, um ihr eigenes Leben zu retten, um nicht zu verhungern.
In diese Situation, die damals im Alten Testament noch viel schlimmer
war, als wie wir das in New Orleans sehen, in diese Situation
führt uns der Predigttext. Wie kann man unter solchen
unmenschlichen Verhältnissen leben? Wie
findet man in dieser allgemeinen Depression wieder Zuversicht und
Hoffnung? Und so sagt der Schreiber, der wahrscheinlich auch Augenzeuge
der Ereignisse damals war:
19 An all dieses rastlose Elend zu denken
ist Gift für mich und macht mich bitter.
20 Doch immer wieder muß ich daran denken
und bin erfüllt von Verzweiflung und Schwermut.
21 (Aber) Ich will mich an etwas anderes erinnern,
damit meine Hoffnung wiederkommt:
Und so sagt er dann weiter
22 Von Gottes Güte kommt es, daß wir noch leben.
Sein Erbarmen ist noch nicht zu Ende,
23 seine Liebe ist jeden Morgen neu
und seine Treue unfassbar groß.
24 Ich sage: Der HERR ist mein ein und alles;
darum setze ich meine Hoffnung auf ihn.
Liebe Gemeinde, wer Katastrophenzustände nicht selber miterlebt
hat, der kann sich das gar nicht so richtig vorstellen, wie das ist,
wenn man alles verliert, Hunger und Durst leidet und nur den Tod
noch vor Augen sieht.
Uns hier - geht es dagegen gut! Eigentlich müssten wir
lachen und tanzen, müssten uns unseres Lebens freuen. Aber
merkwürdig - das machen wir nicht.
Wenn ich mir in den letzten Wochen so die Wahlkampfreden der
Parteien
anhöre mit ihren Analysen und Programmen, dann fällt mir
immer ein: "Deutschland ist das Land der großen Miesmacher."
Eine Zeitung hat sogar ein Depressionsbarometer veröffentlich, das
regelmäßig aktualisiert wird und an dem man ablesen kann,
wie deprimiert die Menschen in unserem Lande sind. Und aus dieser
Depression, aus dieser schlechten Stimmung heraus, fragen sich dann
viele: "Was sollen wir eigentlich noch wählen - was
können
wir eigentlich für unsere Zukunft hoffen?"
Eine Erkenntnis ist dabei für mich wichtig. Ob es
einem
schlecht
geht oder ob man das Gefühl hat, daß es einem schlecht geht
- sind zwei verschiedene Dinge.
So sagen dann die einen: "Nun hab dich mal nicht so, die paar
Arbeitslose, die wir haben, die füttern wir auch noch durch, davon
geht die Welt nicht unter." Und andere sehen dagegen schon ein
Horrorszenarium auf sich zu kommen,
wirtschaftliches Chaos, soziale Ungerechtigkeit, die Steuern
werden
erhöht, den kleinen Leuten wird das Geld weggenommen. Und so
könnten sie dann, genau so wie in den Klageliedern
beschrieben, sagen und auch merken: "An all dieses rastlose
Elend zu denken ist Gift für mich und macht mich bitter. Doch
immer wieder muß ich daran denken und bin erfüllt von
Verzweiflung und Schwermut."
Wie kommen wir aus dieser Depression heraus, liebe
Gemeinde? Die Bibel gibt uns einen guten Ratschlag:
"Ich will mich an etwas anderes erinnern, damit meine
Hoffnung
wiederkommt."
Nun machen viele Leute dann gleich den zweiten Fehler. Das
Gute
im
Leben ist schnell vergessen, dagegen kommen jetzt schöne
Sprüche, schöne Wahlversprechungen - die sollen nun Mut
machen. Und möglichst sollen es die da oben richten. Die Hoffnung
setzt man auf einen starken Staat oder auf einen starken
Führer.
Das ist aber eine schlechte Wahl, denn zu den Herren da oben - und das
ist auch eine wichtige biblische Erkenntnis, heißt es in den
Psalmen: "Ihr Herren (da oben), wie habt ihr das Eitle so lieb und
die Lüge
so gern!" (Psalm 4,3)
Liebe Gemeinde, ich will ihnen das an zwei Beispielen deutlich machen.
Wenn kleine Kinder sich einen Freund suchen, dann hört man oft die
Redewendung: "Willst du mein Freund sein? Ich schenke dir auch
einen
Bonbon." Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser. "Zeig
mir doch mal deinen
Bonbon.", kommt als skeptische Anfrage. Wenn dann alles seine
Ordnung
hat, kann die Freundschaft beginnen. Wenn nicht, dann gibt es auch
schon mal handfesten Ärger.
Ich erinnere mich an meinen Geschichtslehrer. Er hatte nicht das
Talent, in einer sechsten Klasse Ruhe reinzubringen. Der Unterricht war
regelmäßig chaotisch. "Jungs!", brüllte er, "Wenn
ihr
jetzt mal stille seid, dann zeige ich euch nächste Woche auch
einen Gladiatorfilm aus dem alten Rom." Damals, als es fast noch
keine
Fernseher gab, zeigten solche Versprechungen Wirkung. Es wurde
schlagartig ruhig in der Klasse.
Diese Zeremonie wiederholte sich in der darauf folgenden Woche und in
der Woche danach noch einmal. Irgendwann ging das Gerücht um, dass
der Filmprojektor schon seit Monaten kaputt war und auch nicht mehr
repariert werden konnte. Mit der Ruhe im Geschichtsunterricht war es
vorbei.
Liebe Gemeinde, leere Versprechungen sind also gefährlich,
sowohl
für den, der sie abgibt, als auch für den, der auf sie
eingeht. Manche Menschen, denen es schlecht geht, die sehnen sich
jedoch nach
Versprechungen, besonders nach solchen, bei denen jeder weiß,
dass sie niemals einzuhalten sind. Das ist ganz komisch.
Bei politischen Wahlen können wir das immer wieder gut beobachten.
Parteien, die Bonbons versprechen, werden gerne gewählt. Ihre
Eitelkeit lässt sie sogar glauben, dass sie einen ganzen Sack
voller Süßwaren haben. Die Leckereien können sie
zwar nicht vorzeigen, aber das leere Bonbonpapier tut es auch - meinen
sie.
Kleine Kinder sind da schlau. Ihre Sehnsucht nach
Süßigkeiten prüfen sie an der Realität. Bei
Erwachsenen scheint dieser Instinkt zu verkümmern und so spinnen
sie sich in utopische Ideen der Weltverbesserer ein.
Von daher ist es nicht verwunderlich, dass alte Mauerbauer,
Bankrotteure und Multikultifreaks wieder zu eitel Macht streben.
Hilft ihnen dabei das duftende Bonbonpapier nicht weiter, dann
versuchen sie es beim geplagten Wähler mit Sozialneid und
Missgunst. Wer vom Robin-Hood-Syndrom ergriffen ist, der
weiß,
dass irgendwo immer etwas zu holen ist, was man als Rächer der
Witwen, Waisen und als Rächer der Arbeitslosen zur Umverteilung
anbieten kann. Sie haben darum gute Chancen gewählt zu werden -
solche Parteien,
die viel versprechen. Und so wählt sich eben jedes Volk den Staat,
den es verdient hat.
Wenn dann am Ende nichts mehr umzuverteilen ist, wenn die Wirtschaft
dann wirklich am Boden liegt, hilft meistens nur noch Mauer,
Stacheldraht und Arbeitslager dann aber wirklich mit garantiertem
Mindestlohn für alle. Im vorigen Jahrhundert hat das in
Deutschland zweimal funktioniert. Das
Ende ist jeweils gruselig gewesen. Die Nationalsozialisten haben den
Krieg gebracht und die Sozialisten der DDR ein Teil unseres Landes in
den wirtschaftlichen Ruin gestürzt.
Am Anfang stand auch damals die Erkenntnis besorgter Menschen, wie sie
die Bibel beschreibt: "Ihr Herren, wie habt ihr das Eitle so lieb
und
die Lüge so gern!" (Ps 4,3) "Denn die Götzen reden
Lüge,
und die Wahrsager schauen Trug und erzählen nichtige Träume,
und ihr Trösten ist nichts." (Sach 10,2)
Solange wir noch eine Wahl haben, liebe Gemeinde, sollten wir sie auch
verantwortlich nutzen. Und wählen heißt jetzt: in die
Zukunft schauen, die Hoffnung auf Veränderung setzen und
sich
nicht von Schreckensbildern und leeren Versprechungen irritieren zu
lassen.
Um das abschließend zu sagen Eine Erkenntnis ist für
mich wichtig. Ob es einem schlecht geht oder ob man das Gefühl
hat, daß es einem schlecht geht - sind zwei ganz verschiedene
Dinge.
Man kann in alten Büchern lesen, wie Menschen ihr Leben vor 2500
Jahren empfunden und beklagt haben. Man kann sich Bilder von Natur- und
Gesellschaftsdramen im Fernsehen anschauen. Das alles aber verblasst
und wird unwichtig, wenn es ans eigene Hemd geht. Wirbelsturm in den
USA - das ist schrecklich, aber
Benzinpreiserhöhung um 20 Cent - das ist eine Katastrophe. Die
Wirtschaft wird von der Politik nach und nach ruiniert - ja, das
ist schlimm, aber ich soll auf meine Kilometerpauschale verzichten - na
dann kann ich mir ja gleich einen Strick nehmen.
Dieses depressive Denken ist uralt und nicht erst eine neue deutsche
Erfindung. Und so steht zu allen Zeiten immer wieder diese Frage:
Worauf setzten wir unsere Hoffnung?
Vor 2500 Jahren wurde geantwortet: "Von Gottes Güte
kommt es, daß wir noch leben. Sein Erbarmen ist noch nicht zu
Ende, seine Liebe ist jeden Morgen neu und seine Treue unfassbar
groß. Ich sage: Der HERR ist mein ein und alles; darum setze ich
meine Hoffnung auf ihn."
Liebe Gemeinde, lebt man in dieser Zuversicht, dann können
wir
auch im alltäglichen Kleinkram - und Politik z.B. ist
alltäglicher Kleinkram - dann können wir auch im
alltäglichen Kleinkram immer etwas Neues wagen. Können den
Mut aufbringen, nach vorne zu schauen, positiv nach
vorne zu schauen. Wir können etwas Neues wagen, weil es uns
eigentlich ganz gut geht.
AMEN
. |
Predigt (Alles aufgeben
können? Lk 18,28-30)
04.09.05 Pfrn. Orland
Lesung Lk 18,28-30
Da sagte
Petrus: »Du weißt, wir haben unser Eigentum aufgegeben
und sind
dir gefolgt.« Jesus wandte sich seinen Jüngern zu und
sagte: »Ich versichere
euch: Niemand bleibt unbelohnt, der irgendetwas aufgibt, um die Gute
Nachricht
verkünden zu können, daß Gott jetzt seine Herrschaft
aufrichtet. Wer dafür
etwas zurückläßt - Haus, Frau, Geschwister oder Eltern
oder Kinder -, wird
schon in dieser Welt ein Vielfaches davon wiederbekommen und in der
kommenden
Welt das ewige Leben.«
Liebe Gemeinde! Unser Predigttext ist
nicht
für diese
Situationen niedergeschrieben worden und nicht für diesen Sonntag
im September
2005. Ausgerechnet ein Mann, der immer mit Wasser zu tun hatte,
ausgerechnet
Petrus sagt: “Siehe, wir haben unser Eigentum verlassen...“
Unsere
Gedanken
wandern nach New Orleans zu den Menschen, die alles verlassen mussten.
Nein, das hier ist keine
„Evakuierungsgeschichte“.
Dieser
Text ist von dem Evangelisten Lukas für Menschen in den Jahren
70-90 erzählt,
die außerhalb Palästinas lebten und das jüdische Leben,
aus dem Jesus stammte
kaum kannten. Da irgendwo ist das Lukasevangelium aufgeschrieben worden.
Vielleicht kennen Sie das Wort des
Schweizer
Theologen Karl
Barth. Er hat in der bedrohlichen Situation vor dem 2. Weltkrieg
gesagt, dass
er sich nicht beirren lassen will und weiter Theologie treiben
mit
seinen Studenten
und „nur Theologie“.
„Das Entscheidende, was ich heute zu diesen
Sorgen
und
Problemen zu sagen versuche, ... besteht einfach darin, daß ich
mich bemühe,
hier in Bonn mit meinen Studenten ... nach wie vor und als wäre
nichts
geschehen - vielleicht in leise erhöhtem Ton, aber ohne direkte
Bezugnahme -
Theologie und nur Theologie zu treiben.“
Nun, so überspitzt müssen wir es
nicht
sehen, aber unser
Predigttext will uns heute mitnehmen auf die Wanderschaft mit Jesus. Er
will
eindringlicher sein als die „Tagesordnung“ der Welt, er will die Welt
verändern.
Gab es da nicht einmal ein Volkslied vom
Wandern?
Das Wandern ist des Müllers Lust
Das Wandern...
Das muss ein schlechter Müller sein
Dem niemals fiel das Wandern ein
Das Wandern
das Lied ist von Wilhelm Müller
aus
dem Jahr 1818 und Sie
kennen sicher noch mehrere solcher Wandelieder. Im Mittelalter mussten
Maurer- und Steinhauergesellen sowie die
Zimmerer- und Dachdeckergesellen auf die „Walz“ gehen. Das war eine
mehrjährige Reise von Bauplatz zu Bauplatz um zu lernen wie
anderswo geschafft wird. Übrigens: Heute müssen dass die
Gesellen nicht mehr "in die Fremde gehen", aber aktuell (2005) sind
schätzungsweise 700 Wandergesellen unterwegs.
Damals im alten Palästina, ist es üblich gewesen, ab und zu
einmal mit einem Wanderrabbiner mitzugehen. Denn was sollte man
anderes
machen in Zeiten, wo es doch noch kein Schulsystem gab? Da wanderte man
einfach für eine Weile mit einem weisen Mann mit, um Gutes und
Lebenswichtiges zu hören und zu lernen.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie „alltäglich“ es mit Jesus und
seinen Jüngern zugegangen ist. Da fragt einfach mal so der
Petrus: “Schau mal, wir haben alle unsere Sachen
zurückgelassen...“ Er fragt einfach mal nach, wie das mit dem
Gleichgewicht von Geben und Bekommen ist. Und Jesus ermahnt ihn nicht,
sondern gibt eine Antwort.
Warum kommt Petrus so plötzlich auf diese Idee? Alle Evangelisten
stellen diese Szene hier ein, wo soeben der „Reiche Jüngling“
davongezogen ist. Denn einige Verse zuvor kommt er doch, der Mann, der
von Jugend auf alle Gebote gehalten hat und nun wissen will wie sein
ewiges Leben aussehen kann. „Es fehlt dir noch eines. Verkaufe
alles,
was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel
haben, und komm und folge mir nach!“ antwortet ihm Jesus. Als aber
der
fromme Mann das hörte, da wurde er traurig, denn er war sehr
reich. Und er ging davon.
Und genau diese Szene hatte die Menschen damals gewaltig erschreckt.
Denn genauso wie heute besaßen sie alle irgendwie und irgendwo
etwas und mussten das auch zum Leben haben. Aber nun merkten sie wohl
mit einem Male, wie sehr sie alle an dem hingen, was sie besaßen
oder was ihnen lieb war. Und darum fragten sie sich verwirrt und
erschreckt: Wie sollte da bloß einer selig werden können?
Der Reiche zieht traurig weg und erlebt am eigenen Leibe, dass leichter
ein Kamel durch ein Nadelöhr passt als dass ein Reicher in den
Himmel kommt.
Nun also Petrus. ER hat ja alles verlassen. Er und die anderen
Jünger sind bettelarm. Liebe Gemeinde! Der 15. Sonntag nach
Trinitatis hat "irdische Güter" zum Thema. Es geht ums
Sorgen, die Angst um die Zukunft, um das, was morgen kommt,
die
Sorge um das leibliche Wohl, um das Dach über dem Kopf. An diesem
Sonntag wird unser Blick fortgelenkt von den irdischen Gütern. Sie
sollen nicht unsere erste und alleinige Sorge sein.
Oft haben wir uns durch mühsame Arbeit einen Lebensstandard
geschaffen, der uns ein Gefühl der Behaglichkeit und des
Wohlstandes vermittelt. Diesen Lebensstandard zu erhalten, wird jedoch
immer schwieriger und Sorge um die Zukunft bestimmt unser Leben
zusehends. Heute werden wir durch die Lesungen daran erinnert, dass
alles, was wir hier schaffen, vergänglich ist. Es ist
tröstlich zu wissen, dass Gott uns nicht im Stich lassen wird,
selbst wenn das, was wir haben, verloren geht.
Liebe Gemeinde! Zu wem spricht Jesus
eigentlich?
Nein, er setzt sich
nicht auf einen Berg und redet „zum Volk“. Er spricht zu denen, die mit
ihm zusammen sind. Er spricht zu „Insidern“. Gerade zuvor zog der
Reiche von ihnen weg und Jesu Aussage macht Angst: "Es ist
leichter,
dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in
das Himmelreich kommt." Deswegen weist Petrus darauf hin, dass sie
nicht reich sind, ja, dass sie alles für die Nachfolge Jesu
aufgegeben haben. Deswegen fällt ihm das „plötzlich“ ein.
Ich frage mich, warum Jesus nicht gerade das, was er jetzt zu den
Jüngern sagt, auch schon dem reichen Jüngling mitgeteilt hat?
Hätte der dann nicht freudig alles aufgegeben? Er bekommt doch
alles vielfältig zurück!
Nein, Jesus ist kein Lebensversicherungsvertreter, von dem sich
herumspricht, dass man das Eingezahlte „vielfach wieder empfange“.
Nein, das ist ein Irrtum zu meinen, Mensch und Gott seien wirklich so
etwas wie zwei gleichberechtigte Handelspartner: „Ich bringe dir
ein
Opfer und du gibst mir Gutes in Zeit und Ewigkeit“.
In der Regel kommt niemand in die Kirche, der um Christi willen all
seinen Besitz und die Familie aufgegeben hat. Eher im
Gegenteil: den
meisten von uns würde es ausgesprochen schwer fallen, auch nur
einen Bruchteil des Besitzes aufzugeben. So gesehen sind wir wohl eher
mit dem reichen Jüngling vergleichbar.
Was macht diese Geschichte mit uns? Wo verhandelt sie meine Sache? Wir
„verlassen“ bald jeden Tag etwas. Auch was wir heute erleben und
„haben“ ist morgen, am Montag schon wieder Vergangenheit. Wir suchen
sofort danach, den alten Zustand wieder herzustellen. Es ist uns sogar
unwohl, wenn beim Gartenfest unser Sitzplatz umgeräumt wird. Unser
Leben ist auf „Festhalten“ eingerichtet. Können wir es den
Jüngern nachmachen? Sollen wir es?
Petrus ist eine biblische Gestalt. Er tritt in eine Spur mit
Männern wie Abraham oder Moses. Das erste was Abraham von Gott zu
hören bekommt ist: “geh aus deinem Vaterland und von deiner
Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein and, das ich dir
zeigen will.“ Und Moses weigert sich über ganze zwei Kapitel
der
Bibel hin, mit Gott seinen Weg zu gehen. Er will sich nicht rufen
lassen. Ganz unbedarft versucht er es zum Schluss noch einmal mit dem
Argument “Ach mein Herr, ich bin von jeher nicht beredt gewesen,
auch
jetzt nicht...ich habe eine schwere Sprache und eine schwere Zunge.“
Petrus und die Jünger sind von Jesus gerufen worden. Sie haben
daraufhin alles stehen und liegen gelassen. Jetzt
plötzlich erscheint ihnen der Weg mit Jesus nicht mehr so
sinnvoll, nicht mehr so lohnend. Möglicherweise sehnen sie sich
zurück.
Ich überlege immer, wo denn die Frau von Petrus geblieben ist?
Dass er eine Schwiegermutter hatte, das wird ja in den Evangelien
erzählt. Auch sie haben ja alles verlassen, das heißt sie
wurden verlassen. Nein, wir ängstlichen „reichen Jünglinge“
sollen uns nicht voreilig den Mann Petrus zum Vorbild nehmen. Sonst
folgen wir ihm nach und nicht Christus.
Dies ist keine Geschichte vom „Wandersmann“, von der Walz oder dem
Wanderrabiner...
Wer hier wirklich seinen Weg geht, das ist Jesus nur allein. Gleich im
nächsten Vers sagt er :“Der Menschensohn wird
überantwortet
werden, er wird verspottet, misshandelt und angespieen werden.“
Jesus macht seinen Jüngern klar, dass Wanderschaften in dieser
Welt letztlich nur Kreisläufe sind. Wer zerstört denn
schon
mutwillig seine irdische Existenz? Immer wieder landen wir da, wo wir
aufgebrochen sind. Nach jeder Reise kommen wir nach Hause. Auch die
Mönche und Nonnen oder die Brüder aus Taize´ haben ein
Dach über dem Kopf und eine Krankenversicherung. Den letzten
Weg
können die Jünger nicht mehr mit Jesus mitziehen. Er ist der
einzige, der unsere Welt durchqueren kann bis zu ihrem Ende. Er trinkt
den bitteren Kelch im Garten Gethsemane. Die Welt wirklich ganz
loslassen kann nur er. Wir sind nur Nachahmer. Wir kleben an den Dingen
wie der reiche Jüngling, aber wir brechen auch auf wie Petrus.
Liebe Gemeinde! Das Verreisen haben wohl die Christen
erfunden. Denn
das Pilgerwesen gehört zu den bedeutendsten Phänomenen der
mittelalterlichen Religiosität. Ohne Unterschied von Stand,
Herkunft und Bildung ergriffen alle den Pilgerstab: Arme und Reiche,
Geistliche wie Bauern, Könige ebenso wie Gelehrte, Männer,
Frauen und Kinder. Wir können davon ausgehen, dass fast jedermann
im Hoch- und Spätmittelalter, je nach Stand und Vermögen
mindestens einmal in seinem Leben eine Pilgerfahrt zu einem ferneren
oder nahegelegenen Heiligtum unternommen hat. Pilgern war ein
akzeptables Reisemotiv.
Aber es bildete sich auch ein Unwesen heraus, so dass Martin Luther den
„Pilgertourismus“ seiner Zeit „Narrenwerk“ nannte und jedem
versicherte, dass der- jenige, der daheim bliebe auch nicht
sündigen könne. In der Heimat ließe sich Gott tausend-
mal besser dienen.
Unsere Gemeinde Am Seggeluchbecken ist immer wieder nach Serrahn
gefahren. Wir Evangelischen wissen auch, dass Unterwegssein etwas
Wichtiges ist, dass unser Glaube uns in Bewegung hält. Manchmal
ist es auch Beten mit den Füßen. Jede von uns und jeder ist
auf dem Lebens-weg. Und es ist von großer Bedeutung, dass wir als
Kirche Menschen auf ihrem Lebensweg begleiten. Wegbegleitung
heißt: nicht verurteilen, sondern zeigen, ich höre dir zu.
Wenn wir loslassen müssen, wenn wir etwas Vertrautes verlieren,
dann gilt das Wort Jesu auch für uns:“ Er aber sprach zu ihnen:
Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder
Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes
willen, der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der
zukünftigen Welt das ewige Leben.
Wenn wir etwas verlieren, dann müssen wir es zuerst Christus noch
einmal anvertrauen. Denn alles was wir haben ist sein Geschenk, sein
„Notgroschen“ für diese Welt. Wir können diese Dinge
loslassen. Wir „besitzen“ nicht Haus und Frau und Eltern.
Dietrich Bonhoeffer hat in einer ganz ausweglosen Lage, im
Gefängnis gedichtet
"Und reichst Du uns den schweren Kelch, den
bittern,
des Leids, gefüllt bis an den höchsten
Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus Deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann woll´n wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört Dir unser Leben ganz."
Wir vertrauen darauf, dass wir schon „in
dieser
Zeit“ von Christus
etwas zurückbekommen. Dass wir getröstet werden, über
unseren Verlust. Unser Predigttext ist eine TROSTGESCHICHTE.
Schauen
wir doch einmal in unser „Portemonnaie“, in unseren Lebensvorrat. Ist
da nicht viel, viel Geschenktes? Nehmen wir wahr, dass andere für
uns beten, uns zuhören und an uns denken?
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
. |
Predigt (Gewissen - 1 Mose
50,15-21) 19.06.05 Pfrn. Orland
Liebe Gemeinde!
Unser Predigttext heute könnte unter
der
Überschrift stehen:
„Ende gut, alles gut“. Aber nein, da fehlt ja noch etwas! Warum ist
denn am
Ende alles gut? Muss man da nur geduldig abwarten – sowie ein Kuchen
bäckt und
dann ist er am Ende gut?
Oder heißt der zweite Teil des
Sprichwortes „Glück gehabt“?
Das ist zwar wie beim Lotto, aber wir glauben trotzdem alle, dass wir
auch
einmal dran sind und Glück haben werden. Mal ehrlich: Jeder von
uns hat schon
einmal „Glück gehabt“, nicht? Irgendwo gewonnen, irgendwann einen
kleinen Preis
ergattert.
Hören wir unseren Predigttext aus 1.
Mose
50, 15-21 Und
hören wir ganz genau hin und suchen die Überschrift. Sie ist
versteckt und sie
ist auch ein Sprichwort.
Die Brüder Josefs aber
fürchteten sich, als ihr Vater
gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns
alle Bosheit
vergelten, die wir an ihm getan haben. Darum ließen sie ihm
sagen: Dein Vater
befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib
doch
deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, daß sie so
übel an dir getan haben.
Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines
Vaters!
Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten. Und seine
Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe,
wir sind deine
Knechte. Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe
ich denn an
Gottes Statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott
gedachte es
gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben
zu erhalten
ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch
und eure Kinder
versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.
Liebe Gemeinde! Was wäre denn hier
die
Überschrift? Welcher
Satz ? Ja: es ist die Antwort, die Josef seinen Brüdern gibt:“....
aber Gott
gedachte es gut zu machen!“
Noch ein Sprichwort! Dieses hier lautet: „Gott
sei Dank!“ Es
klingt zwar wie „Glück gehabt“, aber es sagt WARUM. Nicht ein
Kleeblatt oder
ein Glückskäfer hat es gemacht, nicht der Zufall ist wie ein
Glücksrad
ausgerechnet bei mir stehen geblieben – nein, Gott war es.
Ihr gedachtet es böse mit mir zu
machen,
aber Gott gedachte
es gut zu machen. Unser Predigttext ist aus den letzten Seiten der
langen
Geschichte genommen, die von Josef und seinen Brüdern
erzählt. Es ist eine
richtige Familiengeschichte. Sie geht über Jahre und lässt
fast nichts aus:
Zank unter heranwachsenden Brüdern, Neid und
Erbschleicherei...auch ein
Straßenmädchen kommt vor...
Liebe Gemeinde! Die Feuerwehr und Polizei
biegen
ziemlich
oft hier in den Senftenberger Ring ein. Nicht selten findet die Gewalt
HINTER
der Wohnungstür statt – in den Familien. Manche Familien
werden ganz langsam
krank und kränker, Zentimeter für Zentimeter. Keiner von
ihnen will es, aber
die Enttäuschungen werden immer mehr. Jeder will vom anderen
Aufmerksamkeit,
Ehrlichkeit, Gerechtigkeit...der andere soll sich entschuldigen... und
mancher
will sich rächen, endlich die Wut herauslassen.
Und so eine Geschichte steht auch in der
Bibel.
Es ist ein
regelrechter Familienroman. Ein Vater – er heißt Jakob –
hat mehr Söhne, als
seine Nachbarn zu träumen wagen. Mit Schwiegertöchtern und
Enkeln könnte er ein
ganzes Dorf bevölkern. Er ist wirklich ein angesehener
Stammesfürst!
Aber er darf auch nicht alles machen, was
er
will. Er will
nämlich seinen jüngsten Sohn zum Nachfolger heranziehen. Der
ist sozusagen ein
Nachkömmling und heißt Josef. Die Stunde des Neids hat
begonnen. Die älteren
Söhne überlegen, wie sie gerade biegen können, was der
alte Vater
offensichtlich falsch macht. Sie zeigen Josef, was sie von ihm halten:
Wenig!
Er ist der jüngste und soll es auch bleiben. Sie werden es niemals
zulassen,
dass er der Erbe wird und sie später als Stammesfürst
anführen soll.
Hinter dem Rücken des Vaters spielen
sich
bedrohliche Szenen
ab, die in einem Mordversuch enden. Weit draußen in der
Einsamkeit soll Josef
umgebracht werden und seine beschädigten Kleidungsstücke dem
Vater als Beweis
präsentiert werden. Der älteste Bruder – der „Kronprinz“
sozusagen – schwächt
die Aktion im letzten Moment ab. Josef soll nicht in dem Brunnen, in
welchen
ihn die Brüder gestoßen hatten verdursten. Josef wird
„verkauft“, also als
Arbeitskraft ins Ausland verschoben. Ohne Rechte, ohne Namen...ohne
Pass.
Mit einem Mord wollte der ältere
Bruder
offensichtlich sein
Amt als Familienoberhaupt nun doch nicht beginnen. Josef landet in
Ägypten im
Hause des Finanzministers. Er, der keinen Namen und keinen „Pass“
hatte, er
macht sich nun einen Namen. Und zwar einen guten. Er ist intelligent,
fleißig
und ehrlich. Er arbeitet sich hoch.
Obwohl er wegen einer Intrige im
Gefängnis
landet geht seine Lebensgeschichte weiter bergauf. Das war
nicht das Ende! Er
gerät an den Hof
des Pharao und wird zweiter Mann im Staate. Zum Schluss holt ihn die
Vergangenheit ein: seine Brüder kommen nach Ägypten, um Korn
einzukaufen. In
Kanaan herrschen Dürre und Hunger. Die Brüder kommen als
Fremde und erkennen
ihren Bruder Josef natürlich nicht.
Zum Schluss sind sie es, die hilflos und
ohne
„Pass“ vor
ihrem Bruder stehen, denn der Vater ist gestorben. Er war die
große Autorität.
Sie glauben, dass Josef nur deshalb nicht Rache an ihnen genommen hat,
weil er
das dem Vater nicht antun wollte.
Sie denken sich eine letzte List aus. Das
Gift
des Betruges
steckt noch in dieser Familie. Es wird weiterhin arrangiert und
gelogen. Und so
erfinden die Brüder ihre letzte Verhandlungslüge:
15 Die Brüder
Josefs
aber fürchteten sich, als ihr Vater
gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns
alle Bosheit
vergelten, die wir an ihm getan haben. Darum ließen sie ihm
sagen: Dein Vater
befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib
doch
deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, daß sie so
übel an dir getan haben.
Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines
Vaters!
Liebe Gemeinde! Wie lautete hier das
Sprichwort?
„Ihr
gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu
machen...“
Das Wort „Gott“ kommt in den 14 Kapiteln
dieser
„Familiensaga“ kaum vor. Ist das bei uns nicht auch so? Jetzt sind
schon wieder
Sommerferien, das Jahr ist halb herum – heute sind Kinder hier, die im
August
in die Schule kommen... Alles ist veränderlich. Wir haben uns kaum
an das Eine
gewöhnt, da hat es sich schon verändert.
Unsere Gewohnheit ist für uns oft „Gott“-
unsere
Behaglichkeit. Wir fühlen uns geborgen und hoffen, dass ohne
Kummer alles so
weitergeht. Aber manchmal kommt der Moment von ganz alleine, wo wir
sagen: Das
war kein Glückskäfer! Das war auch ich nicht – ich bin nicht
immer “meines
Glückes Schmied“. Das kommt von oben. Da hat einer die ganze Zeit
seine Hand
schützend über mich gehalten. Er hat ohne dass ich es merkte, meine Schritte gelenkt Er hat mir Menschen
über den Weg geschickt. Er hat meine Pläne scheitern lassen
und neue Ziele
heranwachsen lassen. Er hat mich in
Hoffnungslosigkeit geschickt. Ich habe wie Josef in der Grube gesessen-
im
tiefen Brunnen - und war mir sicher: “da komme ich nie wieder heraus!“
Ihr gedachtet es böse mit mir zu
machen,
aber Gott gedachte
es gut zu machen!
In der Josefsgeschichte sitzen alle einmal
in
der Falle.
Jeder versucht, ein Stückchen vom Kuchen abzubekommen. Jeder dreht
die
Verhältnisse ein bisschen zu seinen Gunsten. Auch Josef . Er
weiß, wie man
Karriere macht. Alle wollen hier „ihres Glückes Schmied“
sein. Aber alle werden
irgendwann ausgebremst und scheitern. Zum Schluss erkennen sie, dass es
Gott
war, der sie die ganze Zeit begleitet
hat. Er war es, der sogar durch Intrigen seinen Plan mit dem
großen Volk
weitergebracht hat. Meine Behaglichkeit ist nicht Gott und Gott
hängt sich auch
nicht an meine Karrierepläne an.
Unser Predigttext handelt von Schuld
und
Vergebung. Schuld
belastet – auch wenn wir sie im Alltagsgeschäft ganz vergessen.
Sie meldet sich
immer wieder.Wie komme ich damit klar?
STEINBEISPIEL
( ein Feldstein liegt auf der Kanzel
– er
symbolisiert
„Schuld“-Der Stein kann „abgewälzt“ werden oder versteckt, er kann
dekoriert
werden, also Schuld beschönigt; der Stein kann aber auch getragen
werden als
Schuldeingeständnis)
Die Brüder von Josef schleppen
die
Schuld ihre ganze
Lebenszeit mit herum. Die Auflösung der 14 Kapitel passiert nur,
weil sie ihre
Schuld kennen und versuchen sie loszuwerden. Eingestehen....
Liebe Gemeinde! Schuld ist ein biblischer
Hauptbegriff und
Schuld ist ein theologischer Hauptbegriff. Das Vaterunser erwähnt
das in der 5.
Bitte „und vergib uns unsere Schuld“. Unser Predigttext erzählt
ganz schlicht
davon: Menschen werden schuldig, weil sie ihre Pläne durchsetzen
wollen. Sie
glauben, sie seien „ihres Glückes Schmied“ und da gibt es
natürlich auch
Verlierer.
Nur einer kann Champion sein, einer
bekommt die
Stelle, der
andere ist arbeitslos, einer ist beliebt, der andere feiert seinen
Geburtstag
lieber gleich allein. Wo Gewinner sind, muss es Verlierer geben.
Unser Predigttext erklärt uns, dass
unser
ganzes Leben davon
durchzogen ist. Wir machen Fehler. Wir müssen oft ganz bewusst
besser und
schneller sein als der andere. Wir verschweigen die Wahrheit, wir
helfen
anderen nicht, die gemobbt werden. Wir können auch nicht anders.
Wir sind
Menschen. Aber wir spüren, dass es falsch ist. Woher wissen wir
was falsch oder
was richtig ist?
Wurde es uns beigebracht, als wir noch
Kinder
waren? Die
Eltern, die 10 Gebote, die Lehrer...die Oma? Es gibt aber auch eine
ganz andere
Meinung. Sie sagt, dass das Gewissen einfach schon da ist – angeboren.
Vielleicht kennen einige von uns hier den
kleinen Jungen
namens Willi Wiberg? Willi Wiberg, sieben Jahre alt, kann nicht
einschlafen. Er
hat heute jemanden geschlagen, der kleiner ist als er. Diesen kleinen
Jungen
mit dem Ball! Es ist fast so, als ob irgendetwas Unheimliches im Zimmer
wäre.
Plötzlich begreift er: Unter seinem Bett ist ein Ungeheuer!
Das Ungeheuer, das Willi Wiberg in dem
Kinderbuch von
Gunilla Bergström unter dem Bett wähnt, ist sein Gewissen,
das ihn drückt.
Bergströms Geschichte weist darauf hin: Schon Kinder haben mit
jenem wichtigen
und oft komplizierten Prozess zu tun, der uns in unseren Gefühlen
und
Handlungen bestimmt.
Was aber ist das Gewissen? Es ist
so
eine Art „innerer
Gerichtshof“,hat der Philosoph Immanuel Kant einmal gesagt.
Die Familiengeschichte von Josef und
seinen
Brüdern lässt
uns einen weiten Raum. Es wird nichts festgeschrieben. Wir können
uns wie in
einem Spiegel mit unserer eigenen Familien- und Lebensgeschichte
beschäftigen.
Wir können die Josefsgeschichte weiterdenken, wenn wir unser
eigenes Leben
mithineindenken.
Was das Gewissen ist, das wird hier
einfach
erzählt. Die
Brüder holen ihr Schuldbekenntnis nach. Erst hier, im 50. Kapitel
geben sie zu,
was sie vor Jahrzehnten ihrem Bruder angetan haben. Die
Josefsgeschichte ist
wie ein Zopf geflochten – aus drei Erzählfäden:
1.
Gott ist
der
vorborgene Helfer seines Volkes
2. das Gewissen
kennt keine Uhr – es ist immer wach, auch noch nach Jahrzehnten
3. nur Vergebung
schafft wirklichen Neuanfang, sie ist nachhaltiger als alle Trickserei
Josef vergibt seinen Brüdern. Er
„trägt ihre Schuld weg“.
Dietrich Bonhoeffer hat in sein
Tagebuch
geschrieben „Es
gehört zu den erstaunlichsten, aber zugleich unwiderleglichsten
Erfahrungen,
dass das Böse sich – oft in einer überraschend kurzen Frist –
als dumm und
unzweckmäßig erweist. Damit ist nicht gemeint, dass jeder
einzelnen bösen Tat
die Strafe auf dem Fuße folgt...
Bonhoeffer schreibt über das, was er
beobachtet und zieht
den Schluss: „Die göttlichen Gebote werden aufgehoben und dieses
Aufheben hat
gerade die gegenteilige Wirkung. Er sagt:“ Als gewiß scheint
jedenfalls dies zu
gelten, dass es im Zusammenleben der Menschen Gesetze gibt, die
stärker sind
als alles, was sich über sie erheben zu können glaubt.“
Das Walten Gottes in der Geschichte
Ich glaube, dass Gott
aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und
will. Dafür
braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich
glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie
wir
brauchen. Aber Er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns
selbst,
sondern allein auf Ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle
Angst vor der
Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und
Irrtümer nicht
vergeblich sind und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig
zu werden
als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein
zeitloses
Fatum ist, sondern dass er auf richtige Gebete und verantwortliche
Taten wartet
und antwortet.
Und
der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre
eure
Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
. |
Predigt (Trinitatis-Verabschiedung
Pfr. Prums - Jesaja 6,1-11) 22.05.05 Pfr. Prums
Der Prophet Jesaja hatte eine Vision.
Er sah den Herrn auf einem
hohen,
gewaltigen Thron sitzen. Der Saum seines Gewandes füllte den
ganzen Tempel aus. Gott war umgeben von mächtigen Engeln, jeder
von ihnen hatte sechs Flügel. Mit zwei Flügeln bedeckten sie
ihr Gesicht, mit zweien ihren Leib, und zwei brauchten sie zum Fliegen.
Sie riefen einander zu:
"Heilig, heilig, heilig ist der Herr,
der
allmächtige Gott! Seine Herrlichkeit erfüllt die ganze Welt."
Ihre Stimme ließ die Fundamente des Tempels erbeben, und das
ganze Heiligtum war voller Rauch.
Entsetzt rief Jesaja: "Ich bin
verloren! Denn
ich bin ein Sünder und gehöre zu einem Volk von Sündern.
Mit jedem Wort, das über unsere Lippen kommt, machen wir uns
schuldig! Und nun habe ich den Herrn gesehen, den allmächtigen
Gott und König!" Dann erzählt Jesaja: Da flog einer der Engel
zu mir mit einer glühenden Kohle in der Hand, die er mit der Zange
vom Altar geholt hatte. Er berührte damit meinen Mund und sagte:
"Die glühende Kohle hat deine Lippen berührt. Deine Schuld
ist jetzt weggenommen, dir sind deine Sünden vergeben."
Danach hörte ich den Herrn fragen:
"Wen
soll ich als Boten zu meinem Volk senden? Wer ist bereit zu gehen?" Ich
antwortete: "Ich bin bereit, sende mich!" Da sprach er: "Geh und sag
diesem Volk: 'Hört mir nur zu, so lange ihr wollt, ihr werdet doch
nichts verstehen. Seht nur her, ihr werdet doch nichts erkennen!' Sag
ihnen das, und mach ihre Herzen hart und gleichgültig, verstopf
ihre Ohren, und verkleb ihre Augen! Sie sollen weder sehen noch
hören, noch mit dem Herzen etwas verstehen, damit sie nicht
umkehren und geheilt werden." Ich fragte:
"Herr, wie lange soll das so gehen?",
und er
antwortete: "Bis die Städte entvölkert und zerstört
sind, bis die Häuser leer stehen und das ganze Land zur Wüste
geworden ist."
Auslegung:
1) Warum ist dieser Text für den
Sonntag Trinitatis ausgewählt worden? Der theologische Gedanke der
Trinität wird als Steigerung der Einzelgedanken Theologie-Christologie-Soteriologie
interpretiert, die majestätische Art und Erzählung der
Thronratsvision unterstreicht die Steigerung der Trinitätslehre.
2) Die Trinitätslehre ist ein
Gedankengebäude, um die Einheit und Einzigartigkeit Gottes in
seinen zu unterscheidenden Erscheinungsweisen zu verstehen. Sicherlich
ist die Trinitätslehre auch erdacht worden, um Gott zu ehren, um
ihn anzubeten. Das könnte deutlich werden, wenn wir den Sonntag
Trinitatis als Feiertag empfinden und begehen. Feiertage haben ihren
Zweck darin, dass der Erinnerungsanlass immer wieder ins Bewusstsein
gehoben wird. Erinnerungsanlass kann ein geschichtliches Ereignis sein
als Grund für einen Feiertag (3. Oktober) oder ein theologisches
Ereignis (Weihnachten, Ostern).
3) In unserer gegenwärtigen Zeit
ist
die Trinitätslehre in Frage gestellt worden und kehrt als Vorwurf
des Irrtums zu uns zurück. Der Islam wirft uns Christen
vor, dass wir an drei Götter (Gottvater, Gottsohn und
Gottgeist) glauben. Der Islam ist unter anderem auch darum im 7.
Jahrhundert entstanden, um die Einzigartigkeit des geglaubten Gottes zu
betonen. Es gelingt uns Christen heute offenbar nicht gegenüber
dem Islam, uns verständlich zu machen, dass wir trotz und mit der
Trinität nur an einen einzigen Gott glauben.
4) Nun ist dieser Text aus dem Buch
Jesaja
ein biographischer Text. Er ist nicht nur in der Ich-Form
überliefert, sondern berichtet offenbar von den dramatischen
Ereignissen der Berufung des Jesaja zum Propheten. Er sieht die
Majestät Gottes auf dem Thron, er hört die gewaltigen Stimmen
der Engel, die Gott loben, er hört schließlich den Auftrag:
Geh hin und sprich zu diesem Volk (Israel). Ein biographischer Text
verführt gerade bei einer so biographischen Situation wie der Verabschiedung
in den Ruhestand zu vergleichenden Überlegungen, zu
Erinnerungen, zu Gedanken trotz aller Unvergleichbarkeit.
5) Vergleichbar ist, dass auch ich
mich zum
Christsein, zum Glauben, zum Pfarrberuf von Jesus Christus
berufen fühlte, ich habe sehr gelegentlich auch in Predigten davon
erzählt. Ich bin damit nicht hausieren gegangen, ich weiß
nicht, ob ich immer auf Verständnis gestoßen bin oder
verlacht worden bin bei meiner Erinnerung an meine Berufung in
Jugendtagen, aber für mich war das Erlebnis wenn auch nicht so
dramatisch wie bei Jesaja, so doch grundlegend und richtungsweisend.
6) Weniger vergleichbar ist Jesajas
Schuldbekenntnis und die dramatische und symbolische Reinigung seiner
Lippen mit einer glühenden Kohle, die Schuldvergebung.
Schuldvergebung ist bei mir sicherlich ebenso notwendig gewesen und
immer wieder notwendig geworden, weil ich als Mensch in unserer Zeit
Gottes Wünschen und Ansprüchen grundsätzlich nicht
gerecht werden konnte und kann. Ich sehe die größte
Vergleichbarkeit dieser Textpassage mit meiner Ordination. Die in der Ordination
durch die Kirche ausgesprochene Beauftragung, die Segnung
für den Dienst als Pfarrer hatte etwas von der reinigenden Kraft
der Vergebung, hatte etwas von dem Hinter-sich-lassen aller Schuld, von
einem Freiwerden für die neue Aufgabe. Aber im Laufe der 27
Dienstjahre ist dann sicherlich bei aller Freude am Dienst und bei
allen Erfolgen im Dienst manchmal ein Vergeben Gottes für Fehler
oder auch ein Vergeben von Menschen für Nicht-gerecht-Werden still
und leise notwendig geworden.
7) Schließlich landet mein Blick
bei
der Beauftragung Jesajas zur Verstockung der Hörer, des
Volkes: "Verstocke das Herz dieses Volkes und lass ihre Ohren taub
sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch
hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich
bekehren und genesen."
Bei Lesen dieses einzigartig unverständlichen Auftrages kommen mir
wieder Gedanken und Gespräche in Erinnerung, die wir im Studium im
alttestamentlichen Seminar bei Prof. Hans-Walter Wolff in Heidelberg
dazu geführt haben, wir, die Studenten der so berüchtigten
68er Generation. Eine Beauftragung durch Gott am Anfang eines
Verkündigungsdienstes konnte die Verstockung nicht sein, das
passte nicht in unser Empfinden, in unsere Absicht, unseren Mitmenschen
das Evangelium, die frohmachende Botschaft von Jesus Christus
verkündigen zu wollen, die Kirche reformieren zu wollen, die
Gesellschaft zum Guten verändern zu wollen. Das nahmen wir Jesaja
nicht ab. Aber wenn dieser Gedanke der Verstockung rückblickend
aus einer lebenslangen Erfahrung heraus formuliert worden ist
und als Resümee in die Beauftragung verlagert worden ist, dann
wird die Verstockung bedenkenswert und für mich als Pfarrer am
Ende meiner Tätigkeit durchaus vergleichbar.
Der Gedanken der Verstockung meint doch, dass Hörer der Botschaft
nicht willens und in der Lage sind, die Botschaft zu hören, zu
glauben, an-zunehmen, zu verstehen, aus ihr zu leben, sich nach ihr zu
richten oder wie man sich auch ausdrücken möchte, sondern
dass die Botschaft in das eine Ohr hinein und aus dem anderen
Ohr wieder herauskommt, ohne den Hörer anzusprechen und zu
verändern. Es gibt auch neutestamentliche Erfahrungsberichte der
ersten Christen, verlagert in die Prophetie Jesu Christi, die das
gleiche aussagen: Das Gleichnis von der vierfachen Frucht des Ackers.
Aber das Wort Verstockung in sich hat einen bösartigen Klang, es
klingt wie bockig sein. So habe ich Menschen eigentlich nicht erlebt.
Sie sind nicht bösartig gegen die Verkündigung eingestellt,
sondern sie sind uninteressiert, sie sind oberflächlich,
sie sind den täglichen Gedanken, Problemen und Aufgaben zugewandt,
sie sind säkularisiert, sie sind nicht aus Überzeugung
atheistisch, aber faktisch glaubenslos. Wenn also das, was bei Jesaja
scheinbar am Anfang seiner Verkündigung steht, nicht eine
Beauftragung, sondern Resümee am Ende seiner Wirksamkeit ist, dann
kann ich in solche Gedanken heute auch einstimmen.
Ich denke an die zahlreichen Konfirmanden, denen ich im Laufe der Jahre
bemüht war, die Inhalte unseres Glaubens nahe zu bringen. Wo sind
sie geblieben, was haben sie behalten vom Glauben, was haben sie auf
ihrem Lebensweg daraus gemacht? Ich selbst bin einer von drei
Konfirmanden des Pfarrers Hans Lübke, ehemaliger Pfarrer von
Alt-Reinickendorf, gewesen, die Theologie studiert haben und Pfarrer
geworden sind. Ich habe von keinem meiner Konfirmanden gehört,
dass einer diesen Weg eingeschlagen hat oder irgendwo
Gemeindekirchenratsmitglied geworden ist oder ähnliches eines
aktiven Christentums. Oder ich denke an die zahlreichen Beerdigungen,
an die Verkündigungen der Auferstehungsbotschaft, an die
Einladungen zur aktiven Teilnahme am Gemeindeleben. "Sie haben gut
gesprochen, Herr Pfarrer, vielen Dank für die tröstenden
Worte", habe ich oft gehört. Das war es dann aber auch bei
Beerdigungen. Die Verstockung, zu der Jesaja beauftragt wird, scheint -
so ziehe ich am Ende meiner beruflichen Tätigkeit heute - ein
menschliches Phänomen und Problem zu sein, gegen das wir Pfarrer
qua Auftrag ankämpfen, aber nicht unbedingt erfolgreich.
8) So leite ich aus diesen
Überlegungen
heute die Bitte an Sie ab, dass Sie, wenn Sie von dem Problem der
möglichen Verstockung wissen, ihr eben nicht verfallen, sondern
bewusst hören, glauben und leben. Das habe ich mir immer beim
Predigen gewünscht und das wünsche ich Ihnen auch bei allen
anderen Predigten, die Sie in Zukunft von andern hören
werden.
Pfr. Prums
. |
Predigt Pfingsten (Wir
sitzen im Wartesaal - Römer 8,1-38) 15.05.05 Pfr. Zillmann
Liebe Gemeinde, der Apostel Paulus beschreibt in
seinem
Brief an die Gemeinde in Rom im 8. Kapitel zwei Dinge, die für das
Leben von Christen eine Bedeutung haben. Christen leben aus einem
bestimmten G e i s t heraus und sie können
warten, weil sie H o f f n u n g haben, weil
sie Hoffnung haben, daß sich ihr Leben immer zum Guten wenden
wird, egal was kommt.
Und so schreibt er: Es gibt
kein
Verdammungsurteil für die, die in Christus Jesus sind. Denn das
Gesetz des Geistes, der in Christus Jesus lebendig macht, hat dich frei
gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. (Rm 8,1-2) Die der
Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. (Rm 8,14) und der Geist
hilft unserer Schwachheit auf ... und wir wissen, daß denen die
Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem
Ratschluß berufen sind. (Rm 8,26-28) Und ich bin gewiß,
daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch
Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes
noch Tiefes noch irgendein anderes Geschöpf uns trennen kann von
der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. (Rm 8,38f)
Liebe Gemeinde, heute ist Pfingsten. Dieser Tag hat etwas mit
dem Heiligen Geist zu tun und mit der Gemeinde, die auf diesen
Geist gewartet hat, auf den Geist, den Jesus versprochen hatte, als er
von ihnen ging. In dieser Hoffnung lebten die Christen,
daß sie nicht alleine und Gottverlassen in dieser Welt existieren
müssen, sondern einen Beistand haben, der ihnen Kraft gibt.
Zwei Dinge sollen also näher betrachtet werden. Zum einen, das
warten auf den Geist und zum anderen, die Hoffnung in der wir leben.
Die wartende Gemeinde, so heißt ja auch der
Sonntag
zwischen
Himmelfahrt und Pfingsten, die wartende Gemeinde ist der
Schlüsselbegriff. Ich denke die meisten können es
nachvollziehen, was es heißt, warten zu müssen. Z.B.: Herr
Pfarrer, ich war die ganze letzte Woche allein und ich habe so auf
jemanden gewartet, sagte die alte Frau, der das Alter nicht nur
Ruhe,
sondern auch Einsamkeit gebracht hatte. Da werden Sekunden zu Minuten,
Minuten zu Stunden, die Zeit scheint stehenzubleiben und sie vergeht
einfach nicht. Sie schleppt sich hin und das Leben schleppt sich hin.
Da passiert nichts mehr.
So zu warten, kann gefährlich sein. Man wartet auf andere
Menschen, auf die Kinder, auf die Enkelkinder. Sie kommen nicht und
vielleicht wartet man auf den Tod, auf eine Ende, wo man vom Warten
erlöst wird.
Ein anderes Beispiel. Ich will verreisen. Ich sitze mit vielen Menschen
in einem Wartesaal. Und schon fliegen die Gedanken durch die Zeit. Sie
eilen dem, was kommt voraus, sind schon am Reiseziel angelangt. Ich
saß früher oft in diesen großen Wartesälen der
Bahnhöfe, die Tasche neben mir, und malte mir aus, wie es sein
würde, wenn ich am Ziel der Reise ankäme.
Und andere Menschen erwarten u n s, wenn wir
eine Reise antreten. Und sie warten mit fester Gewißheit, weil
sie wissen, daß es sich lohnt zu warten. Ebenso warten wir auch,
wenn wir wissen, da kommt jemand zu Besuch - ganz sicher. Er hat sich
ja schon auf den Weg gemacht. Besuch ist schön und wir bereiten
alles vor.
Das Warten kann sinnvoll sein, also hoffnungsvoll sein. Warten
kann
aber auch nutzlos sein, kann Zeit-totschlagen bedeuten und
unsere Seele
krank machen. Beides ist möglich.
Wie ist es nun mit der wartenden Gemeinde? Wartet sie hoffnungsvoll,
wie in einem Wartesaal, oder wartet sie eingeschlossen in alten
Kirchengemäuern, um die Zeit totzuschlagen? Eine Entscheidung zu
treffen ist hier schwer. Antworten wir mit dem Vaterunsergebet, mit der
Bitte: Herr dein Reich komme, dann klingt das hoffnungsvoll.
Wie es sein wird, dieses Reich, wissen wir nicht, aber wir können
vieles vorbereiten, stärken unsere Gemeinschaft als Christen und
versuchen auch andere zu ermutigen, in dieser Wartezeit ihr Leben zu
bedenken und bereit zu sein.
Damit bin ich bei dem zweiten Begriff angekommen, der in diesem
Zusammenhang wichtig wird. Es ist der Begriff Hoffnung.
Hoffnungen spielen in unserem Leben eine große Rolle. Wenn ich
wissen will, was kommt, dann hoffe ich erst einmal im Großen,
daß es gut gehen wird. Es soll kein Krieg sein. Die Menschen
sollen sich vertragen. Ich hoffe, daß es keine Umweltkatastrophe
gibt usw.
Aber nicht immer finden wir uns als einzelne in diesen großen
Hoffnungen wieder und so denke ich, auch die scheinbar kleinen
Hoffnungen, die ganz persönlichen, meinetwegen die Hoffnung auf
Gesundheit, auf Bestand der Ehe, die Hoffnung, daß wir kommendes
Leid bestehen werden, diese Hoffnungen haben für jeden von uns
eine ebenso große Bedeutung, wie die Hoffnungen, die die ganze
Welt betreffen.
Der Apostel Paulus schreibt: Wir sind
gerettet, doch nur in
Hoffnung. Denn Hoffnung, die man schon erfüllt sieht, ist ja keine
Hoffnung. Wie kann man auf etwas hoffen, daß man sieht? Hoffen
wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld
und der Geist nimmt sich unserer Schwachheit an ...und wir wissen,
daß Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten wenden wird.
(8,24-28)
Liebe Gemeinde, auch Paulus erzählt den Menschen etwas von
Hoffnung, von der großen Hoffnung hier, die in Jesus
Christus
liegt. Er gibt den Wartenden den nötigen Proviant dazu. Egal, was
ihr durchmacht, ob ihr viel oder wenig leidet, ob euer Leben von
quälenden Fragen begleitet wird, oder ob es glatt abläuft, ob
ihr den Anforderungen gewachsen seid, oder ob ihr euch diesen
Anforderungen nicht stellen könnt, wenn wir wirklich mit Christus
leiden, dann werden wir auch mit Christus eine Zukunft haben.
Das ist gewiß, aber - und jetzt kommt das große ABER, so
fügt er hinzu: Aber nur in der Hoffnung - Aber nur in der Hoffnung
- und Liebe Gemeinde, über dieses ABER bin ich ganz froh.
Das gibt mir Mut, mich neben diesen Paulus zu stellen, denn er
weiß, daß ein paar Worte von der großen Hoffnung, von
der Auferstehung, vom Reich Gottes usw., daß die es nicht machen.
Da kann man noch so viel reden und erzählen, erklären und
beschreiben, die Hoffnung auf Jesus Christus, bekommen wir nicht mit
den Händen zu fassen. Sie kann uns jederzeit entgleiten, rinnt uns
durch die Finger und dann wiederum - plötzlich taucht sie an
anderer Stelle
wieder auf, da, wo wir sie nicht erwartet haben.
Wenn Paulus von der großen Hoffnung der Christen spricht, dann
spricht er zuerst: Wir sind schwach und wir wissen nicht. Wir sind
schwach und wir wissen nicht.
Fast möchte ich im nachhinein diesem Paulus danken, daß er
das so gesagt hat. Das ist ja genau unsere Situation. Auch wir sind
immer wieder unsicher, sind geplagt von Zweifeln und wissen
nicht, was
wir hoffen dürfen.
Denn wo anders ist der Grund für all die Ratlosigkeit in den
Gemeinden über den weiteren Weg der Kirche; für die
Ratlosigkeit derer, die aussteigen und nicht mehr mitmachen
möchten, es immer den anderen überlassen, „...die werden
es
schon machen.“ Dahinter steht Unsicherheit und dieses: Wir wissen
nicht, wie es weitergehen soll.
Das ist natürlich nicht nur ein kirchliches Problem. Im ganzen
öffentlichen Leben klingen die gleichen Worte: "Da kann man
nichts
machen, das sollen andere lösen, wir können uns bloß
noch verweigern, aussteigen und streiken."
Aber wo soll das hinführen? Wo sind unsere Hoffnungen hin? Wie
können wir sie wiederbekommen?
Ich möchte noch einmal das Bild vom Wartesaal aufgreifen.
Da
sitzen Leute, verschiedene Menschen, verschiedene Ansichten,
Männer und Frauen, Kinder und Mütter, Ältere und
Jüngere. Sie haben sich nichts zu sagen und sind sich fremd.
Argwöhnisch mustern sie sich aus dem Augenwinkel von oben bis
unten. Sie warten eben nur auf den Zug. Gleich muß er kommen und
die Gedanken eilen dem Zug voraus, man ist schon am Reiseziel
angekommen. Jetzt braucht bloß noch der Zug in den Bahnhof
einfahren.
Aber der Zug kommt nicht. Die Menschen werden unruhig, schauen
nervös auf die Uhr und lauschen den Ansagen. Und da hört man
die blecherne Stimme: Der Zug hat voraussichtlich eine Stunde
Verspätung, man soll geduldig sein.
Und jetzt, in diesem Augenblick passiert etwas, etwas ganz ungewohntes.
Die Gedanken sind nicht mehr beim Reiseziel, sondern jäh auf
diesen Bahnhof zurückgeworfen. Plötzlich sieht man die
anderen Menschen mit anderen Augen, nimmt sie richtig wahr und die Ruhe
in diesem Wartesaal ist dahin.
Man spricht den Nachbarn an, man fragt, wie es weitergehen wird. Man
überlegt gemeinsam, ob es nicht ein anderes Verkehrsmittel gibt,
man berät sich, man hat Ideen und man hilft sich gegenseitig, die
Zeit zu überbrücken. Die spielenden Kinder sind zuerst
zusammengekommen und es wird schon nicht mehr darauf geachtet, ob sie
sich schmutzig machen, weil die Mütter sich mit dem Banknachbarn
aufgeregt unterhalten.
Da ist etwas in Bewegung gekommen. Da hat sich etwas verändert.
Man spricht sich Mut zu und man zweifelt gemeinsam.
Liebe Gemeinde, es wäre schön, wenn es in unserer
Kirche auch so wäre. Ein ganz banales und weltliches
Pfingstereignis. Eine wartende Gemeinde, die sich unterhält,
in
der man sich gegenseitig Mut macht. Wo man nach neuen Wegen sucht. Wo
man die Dinge auch beim Namen nennt, die für uns wichtig sind. Wo
man zusammenkommt, wie in diesem Wartesaal und plötzlich ein
neuer
Geist wirkt und die Menschen sich verstehen.
Die Hoffnung auf diesen neuen Geist, die dürfen wir nicht
verlieren, gerade weil wir ihn bei uns meistens nicht spüren. Wir
sollten mehr auf diesen Geist vertrauen, der plötzlich
hereinbricht und unserer Schwachheit aufhilft, wie Paulus es sagt.
Und um das abschließend zu sagen und sehen wir es so. Wir sitzen
hier in einem Wartesaal und warten alle auf den gleichen Zug. Darum
sollten wir nicht in erster Linie fluchen und meckern, daß er
nicht in Sicht ist und unsere Pläne durcheinanderbringt, sondern
wir sollten uns einen Ruck geben und ins Gespräch kommen.
Wir
sollten unsere Gemeinschaft stärken und uns freuen, daß wir
nicht alleine warten müssen.
In diesem Sinne, oder in diesem Geist sind wir verbunden, können
uns Mut machen und brauchen uns nicht argwöhnisch aus dem
Augenwinkel von oben bis unten mustern. Wir sprechen miteinander und
aus jeder kleinen Hoffnung des einzelnen wird die große Hoffnung,
die wir brauchen
Paulus hat es so gesagt: Wir hoffen aber auf
das, was wir nicht sehen,
dann harren wir aus in Geduld und der Geist nimmt sich unserer
Schwachheit an ...und wir wissen, daß Gott bei denen, die ihn
lieben, alles zum Guten wenden wird.
AMEN
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Predigt Jahreslosung 2005 (Gute
Vorsätze - Lk 22,32) 02.01.05 Pfr. Zillmann
Liebe Gemeinde, ein bisschen merkt man es schon: die Tage
werden
wieder länger. Die dunkle Jahreszeit hat ihre dunkelste Zeit
hinter sich gelassen. Und mit dem Licht wird die Stimmung auch
automatisch besser. Die Natur fängt etwas Neues an. Ich hoffe,
daß sie Weihnachten und den Jahreswechsel gut überstanden
haben und das neue Jahr 2005 mit gesundem Elan und vielleicht auch
einigen guten Vorsätzen beginnen können.
Am Jahresanfang steht immer ein ausgewähltes Bibelwort,
die
Jahreslosung als Predigtext an. Im Lukasevangelium heißt
es: Jesus Christus spricht:
"Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre."
(Lk 22,32)
Diese Worte sagt Jesus zu Petrus, zu seinem Freund in einer
Situation, als Petrus gerade versicherte, ihm überallhin zu folgen
und ihn niemals zu verleugnen. Und nur kurze Zeit später steht
Petrus als Versager da. Wieder einmal ist er über sich selber
gestolpert.
Der eine Satz der Jahreslosung ist aus dieser Geschichte
herausgenommen. Der ganze Text geht so:
Lk
22,31 "Petrus, Petrus (Simon)", sagt Jesus "siehe, der Satan hat
begehrt, euch zu sieben wie den Weizen.
32 Ich aber habe für
dich
gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst
dich bekehrst, so stärke deine Brüder.
33 Er aber sprach zu ihm:
Herr, ich
bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.
34 Er aber sprach: Petrus,
ich sage
dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet
hast, daß du mich kennst.
Liebe Gemeinde, Ehe der Hahn kräht, wirst du mich
dreimal
verraten haben. Dieses Wort ist etwas geläufiger. Meistens kennen
wir nur dieses. Die guten Vorsätze, die der Petrus hat, sind die
eine Seite und dann holt ihn die Realität ein und das Leben sieht
ganz anders aus. Anspruch und
Wirklichkeit sind zwei verschiedene Dinge.
Wie oft erleben wir es auch in unserem eigenen Leben. Da tut
sich plötzlich ein Graben auf, zwischen dem, was wir wollen
und dem, was wir dann tun. Gerade wenn wir zu Weihnachten oder meistens
am Jahresanfang gute Vorsätze schwören, im kommenden Jahr
soll alles anders werden:
Der eine will das Rauchen aufgeben, der nächste will sparsamer
sein und andere wollen mehr die Freundschaften pflegen, sich mit
anderen vertragen, Streit begraben. Manche wollen fleißiger sein
... usw. und so fort ...
Gerade wenn wir am Jahresanfang gute Vorsätze schwören, dann
kann uns diese Jahreslosung helfen, es darin nicht zu übertreiben.
Zum Jahreswechsel ist es üblich einen "guten Rutsch" zu wünschen. Sie
kennen diese Redwendung alle. Sie ist jüdischen Ursprungs. Man
wünschte dem anderen einen guten "Rusch". Rusch kommt vom
hebräischen Rosch - und das bedeutet so viel wie Kopf oder Anfang.
daraus wurde dann umgangssprachlich der "Rutsch". Also diese
Redewendung hat nichts mit Glatteis und rutschen zu tun, wie man das im
Winter vielleicht annehmen könnte, sonder man sagt übersetzt:
Ich wünsche dir einen guten Anfang. Ich wünsch dir einen
guten Start, vielleicht, ein gutes neues Jahr, kurz gesagt. Also nach
den Festtagen beginnt etwas Neues.
Egal ob nun zu Weihnachten oder zum 1. Januar etwas Neues
anfängt, wichtig ist dabei, dass Ängste
und Unsicherheiten ebenso wie gute Vorsätze und Absichten am
Anfang eines Jahres ausgesprochen werden können. Was wird das neue
Jahr bringen? Die meisten Menschen sind zwar optimistisch, aber alles
Neue bereitet auch Angst. Ob das nun in der allgemeinen Politik ist,
oder in ganz persönlichen Veränderungen, Neuanfängen Und
das Aussprechen dieser Ängste ist gut, wenn es mehr ist, als nur
das übliche Gemecker über dies und jenes.
Liebe Gemeinde, wiegesagt, jeder Mensch meint stark zu sein und hat
gute Vorsätze, um sein Leben richtig zu gestalten. Jedoch manchmal
nehmen wir uns vor, viel zu tun und zu sagen, aber im entscheidenden
Augenblick da handeln und reden wir ganz anders. Gute Vorsätze
sind eine Sache – die Wirklichkeit sie umzusetzen, ist eine
andere. Stolpersteine gibt es,
Unwissenheit, tragische Verwicklungen, Krankheiten oder Schwächen.
Jeder kann schnell in Prüfungen geraten oder in schwierige
Situationen kommen und dann sind die guten Vorsätze auf einmal
Schall und Rauch.
Jetzt ist es gut, wenn wir Menschen haben, die trotzt
unserer
Schwächen und Fehler zu uns stehen. Wenn z. B. eine schwere
Prüfung ansteht, dann sagen wir: "Ich
drücke dir ganz fest den Daumen." "Ich glaube an dich." oder "Ich denke an dich." Mancher sagt
gar: "Ich werde für dich
bitten, ich werde für dich beten." Geht etwas
schief, dann bleibt doch der Trost, dass man nicht als Versager
abgestempelt ist. Andere haben mitgelitten, ermutigen vielleicht zu
einem neuen Versuch. So wird verhindert, dass man den Glauben an seine eigene Person
verliert.
Schlimmer ist der dran, der den Glauben
an Gott verliert. Wer hat hier die Daumen gedrückt, wer
denkt an ihn, wenn die scheinbare Sinnlosigkeit der Welt den Lebensmut
nimmt?
Die große Flutkatastrophe
in Asien, die in den letzten Wochen die Nachrichten geprägt
hat, diese Naturkatastrophe kann so ein Beispiel sein. Sie führt
ganz unvermittelt zu der Frage, wie kann so etwas geschehen, wie kann
Gott so etwas zulassen. Gerade die Ärmsten und Schwächsten
hat es wieder einmal getroffen. Frauen und Kinder, Ältere und
Kranke, die Armen, in ihren elenden und leicht gebauten Hütten.
Schön wäre es ja, wenn es nur die Reichen und starken
getroffen hätte. Aber so ein Gedanke ist nicht gut, das merken
wir, denn die Reichen und Gesunden sind ja die vielen tausend
Touristen, das sind ja wir, unser Nachbar, unser Arbeitskollege
vielleicht.
Wenn also mitten im Leben der Tod steht, und das in so einem
großen Ausmaß, wie das bei Naturkatastrophen der Fall ist,
wenn mitten im Leben der Tod steht, dann wird das für viele eine
Glaubensanfechtung: "Ich kann nicht
mehr an Gott glauben."
Für andere dagegen nun wieder nicht. Genau das
Gegenteil
kann auch der Fall sein. Über all unser Planen und Streben steht
eine höhere Gewalt,
stellen wir mal wieder fest. Und so sagt der eine oder andere auch:
"Der Mensch denkt und Gott lenkt. All unser tun und all unsere
Vorsätze sind letztendlich in Gottes Hand. Der Name des Herrn sei
gelobt."
Diesen Zwiespalt,
in dem
wir manchmal stehen, wo wir nicht wissen, kann man noch glauben, oder
muß man jetzt erst recht glauben, diesen Zwiespalt hat Jesus
kommen sehen, in seinem Gespräch mit den Freunden, kurz vor seiner
Hinrichtung. Die Katastrophe kommt und er sagt, passt jetzt auf, jetzt
kommt die Prüfung, alle werden wie der Weizen gesiebt, und der
Weizen wird von der Spreu getrennt. Die einen werden fest sein und die
anderen werden wanken.
Liebe Gemeinde, in diesem Moment brauchen wir andere
Menschen, die
uns stützen und tragen, die Vorbild sein können. Das gilt
für unsere menschlichen Schwächen, wenn wir versagen und die
Minderwertigkeitsgefühle uns zu erdrücken suchen. Und das
gilt für unseren Glauben, wenn wir wie ohnmächtig vor dem
Schicksal stehen und die Katastrophe ihren Lauf nimmt.
Und in Situationen, in denen wir
fest
stehen, müssen wir unsere Stärke auch umgekehrt an andere
weitergeben. Das ist fast eine Pflicht. "Ich drücke dir ganz fest den
Daumen." "Ich glaube an dich." "Ich habe vertrauen in deine
Stärke, auch wenn du schwach bist."
"Gib deinen Glauben nicht
auf. Es
gibt viel Elend in der Welt, aber es gibt auch viel Gutes. Mit
Tränen in den Augen sieht man das Gute nicht. Komm, ich wische dir die Tränen weg."
Liebe Gemeinde, um das abschließend zu sagen: Jesus Christus
spricht zu seinem Freund, zu Petrus: "Ich
habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre."
"Wenn du dann wieder zu mir zurückgefunden hast, musst du die
anderen im Glauben an mich stärken!"
Ich wünsche es uns allen, dass wir jemand haben, der für uns
bittet, wenn das neue Jahr Prüfungen bereit hält, die wir
bestehen müssen. Und ich wünsche es uns allen, daß wir
auch die Kraft haben, anderen zu helfen, zu trösten und
aufzubauen, wenn es ihnen nicht gut geht.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen gesegneten
Anfang
für das Jahr 2005, Gesundheit, Glück, Selbstbewusstsein und
einen festen
Glauben. AMEN
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Ev.Kirche Am Seggeluchbecken in
Berlin-Reinickendorf
Pfarrer Peter Zillmann, 13435
Berlin-Märkisches
Viertel, Finsterwalderstr. 68
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